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Afa, Befa, Cefa - Ufa
Kreuzer, April 2000

Im Mai startet die Ufa mit den Dreharbeiten zur neuen Krimireihe Soko L.E. Filmproduzent Jörg Winger hat sich in den vergangenen Monaten mögliche Tatorte angesehen.

Es ist eine Art Brückenkopf, das unscheinbare Büro der Ufa Film & Medienproduktion im Reclam-Carré und Jörg Winger ist so etwas wie die künstlerische Vorhut. Seit dem 1. Dezember hat der 30jährige Kölner die Filmlandschaft sondiert. 16 Theater von Leipzig bis Frankfurt an der Oder hat er seither besucht, in den Kantinen nach den passenden Schauspielern gefahndet und mögliche Drehorte für die Soko L.E. besichtigt. Zwölf Folgen der Krimireihe werden im kommenden Halbjahr abgedreht und die Ufa setzt wie schon in München ganz auf diese Milchkuh: wenn die Quote der ab November 2000 ausgestrahlten Serie den Erwartungen des ZDF entspricht, wird es im nächsten Jahr Geld für 20 weitere Folgen geben.

Milchkuh heißt aber auch, dass die Ufa sich in Leipzig bald an richtig große Spielfilmprojekte wagen möchte, und Jörg Winger hofft insgeheim darauf, dass auch die Westdeutschen voll auf die Polizeiserie aus dem Osten abfahren. Denn natürlich möchte ein hungriger Filmemacher wie Winger, der seit zehn Jahren Drehbücher für Thriller betreut hat, sehr schnell von der Pflicht zur Kür übergehen. So wie seine Freundin, die er gerade am Set im New Yorker Stadtteil Brooklyn besucht hat, wo sie als Art Director von Spike Lee "den ersten auf Digitalvideo gedrehten Spielfilm" mitdreht. Verglichen mit den amerikanischen Projekten ist vieles, was hierzulande passiert, ja eher trocken Brot.

Dabei löste gerade die Ufa-Stadt Babelsberg weltweit ein Filmfieber aus, wie es in dieser Form nur noch bei den jährlichen Oscar-Verleihungen in Hollywood zu spüren ist. "Es sind, Zelt an Zelt gereiht, die Heerlager der Afa, Befa, Cefa, Defa, Efa usw. Täglich drängen neue kinotische Scharen heran, und bald wird das deutsche Alphabet gestreckt werden müssen", schrieb der Berliner Publizist Alfred Polgar 1922 über die Betriebsamkeit der Babelsberger Cineasten.
Bis in Leipzig an jeder denkbaren Straßenecke "Lola rennt", ist es noch ein weiter Weg. Doch die Zeichen dafür, dass sich die Stadt mittelfristig zur Filmstadt mausern könnte, stehen nicht schlecht. Außer der Ufa haben jetzt auch die Potsdamer Filmkollegen von Studio Babelsberg Independent, Babelsberg Film und MTM Babelsberg in der werdenden Medienstadt Leipzig angedockt. Von ihren Büroräumen in der Hainstraße 19 planen sie derzeit die beiden Kinoprojekte "Finkelstein" und "Sex Machines". Letzteres ist eine Ganovenkomödie, in der ein paar Verlierertypen viel Geld mit Viagra verdienen wollen. Und Finkelstein ist ein Thriller, in dem drei Männer in einer Kirche feststellen, dass es sich bei dem Priester um ihren KZ-Peiniger handelt. Die Ufa arbeitet außerdem noch an einem Vierteiler (je 90 Minuten) über vier wichtige Daten der jüngeren deutschen Geschichte. Autor des Drehbuches ist Peter Steinbach, der bereits für Edgar Reitzs "Heimat" geschrieben hat und zuletzt "Victor Klemperer - Das Tagebuch" (ARD) verfaßt hat. In Planung ist auch eine Kinoverfilmung des Bestsellers "Simple Stories" von Ingo Schulze.

Auf der Suche nach verruchten Schauplätzen, die einer Leipziger Krimiserie gerecht werden, hat sich Jörg Winger mit Freundin an einem apokalyptischen Winterabend dem Völkerschlachtdenkmal genähert. "Wir sind ziemlich schnell abgehauen", erinnert der Kölner noch mit ungekünsteltem Entsetzen. Da dieser Klecks in der Landschaft "ziemlich gut die dunkle Seite der Deutschen" bündele, sei er für eine Krimifolge ganz gut geeignet. Überhaupt ist geplant, die optischen Highlights der Stadt, Messe, Hauptbahnhof und Völkerschlachtdenkmal, in den ersten Folgen massiv ins Bild zu rücken. Von und wegen Lokalkolorit. Die Drehbücher für die ersten sechs Folgen stammen allerdings bis auf eines, an dem der Leipziger Jury Winterberg ("Over the Rainbow") schreibt, von Münchner Autoren. "Das hat vor allem damit zu tun, dass es ein Spezialistengenre ist", sagt Jörg Winger. Natürlich seien die Filmhochschulen in Köln und München zunächst Standortvorteile. Winger sucht nicht nur nach Autoren in der hiesigen Hochschullandschaft, sondern auch nach Geschichten und passenden Drehorten. "Auch Rechtsanwälte oder Polizisten haben schon mal einen Krimi mitentwickelt".

Damit die Soko L.E. auch richtig in der Stadt "geerdet" wird, macht Winger jetzt bei den fürs Filmgeschäft maßgeblichen Würdenträgern die Runde. Oberbürgermeister Tiefensee, schon vom Namen her dicht an der Erde, habe eigens für die Filmproduzenten eine "Soko" im Rathaus eingerichtet. "Wir haben dort einen festen Ansprechpartner." Immerhin könne sich eine Stadt wie Leipzig keine bessere Imageförderung als eine Top-Krimireihe vorstellen. Sehr kooperativ habe sich auch Polizeisprecher Günther Pusch gezeigt, der Mitte 1999 bereits Filmerfahrung beim vom MDR in Leipzig gedrehten Tatort sammeln konnte: "Der hat mir gleich ein paar wilde Fälle auf den Tisch gelegt".
Außerdem lockt die Ufa natürlich mit Ausbildungsplätzen, die der von Arbeitslosigkeit ausgedörrten Stadt nur gut tun können. Auf Assistentenebene (von der Regie bis zur Maske) sollen junge Leute aus der Region praxisbezogen ausgebildet werden, um so die Defizite in der Infrastruktur zu überwinden. Die Mitteldeutsche Medienförderung (MDM), die ihren Sitz seit 1999 in Leipzig hat, spendiert den Zuschuß von 1,8 Millionen DM allerdings satzungsgemäß nur unter der Bedingung, dass die Menschen der Region an der Wertschöpfung beteiligt werden. Winger will außerdem ein halbes Dutzend Praktikanten beschäftigen (entweder direkt bei der Ufa, oder bei der MDM melden). Die meisten Hauptdarsteller unter den insgesamt 80 Rollen, die für die erste Sendestaffel zu vergeben sind, kommen allerdings aus dem Westen, weil eben auch drei Viertel des ZDF-Publikums vor westdeutschen Mattscheiben sitzt.

Kaum zu glauben, dass die Ufa einst wegen politisch-weltkriegerischer Ursachen gegründet wurde. Am 4. Juli 1917 unterschrieb der Generalquartiersmeister Erich Ludendorff ein Memorandum, in dem "die Vereinheitlichung der deutschen Filmindustrie" gefordert wird, "um nach einheitlichen großen Gesichtspunkten eine planmäßige und nachdrückliche Beeinflussung der großen Massen im staatlichen Interesse zu erzielen". An die Stelle der nationalistischen Machtgelüste, welche die Filmlandschaft früher bedrohte, tritt heute das Kalkül der großen Konzerne.

So wird es zwar in der Medienstadt Leipzig künftig viel friedlicher als 1917 zugehen, aber keinesfalls weniger spannend. Denn der Ufa-Brückenkopf ist als Landung im Feindesland zu verstehen. Während der MDR bekanntlich gute Beziehungen zum Münchner Großunternehmer Leo Kirch pflegt, gehört die Ufa zum Gütersloher Medienimperium Bertelsmann. In Leipzig prallen nun die Konzerne aufeinander, die europaweit um die Tortenstücke des digitalen Films- und Fernsehens buhlen. Jörg Winger wünscht sich fern von den Machtspielchen der vorgesetzten Konzernbosse mit dem MDR "eine gute Zusammenarbeit."
DANIEL STURM

Ufa Film- und Medienproduktion, Inselstr. 22, Tel. 98 49 10
Hans Borgelt: Die Ufa - ein Traum. Berlin: edition q, 1993. 303 Seiten, 49,80 DM. Im Netz: Http://www.ufa.de