Daniel Sturm
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Doc Schneider
Leipziger Erinnerungen an den Bauunternehmer und Hochstapler Dr. Jürgen Schneider anläßlich seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Aufgeschrieben von Daniel Sturm
Kreuzer, Januar 2000

Hinrich Lehmann-Grube, damals Oberbürgermeister der Stadt Leipzig
Sein Kontakt: Ich kannte den Mann damals gar nicht. Einmal habe ich ihm auf einem Empfang mal guten Tag gesagt. Das war's.
Der "Fall" Schneider: Als Schneider hochging, sprachen hier in Leipzig alle von einer Katastrophe. Meine Haltung unterschied sich deutlich: "Nun wartet doch einmal ab, ob ein Schaden entstanden ist", sagte ich. In einer Fernsehsendung tauchte ich dann prompt auf als der "Politiker, der abwiegelt". Es erfüllt mich mit Genugtuung, dass meine Einschätzung nicht falsch war: Schneider schuldete der Stadt nichts. Es gab drei Baustellen, die ein halbes Jahr lang still gestanden haben. Unser Konfliktmanagement sah so aus: Betriebe, die wegen Schneider in durch Zahlungsunfähigkeit kamen, haben Präferenz bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen bekommen.
Die moralische Seite: Was Schneider zum Volkshelden macht, ist die Mischung aus elegantem Unternehmer und liebenswertem Hochstapler. Es gibt ja Leute in Leipzig, die ihm ein Denkmal setzen wollen. Ich gehöre nicht dazu, denn Schneider hat betrogen.
Offene Fragen: Ich habe keine Lust und kein Bedürfnis, Schneider irgendwelche Fragen zu stellen. Weder im Gefängnis noch sonstwo.

Nils Gormsen, Planungs- und Baudezernent a. D.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die erste Begegnung mit Dr. Jürgen Schneider. 1991 verhandelte eine Gruppe von Investoren mit uns darüber, den Fürstenhof als Hotel aufzustocken. Beim Termin auf der Baustelle stand ein Herr, der sich als Dr. Schneider vorstellte. Und als ich ihn auf die Leute ansprach, mit denen ich den Termin abgemacht habe, sagte er: "Die kommen nicht, wir haben das Ganze gekauft." Sinngemäß hat er damals gesagt: "Ich verlege meine Aktivitäten nach Leipzig, ich will ganz Leipzig sanieren."
Sicher, Schneider ist damals schon ein wenig großkotzig aufgetreten und ließ sich auch gerne feiern. Aber das gehört nun mal zum Geschäft. Mit ihm konnte man sich wenigstens gut unterhalten, weil er nicht bloß dieses vordergründige bauliche Interesse hatte. Da gab es ganz andere Investoren, die wirklich großkotzig mit ihrem Geld um sich schmissen. Das ging bis zu einer goldenen Uhr, die mir mal einmal einer als Bestechungsangebot auf den Tisch gelegt hat.
Schneider hat jedoch vieles gemacht, wogegen sich andere Bauherrn sträubten. In seinen Objekten sind im Erdgeschoß nirgends größere Bankareale. Einen ähnlichen Kampf habe ich im übrigen mit den Banken ausgefochten. Das hat mir auch manche Kritik eingebracht, weil ich sagte, wir dürften in der Innenstadt nicht den Banken das Feld überlassen. Die sind in einer Geschäftsstraße so schlimm wie Spielhallen. Wir haben dann auch einen Bebauungsplan aufgestellt, in dem wir Banken nur in beschränktem Umfang in einem Erdgeschoß in der Geschäftsstraße zuließen.
Es gab dann noch eine Phase, wo wir uns über den Schneider auf hoher Ebene Gedanken gemacht haben - beim Oberbürgermeister in der Dienstberatung, die immer Montags stattfindet. Der Stern hatte einen reißerisch aufgemachten Bericht gedruckt: "Ganz Leipzig gehört der Mafia". Da müßten wir doch irgendwie aufmerksam geworden sein! Der Sache sind wir prompt nachgegangen und haben geprüft, ob zum Beispiel häufig Erwerber aus Italien vorkommen. Das hätte ja dann darauf hingedeutet, dass es die Mafia gewesen wäre. Als und aber auffiel, dass der Herr Schneider sehr viele Grundstücke erworben hatte, überlegten wir zuerst: ist Dokor Schneider vielleicht ein Strohmann der Mafia? Die Sizilianer mögen sich gedacht haben, wir kaufen das nicht selber durch unsere Familie, das wäre zu auffällig, sondern wir nehmen einen wohl beleumundeten Deutschen, der das für uns macht. Hätte ja sein können. Als nun Schneider im April 1994 verschwunden war, vermuteten wir sofort: er sitzt sicher in Sizilien bei seinen Mafia-Freunden, die ihn aus dem Verkehr gezogen haben.
Ich bin mir sicher, dass Schneider nicht in der Absicht hier angefangen hat, Pleite zu machen, sondern in der ‹berzeugung nach Leipzig kam, dass er ein gutes Geschäft macht. Ungefähr ein dreiviertel Jahr vor dem April 1994 muß ihm klargeworden sein, dass er es nicht schafft. Mich würde interessieren: wie hat er auf diese Erkenntnis reagiert? Er hätte ja einige seiner Objekte abstoßen können, denn zu dieser Zeit hätte er ja sogar noch Geld dafür bekommen. Warum hat er das nicht gemacht? Er ist ein großes Schlitzohr und hat die Leute sehr betrogen, deswegen bin ich nicht unbedingt dafür, dass man ihn zum Ehrenbürger macht.

Peter Elsner, Dachdecker
Von Schneider bekam ich den Auftrag, die Dächer von Barthels Hof, Steibs Hof, Fürstenhof und Königshof zu decken. Da war ich zu Vertragsverhandlungen bei Schneiders Leuten in Königsstein/Taunus. Das waren keine Dummköpfe. Ich war sehr froh über den Auftrag, denn jeder Handwerker ist froh, solche Prestigeprojekte in seiner Liste zu haben. Am Tag vor Karfreitag 1994 - wir hatten gerade mal vier Wochen gearbeitet - bekam ich um sechs Uhr ein Fax von Schneider, wo drin stand, dass er sich aus gesundheitlichen Gründen zurückzieht. Da dachte ich mir: "Aha, er geht in Rente". Auf den Baustellen sah ich einige Kollegen aus dem Westen ihr Material wegschleppen, schließlich wußten die, was ein Konkurs war. 1 Millionen DM waren bereits verbaut, aber noch nicht bezahlt. 25 von 180 Mitarbeitern mußten wir entlassen, und die Löhne und Gehälter kürzen. Bei Barthels Hof hat die Hypo-Bank nur 60 Prozent der Schulden übernommen. Der Lehmann-Grube war recht geschockt, als ich in der Pressekonferenz aufstand und sagte: "Es stimmt nicht, daß keine Handwerker geschädigt wurden." Meine Firma hat den Schneider-Konkurs damals zwar überlebt, aber unsere Gewinne wurden aufgefressen. Aber das schlimmste war, dass unsere Händler seither nur noch Bares sehen wollten, weil sie wußten, dass unser Auftraggeber Schneider war. Heute sehe ich das so: Schneider trifft keine Schuld. Der Grund für die schlechte Zahlungsmoral sind die Banken. Da ist doch was faul dran, dass die von "peanuts" sprechen und ihn außerdem nicht aus dem Gefängnis rauslassen. Da wollen einige Rache nehmen.

Der Puppendoktor, Gábor Zsitva
Doktor Jürgen Schneider war unsere Rettung. Wir hatten 1991 Probleme, die Miete in der Handwerkerpassage zu bezahlen. Wir waren ja noch die Mieten aus DDR-Zeiten gewohnt. Eines Tages winkte Doktor Schneider meiner Frau Heide durchs Schaufenster freundlich zu, er hatte von unseren Problemen gehört und sagte: "Wir haben gewissermaßen das gleiche Handwerk. Ich restauriere Häuser und Sie Puppen. Unser Handwerk darf auf keinen Fall kaputt gehen". Er hat uns dann fast zwei Jahre lang Monat für Monat einen Scheck in Höhe von 2000 DM zukommen lassen. Als wir zur Eröffnung der Mädler-Passage in Auerbachs Keller kamen, ging er vor laufender Kamera des ZDF auf meine Frau zu, umarmte sie mit den Worten: "Meine liebe Puppendoktorin". Er war ein ganz herrlicher Mensch. Damals dachten wir: jemand, der Milliarden für historische Bauten ausgibt, hat das Geld. Die 2000 DM, die uns sehr viel schienen, waren für ihn sicher ganz normales Sponsoring. Ich hielt ihn für einen realistischen Menschen. Wie Kinder eben mit Baukötzen rumwürfeln, so würfelte Doktor Schneider mit Gebäuden. Seine plötzliche Flucht im April 1994 hat es uns auch finanziell sehr weh getan. Schließlich hätte das Sponsoring noch bis Juni dauern sollen und wir hatten uns schon ausgemalt, dass, wenn Barthels Hof einmal fertig saniert ist, er uns in seiner Großzügigkeit vielleicht dafür anwerben will. Dass wir im April 1997 schließlich doch noch in Barthels Hof einziehen konnten, ist ein glücklicher Zufall. Ich hoffe, daß er seine Häuser aufsuchen wird, wenn er frei ist. Ich weiß nicht, ob wir ihn dann zum Essen einladen könnten. Er lebt ja auf großem Fuße, obwohl er angeblich mittellos ist.