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Die Stimme des Ostens
Jochen Ramisch war die Stimme des Leipziger Stadtfunks
Kreuzer, November 2000

Von Daniel Sturm

Jochen Ramisch ist eine wichtige Stimme in Leipzig. Wer Straßenbahn fährt, hat seinen warmen Bariton noch bis vor kurzem die Haltestellen ansagen hören. Und wer ihn besucht, muß unbedingt darauf bestehen, ihn darum zu bitten, die Herren Honecker oder Ulbricht zu imitieren. Das kann er vor allem so gut, weil er ein Radio-Mann.

Bereits 1985 wollte er beim Leipziger Stadtfunk andocken. "Doch da war ich den Kameraden im Rathaus nicht rot genug." Dieser Nachteil fiel im Zuges des "Anschlusses", wie Ramisch die deutsche Vereinigung liebevoll nennt, 1990 weg. Zu DDR-Zeiten war der Stadtfunk klares Parteiorgan, 90 Lautsprecheranlagen beschallten die Stadt zur Mittagszeit mit langweiligen Losungen oder trüben Wettervorhersagen. Jochen Ramisch ist froh, erst nach der Wende in das kleine Tonstudio im Ratszimmer 116 gekommen zu sein. Denn Stadtfunk vor 89 - das konnte auf die Nerven gehen, "und hätte ich in der Nähe einer Tonsäule gewohnt, hätte ich das Ding wahrscheinlich abgesägt." Einmal hat er dann doch freiwillig Vertretung gemacht im Stadtfunk-Büro, ausgerechnet zur Kommunalwahl. Von acht bis abends sechs wurden frische Jugend- und Kampflieder gespielt, alle 20 Minuten gab es "Wählt die Kandidaten der nationalen Front"-Aufrufe.

Wende, Wandel, Wechsel - das sind für den Nachrichtensprecher und Moderator Ramisch, der heute bei Radio Blau eine eigene Sendung fährt ("Die schöne Schlagerrevue"), nur schnöde Worte. Die altgedienten Stadtfunk-Leute wären nach 1990 natürlich weiter nur in der Lage gewesen nachzubeten, was ihnen von oben vorgegeben wurde - nun vermittelt über die fein demokratisch besetzten Ratsstuben (Pressesprecher wurde der Bürgerrechtler Reinhard Bohse). Im Stadtfunk erlebte Ramisch, wie Kollegen wegen Stasi-Mitarbeit entlassen wurden oder aus Alters- bzw. politischen Gründen gingen. Der wachsende Verkehrslärm und die unnachgiebige Haltung der sächsischen Landesmedienanstalt, die seit 1993 die Abschaltung des "Staatsfunks" forderte, machten dem Prinzip Stadtfunk den Garaus. Im Sommer 1998 wurde abgeschaltet. Seither macht Ramisch die Außenbeschallung bei Veranstaltungen der Stadt und schneidet allenfalls für sein Privatarchiv mit, wenn Biedenkopf und Co. sprechen.

Jochen Ramisch arbeitete vor 1989 in einem Kaufhaus für den textilen Einzelhandel am List-Platz, fuhr in einem Betriebsfunkstudio eine Radiosendung für Betriebsmitglieder. Er pries Hosen an, sagte Wetter durch und legte in der "Mittags-Diskothek" Schallplatten auf. Bei der Titelauswahl, erzählt Ramisch lachend, habe er ziemlich angeeckt. Da habe er "Der Student aus Uppsala" und dann "Der Student aus Heidelberg" gespielt, und dann habe man ihn zum Parteionkel zitiert. Ob er denn nicht wüßte, wo Uppsala bzw. Heidelberg liegen.

Was ihm aus der "damaligen" Zeit fehlt, sind die Hof-Feten in der Eisenbahnstraße, wo er in einer duften Gemeinschaft wohnte. "In dem Haus, wo ich jetzt wohne, kenne ich gerade mal die Namen." Geblieben ist die Liebe zum Radio. So hat der 45-Jährige aus der DDR echte dokumentarische Schätze herübergerettet. Wie der SED-Parteisekretär Paul Fröhlich - "das muß ein scharfer Hund gewesen sein" - kurz nach dem Mauerbau in der oberen Wandelhalle vor Abschnittsbevollmächtigten (ABV) die Parteilinie durchgepeitscht. "Der wollte doch alle, die nicht mitspielten, erschießen lassen." Das hat sich Jochen Ramisch aufbewahrt.