Revolution mit Gesichtern
Reinhard Bohse, Gründer des Neuen Forums in Leipzig, über
den Welttag der Pressefreiheit
Kreuzer, Mai 1999
Auf der Straße hat Reinhard Bohse, Gründer
des Neuen Forums und heute Leiter des Innovatio-Verlages in Leipzig,
die meisten von ihnen kennengelernt. Zehn Jahre nach der Revolution
trommeln Bohse und der Medienstadtverein die Akteure von 1989 zum Welttag
der Pressefreiheit zusammen (3. Mai). Die Veranstaltung steht unter
UNO-Schirmherrschaft und hat in der Revolutionsstadt Leipzig eine so
große Bedeutung wie in der Sahel-Zone der "Welttag zur Bekämpfung
der Wüstenbildung".
Mit dem einzigen Unterschied: Daß die Stadt
Leipzig ihr Ziel erreicht hat. Hier gelang es den Akteuren der Straße,
das Informations-Monopol der SED zu brechen. Dabei, so Bohse, habe es
seines Wissens kaum Plakate gegeben, die Meinungs- und Pressefreiheit
einforderten. "Wir haben es einfach gemacht". Schließlich
seien Rufe, sprachlich gewandte Plakatsprüche und Karikaturen nichts
anderes als Ausdruck der erwachenden Pressefreiheit. Unvergessen etwa
die Krenz-Karikatur "Großmutter warum hast du so große
Ohren".
Da aus den meisten Wendefiguren von damals Leipziger
Medienmacher von Rang und Klang wurden, mußte man sie dazu nicht
erst ausgraben. Einige sind Chefredakteure von KREUZER oder LVZ (Björn
Achenbach, Philipp v. Wilcke) geworden, einer ist Programmchef von MDR-Life
(Jürgen Vogel) und auch Jan Höfgen (Denkmalschmiede Höfgen)
ist als Ökobauer irgendwo auch Kulturschaffender. Rainhard Bohse
selbst war jahrelang Pressesprecher der Stadt Leipzig
"Ich könnte mehrere Flaschen Sekt darauf
trinken, daß die Russen abgezogen sind", meint Bohse. In
der Podiums-Runde wird sich zeigen, ob der sonst sehr nüchterne
Aktivist seine Androhung wahrmacht. Spannend dürfte auch die Debatte
darüber werden, wie die Revolutions-Maschine überhaupt ins
Rollen kam. Denn eigentlich, meint Bohse, waren die Motoren gerade nicht
Studenten, Professoren oder Journalisten - wie etwa in der Tschechischen
Revolution - sondern "die qualifizierten Arbeitnehmer, die einfach
nur nutzbringend arbeiten wollten, die Studenten nahmen an den Demos
erst teil, als keine Gefahr mehr bestand".
Akademiker wurde zu DDR-Zeiten nur, wer die intensive
Sozialauswahl bestand. Daß den ostdeutschen Regionalzeitungen,
die nach wie vor aus dem Fundus dieser Führungspersonen schöpfen,
ihre Revolution noch nicht gehabt haben - das versucht Bohses Innovatio-Verlag
gerade nachzuweisen. Die These, daß das grundoptimistische Bild
der Freien Presse, Magdeburger Volksstimme oder LVZ diese Ursache hat,
könnte am 3. Mai für Sprengstoff sorgen.
DANIEL STURM
3. Mai, 20 Uhr in der Moritzbastei (Ratstonne).
Es diskutieren u.a. Jan Peter (Ex-DAZ-Chefredakteur), Björn Achenbach
(KREUZER-Chefredakteur), Philipp v. Wilcke (Stv. LVZ-Chefredakteur),
Jürgen Vogel (MDR-Life)