Gefahr gebannt
Kreuzer, Mai 2001
Noch im November letzten Jahres, als
erste Vorschläge zur "Verschlankung" der Hochschulen
an die Öffentlichkeit drangen, sah es für manche Fachbereiche
finster aus. Von der Zusammenlegung mancher Fächer war die Rede.
Nach dem Beschluß der Staatsregierung, in den kommenden neun Jahren
1.700 Stellen an den sächsischen Hochschulen einzusparen, sahen
Kritiker das Ende der traditionsreichen "Voll-Universität"
nahe. Jetzt liegt der Schlußbericht der Sächsischen Hochschulentwicklungskommission
(SHEK) vor. Der KREUZER sprach mit dem Rektor der Universität Leipzig,
Professor Dr. Volker Bigl.
KREUZER: Sehen Sie die schlimmsten Gefahren
gebannt?
Bigl: Die Empfehlungen der Strukturkommission geben keinen direkten
Hintergrund für ein Bedrohungs-Szenario mehr ab. Sie SHEK hat sich
ganz klar dafür ausgesprochen, viele der früher im Raum stehenden
Androhungen nach reichlicher Überprüfung zurückzuziehen.
Ob es kleinere Strukturänderungen geben wird - etwa im Zusammenhang
mit der empfohlenen Einrichtung von Zentren für Lehre und Planung,
ist in einigen Fällen sogar sinnvoll.
KREUZER: Wird es zur Zusammenlegung von
Fakultäten wie der Rechtswissenschaft kommen?
Bigl: Ich schließe das für alle großen Bereiche aus.
KREUZER: Der Bericht spricht davon, dass
eine "Zusammenführung der Wissenschafts-Kulturen" zu
wünschen übrig lasse. Ist nicht gerade das Rektorat, das vorwiegend
mit Naturwissenschaftlern besetzt ist, ein Beispiel dafür, dass
Geistes- und Sozialwissenschaftler an der Spitze unterrepräsentiert
sind?
Bigl: In dem Moment, wo man von der Gesamtheit der Universität
in ein solches Amt gewählt wird, läßt man die Interessen
der eigenen Fakultät hinter sich zurück. Für die weitere
Entwicklung für Gesellschaft und Wissenschaft ist es jedoch dringend
erforderlich, diese beiden Kulturen sehr viel stärker als bisher
in den Dialog bringen.
KREUZER: Wie man hört, planen Sie
eine weitere Hochschulzeitschrift zu etablieren, um auch die politikmüden
Studierenden an diesem Dialog zu beteiligen?
Bigl: Das ist wirklich nur eine erste Überlegung mit dem Ziel,
innerhalb der Universität Althergebrachtes aufzubrechen. Wir wollen
stärker Alltagsinformationen über Hochschul- und Wissenschaftspolitik
vermitteln, denn die einzelnen Institute wissen viel zu wenig voneinander.
Ich denke übrigens weniger an eine Hochglanzzeitschrift, die wir
uns finanziell nicht leisten könnten, sondern eher an ein auf profanem
Zeitungspapier gedrucktes Mitteilungsblatt.
KREUZER: Der Sparbeschluss der sächsischen
Staatsregierung sieht vor, dass bis 2008 rund 17 Prozent der Stellen
an den Hochschulen des Freistaates gestrichen oder umverteilt werden
müssen. In welchen Bereichen werden Sie mit Kürzungen beginnen.
Bigl: Die Vorgaben der Staatsregierung lassen den Universitäten
freie Hand - vorgeschrieben ist nicht die Stellenart, sondern nur die
Stellenzahl. Das Rektorats-Kollegium hat bis August Zeit die Stellen
zu benennen, die ab 1.1.2001 wegfallen sollen.
KREUZER: Wäre es nicht sinnvoll,
wie die Kommission an einer Stelle anregt, den Fachbereich Erziehungswissenschaft
zu schließen, angesichts einer rückgehenden Nachfrage an
Lehrern?
Bigl: Nein, die erziehungswissenschaftliche Fakultät wird weiter
bestehen. Es geht meines Erachtens darum, zusätzlich zu den Fakultäten
in einer Art "Overlay"-Struktur alle Kollegen, die mit Lehrerausbildung
beschäftigt sind, besser in Kontakt zu bringen. Beispiel: Wir haben
vor sieben Jahren das Zentrum für Höhere Studien gegründet,
eine Einrichtung, die zwischen allen Fakultäten sitzt, deren Mitglieder
immer noch ihren jeweiligen Fakultäten angehören. Damit haben
wir für die interdisziplinäre Arbeit eine Organisationsstruktur
geschaffen, ohne an den alten Fakultätsstrukturen zu rütteln.
KREUZER: Manch einer will die Universitäten
auch durch neue Technologien verschlanken. Kann die"virtuelle Vorlesung"
im Internet den Professor ersetzen?
Bigl: Wir stehen dem Thema "Multimediales Lernen" offen gegenüber,
aber diese neuen Techniken sind eher ein Hilfsmittel für die Ausbildung.
Sie werden den normalen Gesicht-zu-Gesicht-Unterricht zwischen Student
und Professor nicht ersetzen können.
KREUZER: Am Ende eines Haushaltsjahres,
das weiß ich aus meiner Erfahrung an einer Universität, sind
die Gelder für Personal oft ausgeschöpft, doch Mittel für
Sachausgaben sind noch vorhanden. Dann verbrät man das Geld in
aller Eile für Computer...
Bigl: Das passiert bei uns nicht. In Sachen Autonomie sind wir allerdings
noch nicht am Ende des Weges. Darunter verstehe ich, dass wir nicht
für jede Stelle und für jede Ausrüstung an die Staatsregierung
herantreten müssen, sondern dass wir möglichst bald über
einen Gesamttopf an Finanzen verfügen, über den wir nach eigenen
Entwicklungsplänen verfügen können.
KREUZER: Was heißt "möglichst
bald"?
Bigl: Wenn es nach mir ginge, sollten wir im nächsten Jahr beginnen,
aber das ist wahrscheinlich zu kurz gegriffen. Ich hoffe, dass es schon
in den nächsten Wochen zu formellen Beziehungen von Hochschule
und Staatsregierung kommt.
INTERVIEW: DANIEL STURM