Luft fürs soziale Jahr ist sehr dünn
Nur eine einzige Stelle besetzt / Viele Jugendliche hätten jedoch Interesse
daran
Berliner Zeitung, March 16, 1994
Von DANIEL STURM
Königs Wusterhausen. Wer Luft schnappen möchte
in sozialen Berufen, hat in KW kaum eine Chance. Ab September 1994 laufen
dann in Brandenburg mindestens 50 Prozent der Fördermittel für das
"Freiwillige Soziale Jahr" (FSJ) aus. In KW ist schon jetzt
nur eine Stelle besetzt.
Mandy K. (19) aus Oranienburg hat sich "schon
immer" für den sozialen Bereich interessiert. Nach dem Abitur
packte sie die Gelegenheit beim Schopf und bewarb sich für eine FSJ-Stelle
im Asylbewerberheim in Ludwigsfelde.
Etwas Sinnvolles tun
Mit 640 Mark und kostenloser Unterkunft wurde
Mandy entlohnt. Von der Gelegenheit, zwischen Schule und Ausbildung
einen Beruf zu erkunden und gleichzeitig "etwas Sinnvolles zu tun",
hatte sie in einer Broschüre erfahren.
Doch Mandy ist derzeit die einzige FSJ-Helferin
im Landkreis, und andere Stellen sind bereits ausgelaufen. Denn solchen
"Luxus" kann sich künftig kaum ein Verband mehr leisten.
"Es sieht wirklich düster aus", beschreibt
Inge Hoffmann vom Landesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) die Situation.
Vielen FSJ-Bewerbern müsse man eine Absage erteilen, "weil einfach
kein Geld da ist". Denn die freien Träger müßten künftig rund
1 000 Mark ohne Landesfördermittel aufbringen, um eine Stelle zu finanzieren.
Bei einem geschätzten Bedarf von 150 FSJ-Helfern in Brandenburg macht
diese Rechnung klar, wie vertrackt die Lage ist.
"Ich kenne nicht einen einzigen Dienst, der
sich das leisten könnte", erläutert Michael Schmidt, Geschäftsführer
des Behindertenverbandes. Immer häufiger würden Jugendliche vorsprechen,
die sich "hautnah" mit dem Thema Behinderung befassen wollten.
Leider kann Schmidt den Bewerbern (1993 waren es vier) kaum Hoffnungen
machen, obwohl er selbst schon einmal eine Informationsveranstaltung
über das FSJ angeboten hat. Schmidt plagen derzeit andere Sorgen: Die
Zivildienst-Stellen müssten von zwölf auf vier gekürzt werden. "Der
ganze mobile soziale Hilfsdienst ist bedroht."
Besonders schmerzlich bekommt Dr. Peter Ernst,
Leiter des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), die Zuschusskürzungen zu
spüren. "Wir hatten sogar vier FSJler", blickt er in die
Vergangenheit. Mit den auslaufenden Fördermitteln ist es beim ASB auch
mit dem FSJ aus. Dabei konnte der Verband den jungen Hilfskräften sogar
Unterkunft bieten - die eigenen Zuschüsse hielten sich mit 200 bis
400 Mark im Bereich des Machbaren. Eingesetzt wurden die FSJler in der
Behindertenbetreuung oder in Asylbewerberwohnheimen. Sprachkenntnisse
waren dort erwünscht.
Helfer sehr gefragt
Angelika Steckler, Kreisgeschäftsführerin der
Johanniter-Unfallhilfe, wünscht sich nichts dringlicher als eine FSJ-Helferin:
"Wir würden sofort jemand übernehmen." Mit der Volkshochschule
hat sie jetzt wenigstens einen Vertrag über zwei Praktikantenstellen
abschliessen können. Susanne Boehnke, Geschäftsführerin der Volkssolidarität,
hat bisher niemanden bekommen können. Dabei bedauert sie, dass das
bei den gekappten Fördermitteln auch in Zukunft so bleiben wird, weil
es "genug Jugendliche gibt, die mit sozialen Impulsen auf der Strasse
stehen".