Daniel Sturm
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Flucht aus Alcatraz
Kreuzer, August 2000

Es wirkt ein wenig wie der berüchtigte Gefängnistrakt auf Alcatraz, das Leipziger Arbeitsamt in der Georg-Schumann-Straße. Mit 71.000 Arbeitslosen ist es allerdings hoffnungslos überbelegt. Wer einmal in das Amts-Register eingegangen ist, kommt nur schwer wieder heraus und wird schnell zur kafkaesken Karteileiche - Langzeitarbeitsloser. Es sei denn, man entscheidet sich für die Flucht aus Alcatraz. Mögliche Fluchthelfer sind private Arbeitsvermittler wie Jan Op ´t Hoog, der Arbeitskräfte für Holland anwirbt. Dort gebe es "wirklich blühende Landschaften". Eine Reportage von Daniel Sturm.

"Kommen Sie ins Arbeitsamt, da werden Sie das blaue Wunder erleben", sagte der Manager der holländischen Zeitarbeitsfirma Hobij Groep BV am Telefon. Wenig später, im weiß gekalkten Inneren des Gebäudes, sitzt Jan Op ´t Hoog hinter einem blau erleuchteten Würfel aus Kunststoff. Vor ihm ein großes Plakat - und lächelt. "Möchten Sie in Holland arbeiten, wir bieten Ihnen die Möglichkeit dazu!", steht darauf. Einige werfen dem Holländer lethargische Blicke zu, andere wollen etwas über Tulpen und Käse im Nachbarland erfahren, wieder andere ziehen ungläubig an dem Plakat vorüber. Es herrscht Hochbetrieb in dem schloßartigen Gebäude der Georg-Schumann-Straße - und eine Stimmung auf niedrigestem Niveau. Kein Wunder, bei 18 Prozent Arbeitslosigkeit im Leipziger Amtsbereich.

Karl sah an einer Straßenecke ein Plakat mit folgender Aufschrift: "Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von sechs Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Teater in Oklahoma aufgenommen! ... Wer Künstler werden will melde sich! Wir sind das Teater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort!


Karl ist "Der Verschollene" in Kafkas Amerika-Roman, weil er die Flucht nach Amerika ergriffen hat. Es standen zwar viele Leute vor dem Plakat, aber es schien nicht viel Beifall zu finden. Es gab so viele Plakate, Plakaten glaubte niemand mehr.

Die Skeptiker überwiegen auch außerhalb der Roman-Welt. "Ich bin doch kein Gastarbeiter", antworten viele, wenn Jan Op ´t Hoog ruhigen Tones von der Vollbeschäftigung und den guten Löhnen in Holland zu erzählen beginnt. Der Mann wirkt in diesem Meer des Unglaubens wie ein postmoderner Prediger, ohne großes Pathos, aber mit überzeugend klingenden Argumenten. 2600 Gulden, das sind monatlich 2200 DM netto. In Holland versuche man, die Arbeitnehmer vor einem "burn out Effekt" zu schützen - deshalb habe die niederländische Rgierung in den letzten Jahren stark darauf hingewirkt, die Arbeitszeiten zu reduzieren. Viele Leipziger reagierten auf solche Argumente überheblich, meint der Arbeitsvermittler nach einem anstrengenden Tag in der Georg-Schumann-Straße, und die meisten seien auch ganz gut qualifiziert. "Aber sie wollen einfach nicht arbeiten", solange der hiesige Arbeitsmarkt sie mit Sozialleistungen voll alimentiert. Im Land der Wertarbeit haben eben auch die Arbeitslosen ihren Stolz. Gerade mal 50 Menschen hat Op ´t Hoog seit dem Beginn seiner Anwerbe-Kampagne im letzten Jahr nach Holland vermittelt.

"Hier gibt es keine Jobs, also beschränkt man sich auf das Verwalten meiner Daten", formuliert Nick Müller (*) seine nüchterne Sicht des Arbeitsamtes. Gerade mal fünf Tage ist der 41-Jährige Heizungsmonteur arbeitslos, wieder mal ein Opfer des Preiskrieges in Berlin - die Baubranche eben. Müller hat es satt und möchte unter allen Umständen vermeiden, vom Arbeitsamt in eine Umschulung gesteckt zu werden. Das sei nur die erste Stufe eines gandenlosen Registratur-Prozesses, in dessen Fortgang die "Arbeitslosenhilfe" und schließlich die Sozialhilfe folgten. Weil Müller Beschäftigungstherapie nicht leiden kann - sei es eine Umschulung, oder das Leipziger Modellprojekt "Betrieb für Beschäftigungsförderung" (Bfb) - stellt er dem holländischen Arbeitvermittler neugierig Fragen und füllt sofort einen Anwerbe-Bogen aus. Name und Adresse, ein paar Zeilen zum beruflichen Werdegang und "Wie lange möchten Sie in Holland arbeiten?" Außerdem entscheidet sich Müller für die knapp 500 DM teure, möblierte Wohnung, die Hobij Groep allen angeworbenen Deutschen an ihrem künftigen Arbeitsort stellt. Er ist sichtlich angetan von dem Angebot. Mit dem Arbeitsamt hat er innerlich abgeschlossen. Was er hier eingezahlt hat, will er jetzt noch einmal abholen. Das war´s dann auch schon. Einen Job sucht er sich selbst, meinetwegen über die Hobij Groep. "Das ist viel besser, so eine Art privates Arbeitsamt."

Jan Op ´t Hoog ist sichtlich zufrieden, denn so flexible Menschen sucht er sonst vergebens. Der ausgefüllte Personalbogen wird jetzt in die EDV aufgenommen und in acht Tagen kann der Bewerber mit einem Angebot rechnen. Seine Firma, die Hobij Groep, wirbt überall da in Europa Arbeitskräfte an, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. Portugal, der strukturschwache Osten des Ruhrgebiets oder eben Leipzig und Mecklenburg-Vorpommern. Mit seiner Mission im Osten Deutschlands ist der Holländer insgesamt nicht glücklich. Denn was er hier erlebt habe, strafe alle Statistiken Lügen, die von einer hohen Bereitschaft für Arbeitssuche in Regionen mit hoher Erwerbslosigkeit ausgehen. Vor 30 Jahren seien die Arbeitsvermittler nach Anatolien ausgeschwärmt, und es habe geklappt, obwohl die kulturellen Unterschiede zwischen der Türkei und Deutschland riesig waren. "Die Holländer essen wie die Deutschen Bratwurst und haben statt Allah Gott - das ist doch ziemlich ähnlich." Wenn die Resonanz im Osten weiter so spärlich bleibe, müsse man sich überlegen, ob man künftig nicht eher in anderen strukturschwachen Regionen Europas nach Arbeitskräften fahnden solle.

Warum Jan Op ´t Hoog so oft seine Stirn runzelt, wird in einem anderen Fall deutlich. Ein 21-Jähriger Leipziger stoppt etwas zögerlich am Stand des Holländers, erkundigt sich lapidar nach den Job-Angeboten. Op ´t Hoog erzählt wie gewöhnlich von den Möglichkeiten ("Langfristige Jobs in Holland gut möglich", "Ein Aufenthalt im Ausland macht sich auch für deutsche Arbeitgeber gut"), doch er erntet nur Achselzucken. "Ich mache doch besser eine Umschulung", sagt der junge Mann und seine ebenfalls arbeitssuchende Freundin, der Op ´t Hoog Job und Wohnung zusammen mit ihrem Freund in Aussicht stellt, ergänzt. "Es gibt so etwa wie Heimatdrang."

Doch auf so viel Heimatdrang ist die sächsische Arbeitsverwaltung nicht eingerichtet. In ihrer Not öffnen die Arbeitsämter jetzt sogar die Pforten für private Jobvermittler wie Jan Op ´t Hoog. Außerdem haben sie mittlerweile selbst die Chancen des grenzübergreifenden europäischen Arbeitsmarktes erkannt. 500 so genannte Eures-Berater (European Employment Services) sollen sich um grenzüberschreitende Arbeitsvermittlung bemühen. Hans-Joachim Haesler, "Eures"-Berater im Leipziger Arbeitsamt, berichtet von rund 2000 Kontakten zu Arbeitssuchenden im vergangenen Jahr - die Vermittlungsquote ist ungewiß. Einladungen verschickt Haesler an die, die bei der Arbeitslosmeldung angeben, im gesamten Bundesgebiet arbeiten zu wollen. Wer der Einladung nicht folgt, droht eine sogenannte Säumnisfrist von zwei Wochen. Bei entschuldigtem Fehlen halbiert sich die Stütze.

Aus reiner Neugier ist Opt Hoog 1991 nach Leipzig gekommen, um zu sehen, "wie sich aus der Situation des Sozialismus Kapitalismus entwickelt". Eine Lehre hat er bereits gezogen: Der Mensch sei eben ein absolutes Gewohnheitstier und Änderungen vollzögen sich dementsprechend langsam. Weil die Region im Osten Deutschlands von einer langen Phase des Abschwungs geprägt wurde, viele Menschen also nie einen "Aufschwung erlebt haben", sei es nicht unverständlich, "warum die Menschen so stark demoralisiert sind." Das Problem, das Deutschland insgesamt mit seinem Arbeitsmarkt habe, sei seine Schwerfälligkeit. "So kann man hier verklagt werden, wenn man privat Arbeit vermittelt hat". Somußte die Hobij Groep BV bei der Bundesanstalt für Arbeit erst umständlich eine Genehmigung für ihre Aktivitäten beantragen - ganz anders in Holland, wo 50 Prozent aller Jobs nur über Zeitarbeitsfirmen vermittelt werden. Das Paradoxe sei hier, dass man die Menschen vor unqualifizierter Arbeitsvermittlung schützen wolle, ihnen aber gleichzeitig nur Beschäftigungstherapie in Aussicht stelle.

Jan Op ´t Hoog kennt den deutschen Arbeitmarkt gut, schließlich war er jahrelang als Personalmanager in Köln tätig und leitete später acht Jahre lang einen mittelständischen Betrieb in Leipzig, den er 1999 weiterverkauft hat. Warum er jetzt durch die ostdeutschen Regionen tingelt, um Menschen für Holland anzuwerben, hat auch etwas mit seiner Begeisterung für sein Heimatland zu tun. Holland sei Multikulti, ein Land mit viel Freizeitkultur, was auch viele Deutsche attraktiv fänden. Per Familienticket der Deutschen Bahn sei man mit nur 35 DM an der holländischen Grenze. Unüberhörbar, dass Werbung und Anwerbung irgendwie zusammengehören. "In Holland gibt es wirklich blühende Landschaften, ohne daß man sie uns versprochen hat."
DANIEL STURM
Jan Op ´t Hoog, Hobij Groep BV, Manager Deutschland, (0341) 5 64 08 03, (0172) 3 60 66 44, E-Mail: hobij@worldonline.nl
(*) Name geändert.