"Ich darf die Stimme des Volkes
machen"
Kreuzer, April 2000
Frieder Schäuble ist der ältere Bruder
des an der Spendenaffäre gescheiterten CDU-Chefs, der am 1. April
seinen Posten räumt. Der Leipziger Wirtschaftsanwalt betrachtet
die Lage der großen Volkspartei, der er nie dienen wollte, recht
abgeklärt. Einen Fernsehapparat hat er nicht, und auch Helmut Kohl,
den großen Widersacher seines Bruders Wolfgang, kennt er nicht
persönlich. Dennoch schließt er sich dem Familienurteil über
den Dicken diplomatisch an. "Ich verabscheue Helmut Kohl"
hat der jüngste Bruder Thomas Schäuble neulich im Namen der
family gesagt. Der KREUZER sprach mit dem 62jährigen Anwalt.
KREUZER: Wie sind Sie nach Leipzig gekommen?
Frieder Schäuble: Ich hatte im Stuttgarter Amerikahaus seit Anfang
der 70er Jahre ein Institut für amerikanisches Englisch. 1990 haben
meine Freunde zu mir gesagt: "Ja Mensch, die im Osten müssen
jetzt doch Englisch lernen, das sind riesen Chancen!". Nachdem
ich im Juni von einem Erkundungstrip nach Leipzig zurückgekehrt
bin, war meine erste Meinung: "Da kriegt mich kein Mensch hin".
Gleichzeitig haben wir in meiner damaligen Kanzlei immer wieder diskutiert,
ob wir ein Büro in den neuen Bundesländern aufmachen wollen.
KREUZER: Und dann sind sie nach drüben gegangen?
Schäuble: Nachdem ich wochenlang gelesen habe, wie die Ostdeutschen
von Vertretern aller Art über den Tisch gezogen wurde, dachte ich
mir: "Wenn diejenigen, die sich für seriöser halten,
alle sagen, da gehe ich nie im Leben hin, dann kann das auch nicht funktionieren!".
Leipzig war die Stadt, die man im Westen am meisten kannte. Deshalb
haben wir hier unser Büro im Herbst 1991 aufgemacht.
KREUZER: Und ein Sprachinstitut dazu. Sind Sie im Nebenberuf Lehrer?
Schäuble: Nein, das war der blanke Zufall. Ich bin in der französischen
Besatzungszone aufgewachsen und habe ein Jahr in Paris als Anwalt gearbeitet.
Zurück in Stuttgart habe ich eingesehen, dass ich Englisch lernen
muß. Mein Privatlehrer Alan, ein amerikanischer Student, fand
es blöd, dass es in Stuttgart ein Amerikahaus ohne Englischunterricht
gab. Spontan habe ich dem Alan die Planung hingeschmissen, weil ich
ja Wirtschaftsanwalt war. Eine Assistentin in meinem Anwaltsbüro
hat die Geschäftsführung übernommen.
KREUZER: Und das haben Sie 1992 in Leipzig wiederholt?
Schäuble: Hier habe ich Karin, meine zweite Frau, kennengelernt.
Ich habe sie von ihrem Job als Kreisgeschäftsführerin der
CDU abgeworben. Bis 1998 hat sie das Sprachinstitut geleitet, bevor
wir es an einen Englischlehrer weiterverkauft haben. Zur Zeit managt
meine Frau den Opernball 2000. Ich selbst bin, da ist Zimmermann schuld,
seit Sommer letzten Jahres Vorsitzender des Förderkreises der Oper.
KREUZER: Wie unterscheiden sich Stuttgart und Leipzig, aus der Sicht
des Wirtschaftsanwalts?
Schäuble: Das Spannendste ist, dass ich am Aufbau von Wirtschaftsunternehmen,
leider auch an deren Sanierung, mitwirke. Richtig gut werden nicht so
sehr viele.
KREUZER: Lassen Sie mal die 60er Jahre in Westdeutschland revue passieren.
Inwiefern war es damals leichter, ein Unternehmen erfolgreich zu gründen?
Schäuble: Damals ist ein Unternehmen mit einem Markt, der ständig
wuchs, automatisch mitgewachsen. Was jedoch hier an Nachfrage vorhanden
ist, wird sehr stark aus dem Westen bedient. Die Westdeutschen der 50er
Jahre hingegen mußten sich nicht gegen ausländische Konkurrenz
wehren, da gab es fette Einfuhrzölle. Ab 1952 begann das Wirtschaftswunder,
d.h. den Unternehmern ging es kontinuierlich besser. Hier ist die Situation
sehr viel schwieriger.
KREUZER: Ist das der Grund, warum es heute mehr Wirtschaftskriminalität
gibt?
Schäuble: Das ist sicher eine Ursache. Eine anderer Grund: in den
50er Jahren ging es allen gleich. Ein gebürtiger Leipziger, der
seinen Job gerade mal behalten hat, und in den Westen herüberreist,
kann allerdings nicht zufrieden sein.
KREUZER: Hatten Sie als Anwalt mit Wirtschaftskriminalität zu tun?
Schäuble: Nein, wir machen überhaupt kein Strafrecht.
KREUZER: Glauben Sie, dass Elf Aquitaine Schmiergelder bezahlt hat,
um in den Osten zu kommen?
Schäuble: Ein Wirtschaftsanwalt kann sich das sehr gut vorstellen.
Bei dem bißchen, was ich von Elf Aquitaine weiß, würden
mich allenfalls die Dimension erschüttern. Da gibt es all die Vermittler,
und wenn Sie da nicht genug Geld hinblättern, dann bleiben Sie
besser Zuhause.
KREUZER: Warum sind Sie nie in die große Politik gegangen?
Schäuble: Ich kann zum Beispiel meine Frau auf dem Augustusplatz
küssen, ohne gleich in der BILD-Zeitung zu stehen. Bevor ich mit
28 Jahren Wirtschaftsanwalt wurde, war ich Landesvorsitzender des RCDS
(Anmerkung der Redaktion: eine CDU-nahe Studentenorganistation). Meine
Erfahrungen haben mich nicht veranlaßt, dabei zu bleiben.
KREUZER: Warum?
Schäuble: In der Politik müssen Sie Rücksichten nehmen,
die über das hinausgehen, was ich im Geschäftsleben tun muß.
Wenn dieses Büro nur drei Großmandanten hätte, von denen
wir dann abhängig wären, wäre das fatal.
KREUZER: Im Fernsehen war neulich ein sehr junger Anwalt zu sehen, der
gegen eine Strafe für die CDU in Höhe von 41 Millionen DM
argumentierte.
Schäuble: Ich muß Ihnen ein Geständnis machen: Wir haben
seit fünf Jahren keinen Fernseher, das heißt, ich kriege
einen Teil der Affäre schlicht nicht mit.
KREUZER: Sie wollen behaupten, dass Sie alles über die CDU-Affäre
nur durch Gespräche mit ihrem Bruder Wolfgang wissen?
Schäuble: Ich ziehe meine Informationen aus Zeitung, Radio - und
den familiären Quellen.
KREUZER: Wird die CDU nach dem Ausscheiden Ihres Bruders nach rechts
abrutschen? Müssen Sie das als Vorsitzender des Europahauses Leipzig
nicht befürchten?
Schäuble: Das wäre für mich eine Frage der Mitgliedschaft,
aber das ist nicht zu befürchten. Wir sollten allerdings offen
über die Osterweiterung reden und ob wir die Türkei wirklich
in der Europäischen Union haben wollen.
KREUZER: Schürt man damit nicht Fremdenfeindlichkeit, wenn man
gerade hier in Leipzig gegen die Osterweiterung ist?
Schäuble: Schon richtig. Deshalb war die Kampagne gegen die doppelte
Staatsangehörigkeit für die CDU ein rechter Eiertanz. Man
kann mit guten Argumenten dagegen und auch dafür sein. Das Problem
ist nur, dass man sehr schnell die falschen Freunde kriegt. Im Europahaus
können wir dieses Thema offener diskutieren als die Parteien der
Regierung oder der Opposition.
KREUZER: Die rechten Organisationen verzeichnen Zulauf, wie reagieren
Sie darauf?
Schäuble: Das Beste ist, jeder fängt bei sich selber an und
läßt in seinem Umfeld möglichst wenig dummes Geschwätz
durchgehen.
KREUZER: Haben Sie selbst Unterschriften gesammelt gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft?
Schäuble: Nein, aber ich habe in einigen Fällen zu diesem
Thema Vorträge gehalten und möglichst redlich über Pro
und Kontra informiert.
KREUZER: Zur aktuellen Spendenaffäre und zu Kohls Ehrenwort: fehlen
einem da nicht die Worte?
Schäuble: Doch. Meine Frau und ich haben gesagt: Verflixt noch
mal, von uns wird auch erwartet, dass wir die Gesetze einhalten. Und
von einem Bundeskanzler gleich zweimal.
KREUZER: Kennen Sie ihn persönlich?
Schäuble: Ich war zwar beim Kanzlerfest. Aber kennen tu ich den
Herrn Kohl nicht. Das wäre glatt gelogen.
KREUZER: Ihr Bruder Thomas hat gesagt, dass er Kohl "verabscheut".
Sehen Sie das ähnlich?
Schäuble: Ich nehme da kein Jota weg. Ich finde es gut, dass mein
Bruder das gesagt hat.
KREUZER: Gibt es bei solchen Fragen eine Dreieckschaltung: Frieder -
Wolfgang - Thomas?
Schäuble: Die beiden Jüngeren besprechen eine ganze Menge
im Voraus, während ich nur gefragt werde, wenn es ganz heikel wird.
Aber ich bin in politischen Fragen auch ein totaler Dilettant. Was ich
in den letzten Wochen aus der Familie an Hintergründen gehört
habe, ist nicht normal. Ab und zu treffen wir uns, und dann darf ich
die Stimme des Volkes machen.
KREUZER: Man merkt Ihnen eine recht fröhliche Gelassenheit darüber
an, dass sie die große Politik nicht aus der Nähe sehen müssen.
Schäuble: Es ist auch so. Ich fühle mich um Längen freier,
als wenn ich ein höheres politisches Amt hätte.
KREUZER: Es gibt nur wenige Familien, in denen zwei Brüder politische
Karrieren gemacht haben. War das manchmal anstrengend?
Schäuble: Nein. Es hat uns allen irgendwie Spaß gemacht.
INTERVIEW: DANIEL STURM