Daniel Sturm
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Wer die Wahl hat, hat die Party
Kreuzer, Dezember 2000

Amüsier-Betrieb, Bagels und Cheerleaders - über dieses kleine "ABC" verfügen die Amerikaner bekanntlich im Überfluß. Vielleicht deshalb folgten 1.300 Neugierige dem Ruf des General-Konsuls zur Wahl-Party 2000 im Leipziger Marriot Hotel. Das Leipziger Match zwischen Al Gore und George Bush verfolgten Daniel Sturm (Text) und Cordula Giese (Bilder).

Erleben Sie die amerikanischen Präsidentschaftswahlen live. Kommen Sie! Berühmt sind die Amerikaner für ihre Großzügigkeit, oh ja. Und die Einladung des US-Generalkonsuls Tmothy Savage, der in Leipzig residiert, klang so verheißungsvoll, dass sich über 1.000 Promis zur Wahlparty im Leipziger Marriot Hotel tummelten. Dabei wußten die Gäste, unter ihnen die halbe Regierungs-Mannschaft aus Dresden und Erfurt, die halbe Mannschaft des MDR und die halbe Mannschaft des "American Football Club Leipzig Lions" nicht, dass ein amerikanisches Event erst dann ein Event ist, wenn man eines daraus macht. Die Förmlichkeit wollte nicht so recht aus den Körpern weichen, die sich den langen Abend in den Salons und Ballsälen des bunt dekorierten Marriot Hotels (mit was eigentlich?) vertrieben. Ob es daran lag, dass das Glas Wein acht Mark kostete, der Bagel sieben? Vielleicht fühlte man sich nicht so wohl in seiner Haut, weil die Dekorationsfirma den sinnfälligen Namen "Blow up Außenwerbung" trug, was auf die amerikanische Wahl bezogen eher wie ein besonders fieser Deckname einer Terror-Truppe klingt, die mit dem Marriot Hotel die ganzen US-Wahlparty in die Luft jagen wollten? In Wirklichkeit war es anders. Es war der Kafka in den Köpfen.

Karl sah an einer Straßenecke ein Plakat mit folgender Aufschrift: "Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von sechs Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Teater in Oklahoma aufgenommen! ... Wer Künstler werden will melde sich! Wir sind das Teater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort!

So überschwenglich wird Karl, der Deutsche, in Kafkas Amerika-Roman, empfangen. Doch Förmlichkeit Skepsis wollen nicht recht weichen, ist er doch ein Flüchtling aus dem alten Europa, in dem Förmlichkeit noch ein Wert ist und Überschwang eher die Seltenheit.

Es standen zwar viele Leute vor dem Plakat, aber es schien nicht viel Beifall zu finden. Es gab so viele Plakate, Plakaten glaubte niemand mehr.

Wie aus Kafkas Amerika-Roman gefallen wirkt der 18-jährige Martin Olesch, der vor einem übergroßen mit "Stars & Stripes" dekorierten Treppenaufgang an seinem Donut kaut. Er ist den Plakaten gefolgt, und hat sich mit fünf Freunden von Eisleben/Sachsen-Anhalt zur US-Wahlparty nach Leipzig aufgemacht.
"Vielleicht lerne ich hier ja einen Ami kennen."

Vor einem Jahr hat Martin Olesch an einer Tagung des Generalkonsulats teilgenommen, wohin ihn seine Sozialkunde-Lehrerin vermittelt hat. Damals ging es um Sinn und Unsinn der NATO. Seither flattern Einladungen ins Haus des Abiturienten - wie die zur Wahlparty im Marriot. Martin ist dem herzlichen Flyer gefolgt, "ohne genau zu wissen warum eigentlich." Nachdem er sich mit seinen Freunden die Kosten für ein Bier geteilt hat, ziehen sie sich in den "Konferenzraum Boston" zurück, wo einzig die in Reih und Glied formierten Stühle Förmlichkeit ausstrahlen. Eine trockene Diskussion über transatlantische Beziehungen verscheucht die Jugendlichen. Vom "Boston" geht es zurück in den Ballsaal, wo eine "English Drama Group" der Friedrich-List-Schule Gohlis Sketche von Mark Twain aufführt.

"Komisch-verklemmt oder plüschig-staubig"? Ein Fotograf, ein Regisseur und eine amerikanische Sprachlehrerin sind sich nicht einig. Da naht Rettung in Form eines freundlich aussehenden Mannes, dessen großer weißer Cowboy-Hut an den Dallas-Ölmillionär J.R. Ewing erinnert. Er heißt Tony Sanchez, ist Texaner und arbeitet sogar in einer Firma, die sich mit der Seifenoper vom großen Geld und mit dem Ölgeschäft in Einklang bringen läßt. Dow Chemical.

Tony ist ein freundlicher Texaner, und wahrscheinlich wie alle richtigen Texaner ein Mann mit strikten politischen Grundsätzen. Bush und die Republikaner haben sein Vertrauen, na klar. Tony wäre am historischen Wahl-Tag, der übrigens immer ein "Tuesday" ist, auch in seiner texanischen Heimat mit Freunden in die Bar gegangen. Dort wird politisiert, dort werden Wimpel geschwenkt und Tony würde auch "Bush, Bush, Bush" skandieren. Ein netter Kerl, der 60-Jährige Tony. Im Marriot-Hotel belagern ihn schon wenige Minuten später die Kamera-Teams, Tony ergreift die Flucht ins "Boston", wo neue Interviewpartner warten. Irgendwie hat er es satt, erzählt er und wischt sich den Schweiß aus der sorgenvoll gerunzelten Stirn, den ganzen Abend lang als "J.R" die Runde zu machen.

Kurz vor Mitternacht füllt sich der Ballsaal und CNN schaltet live zu. Gerne würde man sich der Gästeliste entlang einfach durchfragen, denn die Mischung, der in Grüppchen verteilt stehenden Leute ist einfach wunderbar bizarr. Da sind zum Beispiel die Repräsentanten der "Kirche Jesu Christi der Heiligen letzten drei Tage". So wie das neue MDR-Gebäude in der Kantstraße von zwei hochrangigen Klerikalen gesegnet wurde, so haben bei offiziellen Anlässen wie diesen die Vertreter der Kirchen, Adventisten, Mormonen, Baptisten eben auch in Amerika ihren festen gesellschaftlichen Platz.

Unterdessen ist Bürgermeister Holger Tschense eingetroffen. Schade, dass der Texaner gegangen ist, denn Tschense hätte als einer der wenigen an diesem Abend ein lässiges Gespräch mit Tony führen können. Schließlich ist Leipzigs Expo-Beauftragter cool wie ein Cowboy. Lässig diskutiert er mit dem Leipziger Honorarkonsul Rudolf von Sandersleben, wie man das Leipziger Tafelsilber mit Leasing-Geschäften in den USA vergoldet habe. Die Verkehrsbetriebe wurden mittlerweile zurück-geleast. Klasse Deal, sagt Tschense.

"Where are the campaign huts?", fragt Gwen Williamson. Die 39-Jährige Englisch-Lehrerin vermißt die klassichen Kult-Instrumente des amerikanischen Wahlkampfs. Meterlange Papierhüte in Rot-weiß-blau und hitzig geführte Debatten zwischen Demokraten und Republikanern - das müsse schon ein, sagt Gwen. Auch die Sprechchöre "Bush, Bush - Gore, Gore" hat sie an diesem Abend vermißt. Immerhin gibt es Aufkleber, die bei ihr einen kleinen Begeisterungssturm auslöst. Die Fernseh-Kamera zeichnet alles live auf, muß ja, angesichts des ansonsten fehlenden Überschwangs.

"Ich bin da in einen Verteiler reingerutscht", sagt Martin Olesch aus Eisleben im Tonfall des Bekenners. Den amerikanischen Amüsier-Betrieb hat er an diesem Abend noch nicht kennengelernt, richtig viele Amis auch nicht. Aber dennoch hat sich Bolle... ganz köstlich amüsiert. Morgen wollen Martin und Freunde "mit Alkoholfahne" im Unterricht einlaufen. Aus Protest. Denn diesmal hat ihnen der Direktor, der die Lunte gerochen hatte, nicht freigegeben.
DANIEL STURM