Stasi im Bunker
Kreuzer, Juni 2000
Schilder am Zaun wiesen das unscheinbare Gelände
im Wald als "VEB-Wasserwirtschaft" aus. Eine fast perfekte
Tarnung für den Stasi-Bunker bei Machern, in dem im Ernstfall 1000
Mitarbeiter von Mielkes Terror-Truppe Unterschlupf gefunden hätten.
Am 31. August vor zehn Jahren richtete das Bürgerkomittee in der
"Runden Ecke" ein Museum ein, nachdem es '89/90 die Stasizentrale
aufgelöst hatte. Die kleine Schwester, das Bunker-Museum im Wald,
ist eine spannende Ergänzung. Eine Reportage von Daniel Surm (Text)
und Uwe Frauendorf (Bilder).
Von außen wirkt es völlig unscheinbar,
vielleicht wie eines dieser vielen Ferienwohnheime, die in der DDR fast
jeder Betrieb hatte. So ein Haus könnte überall stehen, sicher.
Doch genau auf diese Wahrnehmung hatte es die Stasi angelegt, die mit
tarnen, täuschen, verstecken bestens vertraut war. Und so hat die
Anfahrt zum berüchtigten Stasi-Bunker bei Machern, Lübschitzer
Teiche, etwa von einer nachholenden Erfahrung mit Mielkes Geheimdienst.
Erlebnislandschaft Stasi pur.
"Es hat den Anschein eines gewissen Widersinns und manche mögen
meinen: erst lösen wir die Stasi auf, dann verherrlichen wir das
Militär", sagt André Rotter und öffnet die gepanzerte
Einganstür zum Bunker. Der 30jährige arbeitet im Bürgerkomitte
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS) und
steht nicht im Verdacht, mit dem Militär allzu viel am Hut zu haben.
1989 war er froh, den Dienst mit der Waffe abgelehnt zu haben. "So
habe ich ein bißchen Wende mitgemacht." Doch Rotter ist nicht
am Stasi-Militaria-Zirkus interessiert. Er will den "authentischen
Ort" erhalten, wie er sagt. Weil fast alle Bunker-Technik seit
dem Ende der DDR demontiert wurden, ging das Leipziger Bürgerkomitee
dazu über, den Urzustand wieder herzustellen. Zu sehen sind sowjetische
U-Boottechnik zur Luftfilterung, Gasmasken, über 20 Stasi-typisch
eingerichtete Offiziers-Büros - und eine Folienschweißmaschine,
mittels derer die Bunker-Toten in Folie verpackt worden wären,
damit sie nicht anfangen, die knapp vorhandene Luft zu verpesten.
"Dass hier täglich sechst Werktätige per Auto herkamen,
war schon ein wenig ungewöhnlich für ein Wasserwerk",
erzählt Rotter. Aber die Tarnung war trotzdem nicht schlecht. Legendiert
war das fünf Fußballplätze große Gelände
als Naherholungsobjekt "VEB-Wasserwirtschaft". Dazu gab es
besonders süß aussehende Schilder mit aus Draht gebogenen
Rehlein. Das Gelände ist in zwei Zonen eingezäunt. In den
Hundezwingern nächtigten drei scharfe Köter, die die Wachmannschaft
auf ungebetene Gäste aufmerksam machen sollte. Wanderer verirrten
sich aber ohnehin selten in das abgelegene Waldstück am Rande der
angrenzenden Alfred-Frank-Gartensiedlung.
Die Stasi-Tarnung flog im Dezember 1989 auf. Da wurde selbst in Wurzen
gegen die Macht des Staates demonstriert und der Macherner Pfarrer Süß
verkündete vor der Menge: "Auch in Machern gibt es Stasi-Objekte."
Der Staat hatte Angst, also schickte er drei Tage später den Staatsanwalt
mit Polizeifahrzeugen beim vorlauten Pfarrer vorbei. "Na, Herr,
Süß, da schauen wir uns diese angeblichen Objekte doch mal
gemeinsam an." In der Nähe des unentdeckten Stasi-Bunkers
liegt ein Richtfunkturm. Damals mit patroullierte dort die Polizei,
rund um die Uhr mit Hunden. Der Turm wirkte ebenfalls verdächtig,
denn es gab dort auch kein Firmenschild. "Für einen DDR-Bürger
war klar, es mußte Stasi sein." Tatsächlich aber war
es ein Turm der Deutschen Post. Enttäuschung unter den Pfarrern.
Doch der Abschnittsbevollmächtigte (ABV) hatte sich wohl in seiner
Ehre getroffen gefühlt - und verplapperte sich. In seinem Territorium
gebe es ein Objekt, wo nicht einmal er Zugang hätte. Da war das
Geheimnis raus. Am 7. Dezember ließ man die Pfarrer zum Objekt
vor - am 14. Dezember gab es erstmals eine Begehung im kleinen Kreis.
Den Bunker und das kleine Reich drumherum befehligte Stasi-Major Siegfried
Bredel. "Sozialismus war auch immer Leben für die Sache und
so", sagt Rotter sarkastisch. Nur die obere Etage des Wohnhauses,
das in der äußeren Zone liegt, sei vom Kommandanten privat
genutzt worden. In der unteren Etage waren Schulungsräume. Die
sechs ständigen MfS-Mitarbeiter gingen bei Majors zur Toilette
und wurden von Frau Bredel, die mit Soldatendienstgrad als Reinigung-
und Küchenkraft eingestellt war, bekocht. Alle 14 Tage gab es einen
Schulungstag, an dem gar 15 Mann bei Bredels die Toilette und Küche
mitnutzten. Da platzte Major Bredel der Kragen, erzählte er 1999
dem Museums-Macher Rotter. Wenig später bauten die Stasi-Mitarbeiter
ein Sozialgebäude.
Das Gespräch mit dem Stasi-Mann zu arrangierern, erzählt Rotter,
sei nicht leicht gewesen. Der Presse gelang es nicht, an den Major heranzukommen
und wenn, dann brummte er etwas von "mit diesem Kapitel abgeschlossen."
Dass es schließlich doch klappte, hat zum guten Teil mit der gekränkten
Ehre des Majors zu tun, der im "Sinne der Wahrheitsfindung mit
den Gerüchten um den Bunker" aufräumen wollte. Denn seitdem
im Juni 1991 der Bunker zu einer öffentlichen Begehung freigegeben
wurde, hielten sich hartnäckig Geschichten über goldene Wasserhähne.
Kaum einer wußte etwas, aber alle erzählten viel. Und so
trafen sich die Interessen von Stasi-Mann und Stasi-Forscher ausgerechnet
in puncto Wahrheitsfindung.
Im Gespräch mit dem Stasi-Offizier erfuhr Rotter: er habe damals
zurecht fürchten müssen, dass der "Pöbel" auch
vor seiner Tür auflaufen würde. Die "Runde Ecke"
war vom Bürgerkomittee am 4. Dezember besetzt worden. Da habe von
der Stasi-Zentale ihn im Bunker angerufen und mitgeteilt: "Wir
haben mit uns selbst zu tun. Sie sind jetzt allein verantwortlich."
So führungslos sei sich der Major nie vorgekommen, schließlich
war er jahrelang direkt der Leipziger Stasi-Führung unterstellt.
Die ließen ihn einfach fallen. Nach dem Ende der Stasi/SED-Herrschaft
sah die DDR-Regierung den Bunker erst für den neuen Geheimdienst
vor, dann wollte man der Nationalen Volkarmee übergeben. Das Bürgerkommitte
protestierte und rief die Medien am 10. Januar zu einer Pressekonferenz
vor dem Tor. Das wirkte. Im Frühjahr 1990 wurde der Bunker demontiert
und seither eine Weile als Lager genutzt, zum Tag der offenen Tür
strömten 20.000 nach Machern. Im Juli 1991 dankte Bredel als Bunker-Verwalter
ab.
"Ausweichführungsstelle" hieß der Bunker im Stasi-Jargon
und das bedeutet: er sollte im Falle einer unmittelbaren kriegerischen
Bedrohung dem Leipziger Stasichef, Generalmajor Hummitzsch, und seinen
Getreuen Platz machen. Als reiner Befehlsbunker mit Betten für
rund 100 MfS-Mitarbeiter sowie zwei KGB-Verbindungsoffiziere: Von hier
aus wären die Isolierungslager für die Andersdenkenden geplant
worden. Von hier wären Truppen dirigiert worden - allein im Bezirk
Leipzig gab es 2.400 hauptamtliche und 10.000 inoffizielle Mitarbeiter
(IM). Es ist allerdings längst nicht ausgemacht, ob die Stasi nicht
eventuell den Krieg nach innen ausgerufen hätte, wenn nicht alles
so schnell gekommen wäre - meint Tobias Hollitzer vom Bürgerkomittee
im KREUZER-Interview (siehe unten). Der gesamte Kreis Wurzen hätte
der Stasi im Ernstfall Quartier bieten müssen. Die Stasi-Menschen
wären in Gaststätten und Schulen eingezogen. Die Wurzener
hatten zwar meistens kein eigenes Telefon, aber an den Häusern
waren Verteiler für den geheimdienstlichen Kabelanschluß
installiert. Die Bunker-Besatzung hatte straffe Arbeitspläne, schließlich
galt es die Logistik der sogenannte B-Struktur (für den Mobilmachungsfall)
von 7 bis 17 Uhr zu kontrollieren.
Der Bunker ist vollgepropft mit den Exponaten des Kalten Krieges. Kampfgas-Meßgerät,
Dosimeter, 16 verschiedenen Stollen und zusätzlich Sanitäteinheiten,
eine Telefonanlage mit 7 Anschlüssen und 70 Teilnehmern, ein eigenes
Telefonnetz zum sowjetischen Verbündeteten - das Abhörsicherheit
für 24 Stunden gewährleistete. Ein zwei Meter dickes Kiesbett
sollte im Fall einer Detonation den Druck so abfedern, dass unten im
Bunker gleichmäßiger Luftstrom war. Viele kleine Details
muten ein wenig archaisch an, wie immer, wenn man es mit den teilweise
obskuren Techniken der Stasi zu tun bekommt. Erinnert sei nur an die
versiegelten Marmeladengläser, die Geruchsproben von Dissidenten
zur besseren Identifizierung enthielten. Gewissermaßen ein genetischer
Fingerabdruck, made by Stasi. Frank Rotter winkt ab. "Es hätte
funktioniert", sagt er und erzählt, dass ihm der Spionage-Chef
von Leipzig einen Brief geschrieben habe, in dem er sich mächtig
über "das Theater mit dem Bunker" aufregte - der böse
Westen hätte doch viel größere und teurere Bunker gebaut.
"Am Ende spiegelt der Bunker auch die wirtschaftliche Lage der
DDR wieder", entgegnet Rotter. Einen direkten Treffer hätte
der Bunker nicht ausgehalten. Aber während die Bunker der Bundesrepublik
zwar high-tech seien, habe die DDR auf Masse gesetzt. "Die Sicherheits-Organe
in der DDR hatten alle eigene Bunker. Auf Bezirksebene, die Polizei,
die SED-Bezirksleitung, jede der 13 Leipziger Kreiseinsatzleitungen."
Offizieller Eigentümer des Bunkerareals ist das Landratsamt Muldental,
das Bürgerkomittee ist seit Mai letzten Jahres Pächter für
99 Jahre. Damit aus dem Projekt ein richtiges Museum werden kann, haben
Rotter und Co. beim Landratsamt jetzt ine Nutzungsänderungs beantragt.
"Eigentlich ist es jetzt noch die Ausweichführungsstelle."
Ironie an der Umwandlung: Der Atombunker muß wieder gewartet werden
wie zu Stasi-Besatzungszeiten. Bei Stromausfall springen die Not-Aggregate
an. Der Notausstieg wurde wieder hergerichtet mit Feuerlöscher
und Sanitätskasten. "Die Führungskräfte haben immer
Taschenlampen dabei."
DANIEL STURM
Stasi-Bunker in Machern, Alfred-Frank-Siedlung 439 (Abfahrt in Richtung
Lübschützer Teiche). Führung an jedem letzten Samstag
im Monat, Öffnungszeit 13 - 16 Uhr. Eintritt 5 DM / 3 DM ermäßigt).
Projektreferent André Rotter: (0341) 9 61 24 43. Bürgerkomittee
Leipzig e.V. für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit
(MfS), Dittrichring 24. 04003 Leipzig, Tobias Hollitzer Tel. (0341)
9 6 47 21 79.