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Interview mit Wolfgang Tiefensee, Oberbürgermeister
der Stadt Leipzig
Kreuzer, November 1999
KREUZER: Herr Tiefensee, im selben Maße,
in dem Ihre Partei bei den Kommunalwahlen in Leipzig eingebrochen ist,
wächst Ihnen eine Rolle als Hoffnungsträger der Ost-SPD zu.
Haben Sie diese Entwicklung so kommen sehen?
Tiefensee: Ich bin von den Einbrüchen nicht überrascht, was
den prozentualen Rückgang angeht schon. Und was meine Person angeht,
bin ich auch etwas überrascht.
KREUZER: Fühlen Sie sich geschmeichelt, wenn Ihnen die taz attestiert,
"Schröders Liebling" zu sein?
Tiefensee: Der Artikel geht mit Vokabeln um, die nicht stimmen. Ich
habe nie gesagt, daß ich die Politik Schröders im Kleinen
hier vollziehe. Aber es tut schon gut und es tut auch der Stadt Leipzig
gut. Daß die Resonanz auf die Stadt durch meine Person größer
geworden ist, ist unbestritten. Das beginnt bei der Frage, wo man über
den Wahlabend in Sachsen berichtet, wenn nicht in Dresden. Gerade ist
der Vertreter der Süddeutschen Zeitung hiergewesen, die Korrespondenten
von taz, Focus und Spiegel waren auch da.
KREUZER: Würden Sie denn gerne einer von Schröders Stellvertretern
sein?
Tiefensee: Nein, es gibt sechs Stellvertreter und ich denke der Osten
ist gut vertreten.
KREUZER: Sie sind 1995 in die SPD eingetreten, weil sie glaubten, dort
am besten "mit Augenmaß für wirtschaftliche und soziale
Belange" eintreten zu können. Müssen Sie sich nicht darauf
einrichten, daß die Sachsen weiter wirtschaftlich mit CDU und
sozial mit PDS verbinden?
Tiefensee: Genau, das ist eine der Kernfragen, daß sich offensichtlich
in der Sicht der Wähler diese beiden Fragen auf die Parteien CDU
und PDS zuspitzen. Durch eine Bewegung der SPD in die Mitte wird am
linken Rand etwas frei, obwohl die PDS oft gar nicht als linke Partei
auftritt. Und während in diese Lücke in den alten Bundesländern
eigentlich nur die Nichtwähler stoßen, sind es im Osten die
Nichtwähler und die PDS-Wähler. In der Zukunft werden wir
klarmachen müssen, welches Profil die SPD zwischen diesen beiden
Polen hat. Und eins ist klar: Es täte dem Freistaat Sachsen und
dem Osten Deutschlands nicht gut, wenn sich die Wählerschaft nur
auf diese beiden Parteien CDU und PDS konzentrieren könnte.
KREUZER: Nun ist die PDS auch in Leipzig im Vormarsch. Sie hat bei der
Sachsen-Wahl den 2. Platz vor der SPD gemacht, sie verfügt jetzt
im Stadtrat über 19 Sitze - genauso viel wie die Sozialdemokraten.
Eine scharfe Abgrenzung treibt ihr nur mehr Wähler zu. Wie werden
Sie im Stadtrat von Leipzig mit der PDS umgehen?
Tiefensee: Mir geht es um die Wählerschaft der PDS. Ich bin der
Auffassung, daß mit einem geschärften Profil der SPD einem
Großteil der PDS-Wähler in den sozialen Fragen klargemacht
werden kann, daß die eigentliche Heimat ihrer Gedanken die SPD
ist. Ich glaube, daß wir in Leipzig gut damit gefahren sind, die
stadtentwicklungspolitisch wichtigen Fragen quer über alle Fraktionen
im Konsens zu diskutieren. Das berühmte Leipziger Modell ist nicht
das Prinzip der "wechselnden Mehrheit", wie Herr Schimpff
immer sagt, sondern es ist das Werben um Mehrheit über eine SPD/CDU-Mehrheit
hinaus. Wenn das so ist, dann leitet sich daraus mein Verhältnis
zur PDS eindeutig ab. Deshalb gibt es keine Haudrauf-Politik, andererseits
aber muß es eine scharfe Abgrenzung geben.
KREUZER: Wie können Sie das Profil der SPD schärfen?
Tiefensee: Wir haben nach wie vor strukturelle Probleme. In Sachsen
sind 5.500 Mitglieder in der SPD, 28.000 in der PDS und 18.000 in der
CDU. Die SPD ist eine junge Partei und hat demzufolge ein schwächeres
Hinterland. Sie muß stärker auf die Jugendlichen setzen und
aufpassen, daß sich PDS nicht mit diesem jugendlichen Protestsinn
verbindet, mit der Ausrichtung, soziale Probleme in den Vordergrund
zu stellen. Was das Profil der SPD nach wie vor ausmacht, ist, nicht
wie die CDU ausschließlich den Arbeitgeber in den Blickpunkt zu
stellen, nicht eine Wirtschaftspolitik nur im Sinne der Verkehrs- und
Infrastruktur zu machen und in der Kommune nicht allein die Fragen der
Sicherheit in den Vordergrund zu stellen, also letztlich die Prioritäten
der Bürgerumfragen abzuarbeiten. Und auf der anderen Seite eine
Partei wie die PDS, die ganz stark den Begriff der sozialen Gerechtigkeit
in den Vordergrund stellt, ohne sich danach zu fragen, wie das gedeckt
ist mit dem, was machbar ist. Die SPD wird ihr Profil schärfen,
wenn sie sich erstens um die Wirtschaftskraft und den Arbeitsmarkt kümmert
und auf der anderen Seite deutlich macht, daß ihr diejenigen genauso
wichtig sind, die dicht an der Kante stehen. Der Wähler muß
begreifen, daß er zwischen diesen beiden anderen Polen wählen
kann. In dem Maß aber, wie es sich auf diese beiden zuspitzt,
wird eine wichtige politische Alternative geschwächt, die den Ausgleich
zwischen diesen beiden Polen will.
KREUZER: Das sind nun alles Themen, die von der Bundes-SPD abhängen.
Das können Sie als Oberbürgermeister hier vor Ort gar nicht
so gut machen.
Tiefensee: Nehmen wir mal an, der Oberbürgermeister hat in der
Stadt etwas zu sagen, wovon ich ausgehe. Da ist es doch ein Unterschied,
ob ich jetzt alles - koste es was es wolle - in den Straßenbau
und die Sicherheitsproblematik stecke - und alles andere wirklich nachrangig
betrachte. Oder ich lege das Steuer auf die andere Seite und sage, wir
müssen kostenlose Kindertagesstätten schaffen und überstrapaziere
den Haushalt. Eine viel klügere Politik ist doch, wenn man den
Ausgleich schafft.
KREUZER: Wäre es da nicht doppelt schlau, sowohl in Leipzig als
OB prominent vertreten zu sein als auch im Bundesvorstand?
Tiefensee: Ja. Aber das ist ein riesiger Unterschied zum Amt des stellvertreten
Vorsitzenden. Ich bin im Sommer ohne mein Zutun für den Bundesvorstand
ins Gespräch gekommen und das hat seither eine Eigendynamik entfaltet.
Und ob Sie es mir abnehmen oder nicht, ich sehe das auch immer auf dem
Hintergrund, ob so eine Aufgabe unserer Stadt oder Sachsen zugute kommen
kann. Es ist natürlich angenehm, auch überregional als Hoffnungsträger
apostrophiert zu werden. Ich will mir diese ehrenamtliche Aufgabe ausdücklich
offen halten, denn mir ginge nichts am Oberbürgermeister-Dasein
verloren. Daß einer, der in der praktischen Politik steht, in
dieser Funktion seine Stimme erhebt, könnte sehr wichtig sein.
Im Laufe der nächsten Wochen werden wir das entscheiden.
KREUZER: Zurück zur Kommunalpolitik. Im Rathaus hat sich das Kräfteverhältnis
verändert: Die CDU ist nun die stärkste Partei. Wie sieht
da Ihr neuer Kurs aus, wird es eine feste Vereinbarung mit den Konservativen
geben?
Tiefensee: Es gab eine feste Vereinbarung, doch deren Gegenstände
waren einigermaßen nebulös. Ich kann mir durchaus vorstellen,
daß sich SPD und CDU in einem Grundsatzpapier oder auch wieder
in einem Konsens-Dissens-Papier in einer höheren Qualität
darüber abstimmen, was in der Priorität der nächsten
Legislaturperiode zu machen ist und wo man unterschiedlicher Meinung
ist. Man muß sagen, was man nachrangig behandelt haben will.
KREUZER: Was sind die nebulösen Stellen im alten Papier?
Tiefensee: Man kann zum Beispiel da reinschreiben, daß die beiden
Parteien das wohnungspolitische Konzept unterstützen. Da tut keiner
niemandem weh, und man hat auch nicht allzu viel gesagt. Wir müssen
uns vielmehr darauf verständigen, ob wir Geld aus dem zweiten Arbeitsmarkt
in die Gründerzeitsubstanz stecken wollen, ob das Wohnungsamt als
ein Amt für sozial Gefährdete weiter bestehen soll und wie
wir mit Obdachlosen und Asylbewerbern umgehen.
KREUZER: Wann wird der neue Konsens-Dissens gefunden sein?
Tiefensee: Das eilt doch nicht, da geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Die politischen Entscheidungen stehen in der großen Dimension
Anfang nächsten Jahres an, wenn wir im Februar den Haushalt verabschieden
wollen. Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik.
KREUZER: Können Sie der Tatsache etwas abgewinnen, daß es
in Leipzig rein rechnerisch eine "linke Mehrheit" gibt?
Tiefensee: Die Mehrheit sehe ich, es motiviert mich aber nicht, mit
der PDS zusammenzugehen.
KREUZER: Die Hausmacht der CDU in Sachsen rückt auch die Sicherheit
an prominente Stelle. Leipzig ist eine Modellstadt für Videoüberwachung
- nicht unbedingt ein klassisches Thema der SPD...
Tiefensee: Ich habe überhaupt das Gefühl, wenn ich die Äußerungen
der CDU summarisch sehe, daß eigentlich keine wesentlich neuen
Akzente gesetzt werden. Die CDU fordert mit markigen Sprüchen,
wir müßten mehr für den Straßenbau tun. Da verweise
ich gerne auf einen genauen Blick in den aktuellen Haushalt: wir haben
300 Millionen für Investitionen ausgegeben, und stecken 100 Millionen
in den Straßenbau. Ich finde ein Drittel ist schon eine ganze
Menge.
KREUZER: Noch einmal: Sicherheit ist doch ein klassisches CDU-Thema.
Ist das nicht Wasser auf den Mühlen derer, die bei diesem Thema
doch lieber gleich das Original wählen, also die CDU?
Tiefensee: Ich halte nichts von einer ideologisch geprägten Parteidebatte.
Wenn ich es für wichtig erachte, daß in dieser Stadt Straßen
gebaut werden, dann ist es uninteressant, ob das landläufig ein
SPD oder ein CDU-Thema ist. Ich denke, daß in der Kommunalpolitik
die Meinungen so weit nicht auseinander gehen, da die Handlungsspielräume
begrenzt und die Lösungsunterschiede nicht so unterschiedlich sind.
Ich behaupte mal, es ist vom Wähler bei der letzten Kommunalwahl
nicht berücksichtigt worden, daß wir eine ganz ausgewogene
Stadtpolitik machen und die Balance aus Straßenbau, Sicherheit,
Sozialem - sprich unser Modell des zweiten Arbeitsmarktes, Kindertagesstätten,
drittes/viertes Kind kostenlos und die Kulturausgaben - halten. Das
müßte eigentlich honoriert werden.
KREUZER: Nun kommt mitten in diese Ausgewogenheit, die sie fortzuführen
gedenken, dieser politische Poltergeist Schimpff, den Sie vor der Nase
haben werden. Wie sehen Sie der Auseinandersetzung entgegen?
Tiefensee: Ich sehe dem - wie soll ich sagen - mit Interesse entgegen.
Wir haben profilierte, charismatische CDU-Politiker im Stadtrat über
acht Jahre lang gehabt. In der Sicherheitsdebatte haben wir die Schlachten
mit Herrn Schilling oder Herrn Clemen gefochten. Wenn es um die Kultur
ging, erinnere ich mich an schöne Debatten mit Herrn Kölsch,
und auch mit Herrn Bullinger haben wir trefflich gestritten, als es
um die Connewitzer Szene ging. Wir werden uns mit Herrn Schimpff ...
ich weiß gar nicht, warum ich den Namen so oft in den Mund nehme!
Er ist ein normaler Fraktionsvorsitzender, der seine Meinung hat. Mich
erstaunt natürlich, daß er es einen Eklat nennt, wenn er
bei einer ganz normalen Abstimmung unterliegt. Gut, das kommt im Landtag
relativ selten vor, aber ein Eklat ist es nicht.
KREUZER: Er hat ja von sich selbst gesagt, er sei ein politisches Schwergewicht.
Tiefensee: Ich habs noch nicht gesehen. Einer, der überall was
tönt, ist doch nicht allein dadurch ein Schwergewicht. Es kommt
darauf an, ob man auf eine ganz schwierige Frage eine ganz schwergewichtige
Lösung durchzusetzen weiß.
KREUZER: Das führt uns zu einem wichtigen Hauptthema: Das Sparen.
Schröder muß im Bund sparen, Sie in Leipzig: Was kommt an
Einsparungen auf die Stadt zu?
Tiefensee: Schröder hat später angefangen, oder besser gesagt,
die Bundeskanzler haben später angefangen als die Stadt Leipzig.
Wir sparen, wir schneiden weg, um im konsumptiven und investiven Bereich
Freiraum zu haben. Wir wollen keine neuen Großprojekte. Das Bildermuseum
mit drei mal 20 Millionen DM steht dem Straßenbau mit drei mal
90 Millionen DM gegenüber. Was ist das Großprojekt? Auch
der City-Tunnel mit jetzt fünf bis zehn Millionen DM steht einem
Kulturetat der Oper mit zehn bis 15 Millionen DM gegenüber. Auch
hier: Was ist das Großprojekt? Wir werden in der Breite investieren
und da liegt das Schwergewicht wieder im Straßenbau, weil auch
diesmal Gelder vom Freistaat kommen. Das nächste Schwergewicht
ist in der gründerzeitlichen Substanz, also dem Ausgleich der Stadtteile.
Wir werden im zweiten Arbeitsmarkt - sprich Vergabe ABM - investieren,
um den Wohnungsbau voranzubringen. Wir werden im Freizeit, Sport- und
Kulturbereich zulegen müssen. Wir werden sogar unseren Investitionshaushalt
ausweiten, weil wir einen kleinen Teilbetrag aus den Stadtwerksverkauf
reinnehmen. In diesem Jahr waren es 25 (undeutliche Stelle auf Band:
oder 125 Millionen?) von den insgesamt 420 Millionen und im kommenden
Jahr rechnen wir mit 20 Millionen DM.
KREUZER: Und wo wird gespart?
Tiefensee: Da haben wir fünf Kategorien, die im Haushalt 2000 insgesamt
einhundert Millionen DM von 2,6 Milliarden DM Sparvolumen auf den Tisch
zu bringen haben. In den ersten drei Kategorien, strategische Fragen,
ämterübergreifende Projekte und Modernisierung, möchte
ich 20 Millionen DM einsparen. Ich will den Bürgern deutlich machen,
daß wir bei uns selbst den Gürtel enger schnallen, also nicht
die Leistungen des Bürgers minimieren, sondern wir wollen schlicht
schlanker werden. Wir legen Abteilungen zusammen, wir werden die Müllabfuhr
ausgliedern und der Leipziger Verkehrs- und Versorgungs GmbH unterordnen.
In der Kategorie vier stecken die Dezernate, die 60 Millionen einsparen
müssen. Wir werden also in den Dezernaten Stellen abbauen. In der
Kategorie fünf sind die Eigenbetriebe der Stadt, die die restlichen
20 Millionen Mark einsparen müssen.
INTERVIEW: Daniel Sturm / Björn Achenbach
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