"Nebel der Geschichte"
Kreuzer, November 2000
Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen
Museums, über die bevorstehende Sanierung des Völkerschlachtdenkmals,
nationale Symbole und die Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg.
KREUZER: Herr Rodekamp, die Leipziger Ratsversammlung
hat im Juli letzten Jahres beschlossen das Völkerschlachtdenkmal
zu sanieren. Man will unter anderem erreichen, dass das Denkmal nicht
als Aufmarschfläche für alles Völkische und Rechtsradikale
herhält. Wie soll das gehen?
Rodekamp: Sie haben das sehr martialisch eingeführt. Das ist ja
nur ein kleiner historischer Raum gewesen, in dem das so intensiv passiert
ist. Ich gehe der Frage nach, wie gehen wir eigentlich mit diesen nationalen
Symbolen um, die ehemals für etwas Trennendes standen, in einem
Europa, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, zusammenzurücken
und die historisch verengte Perspektive des Nationalen zu überwinden.
KREUZER: Welches Symbol sehen Sie in Monumenten wie dem Völkerschlachtdenkmal?
Rodekamp: Ich sehe sie eher als Wegmarken und Erinnerungssymbole für
eine gemeinsame europäische Geschichte. Das ist das Credo, warum
ich mich für das Denkmal einsetze.
KREUZER: Die Ratsversammlung hat das Stadtgeschichtliche Museum beauftragt,
das Denkmal als Ort der europäischen Versöhnung zu profilieren
in einem Zusammenschluß "wesensähnliche Memoriale".
Hat das Völkerschlachtdenkmal denn vergleichbare europäische
Verwandte?
Rodekamp: Ja und nein. Wir haben im letzten Jahr zu Partnern Kontakt
aufgenommen, die ähnliche Monumente in England, Frankreich, Belgien,
Italien und Dänemark betreiben.
KREUZER: Die Monumente stehen doch in erster Linie für das Nationale
und den Krieg. Kein Problem?
Rodekamp: Es ist immer ein bisschen falsch verstanden worden, dass wir
uns aufgemacht hätten, aus dem Völkerschlachtdenkmal ein Friedensdenkmal
zu machen. Das war von uns nie so gewollt. Wir müssen versuchen,
uns demokratisch, also offensiv und diskursiv, mit dem Thema Krieg,
Vergangenheitsbewältigung und nationalem Bewusstsein auseinandersetzen.
Die Haltung zum Denkmal soll partiell erweitert werden, ich möchte
nichts verkleistern.
KREUZER: Stichwort "Verkleistern": Beim Berliner Reichstag
ist es doch wesentlich leichter gefallen, die Rückbesinnung auf
eine demokratische Tradition zu bewerkstelligen. Christo liess ihn 1995
mit weissen Tüchern verpacken. Wäre das nicht auch eine Idee
für das Völkerschlachdenkmal?
Rodekamp: Es gab zwei Mal derartige Überlegungen: Anfang der 90er
Jahre, noch bevor der Reichstag verhüllt wurde, und ein zweites
Mal mit einer Initiative des Fördervereins direkt an Christo. Das
hat nicht getragen. Christo hat zwar geprüft, aber sinngemäss
so abgelehnt: "Der symbolische künstlerische Akt, durch eine
Verhüllung etwas sichtbar zu machen, ist im Reichstag so glücklich
gelungen, dass ein zweiter Versuch nur als Plagiat wirken könnte."
Das kann ich absolut nachvollziehen. Ein zweiter Grund: Christo versteht
sich nicht als Handlungsgehilfe für gute Ideen. Er kann sich als
Künstler schlecht mit Situationen auseinandersetzen, wo Dritte
eine Idee an mich herantragen.
KREUZER: Verpacken scheidet also aus. Sie basteln aber doch sicher an
eigenen Konzepten. Wie sehen die aus?
Rodekamp: Es gibt bereits eine erste Idee. So wollen wir die beiden
Ebenen im Denkmal ganz andersartig als bisher bearbeiten. In der oberen
Empore wollen wir die Frage stellen, wie kommt es zum Krieg und was
können wir aus historischen Erfahrungen lernen, um so etwas Desaströses
in der Zukunft verhindern zu können. Das werden wir mit gardinenartigen
und bildbefrachteten Leinwänden tun. Dieses soll als "Nebel
der Geschichte" über allem schweben. Für die untere Halle,
der Krypta, haben wir ein fantastisches Angebot einer grossen Bildagentur,
die Menschen in ihrer kulturellen Geprägtheit zeigt. Damit wollen
wir die Vielfalt des Lebens und die Menschlichkeit farbig inszenieren.
In der Mitte des Krypta-Bodens wird ein symbolischer Rasen unterbeleuchtet
inszeniert, wo immer die Orte des Grauens des 20. Jahrhunderts immer
wieder aufleuchten. Diese Konzeption sieht in keiner Weise didaktische
Methoden vor, sondern möchte mit rein assoziativen Mittel arbeiten.
Gleichzeitig soll es emotionale Impulse geben und wir gehen davon aus,
dass es gelingen kann, das Innere des Gebäudes ganz anders als
bisher wahrzunehmen. Als eine kalte, grosse ehrfurchtsgebietende, irgendwo
bedrohliche Halle, sondern dass das gefüllt wird mit Menschlichkeit.
KREUZER: Planen Sie diese Installation als Dauereinrichtung?
Rodekamp: Ja. Diese medien-orientierte Darstellung ist natürlich
technisch sehr aufwändig. Allerdings habe ich an mehreren Stellen
für solch ein Projekt geworben und es wäre nicht ganz ausgeschlossen,
dass wir für dieses weithin kommunizierbare Konzept einen grossen
Sponsor finden. Die Ausstellung könnte auch bei laufender Sanierung
stattfinden.
KREUZER: Das Völkerschlachtdenkmal ist wegen seiner Einzigartigkeit
auch ein wichtiger Standortfaktor. Halten Sie es auch deshalb für
richtig, dass man das Denkmal auf Vordermann bringt?
Rodekamp: Ohne Zweifel ist es das markanteste Bauwerk der Stadt und
hat eine erhebliche touristische Bedeutung. Die Kritik bezieht sich
auf das erkennbare Missverhältnis, dass wir auf der einen Seite
300.000 Besucher im Jahr zählen, auf der anderen Seite aber das
Erscheinungsbild in und um das Denkmal einen etwas lieblosen Eindruck
macht. Zum jetzigen Zeitpunkt entspricht das Denkmal nicht den heutigen
Bedürfnissen der Öffentlichkeit. Wir müssen uns mit dem
Gewdanken anfreunden, dass immer mehr Leute mit immer weniger Hintergrundinformation
an solche Orte strömen und deshalb brauchen wir eine sinnvolle
Didaktik.
KREUZER: Das Denkmal sagt erst einmal nichts. Ist nicht genau diese
Offenheit der Grund für die Instrumentalisierung des Denkmal als
Aufmarschfläche? Immerhin haben sich die organisierten Neonazis
hier in den letzten Jahren recht wohlgefühlt.
Rodekamp: Denkmäler sagen immer etwas. Es stand für die einstige
Grösse des deutschen Reiches. Der Besucher wurde auf normal Null
Niveau heruntergeschraubt und sollte erst einmal ehrfürchtig durchatmen,
bevor er dieses geheiligte Feld betritt. Das ist nicht mehr unsere Sprache,
aber wir können diese Wirkung nicht wegdeuten. Ich selbst wohne
hier in unmittelbarer Nachbarschaft und habe den Aufmarsch der Neonazis
erlebt. Ich sehe eine Gefahr auf uns zukommen. Das wäre eine vergleichbare
Situation wie in der Weimarer Republik, wo die junge demokratische Deutschland
der 20er Jahre keine Haltung zu diesem Denkmal fand. Man empfand es
als ein ungeliebtes Überbleibsel einer überwunden geglaubten
Zeit, nämlich des Wilhelminismus. Da man das Monument aber nicht
integrieren wollte, konnte es erst diesen Magnetismus entwickeln für
rechtsnationale Kreise ganz unterschiedlicher Coleur. Wir müssen
uns hier europäisch, mehr-sprachig und offen präsentieren,
um einer eindimensionalen Instrumentalisierung des Ortes nicht Vorschub
zu leisten.
KREUZER: Mit ähnlicher Absicht haben Sie im September eine Ausstellung
eröffnet: "Fremde in Deutschland, Deutsche in der Fremde".
Waren Sie nicht irritiert, dass bei den Feiern zur Deutschen Einheit
zwar viel von West- und Ostdeutschen die Rede ist. Die 8 Mio. Einwohner
ohne deutschen Pass aber beflissentlich weggelassen werden?
Rodekamp: Ich finde, dass das ein Defizit ist. Es wird immer wieder
vergessen, dass Deutschland ein Amalgam ganz unterschiedlicher Strömungen
von Kultur ist und dass wir sehr davon profitiert haben. Wenn Sie die
Situation nach 1945 sehen: Viele Menschen waren auf der Flucht und suchten
nach einer neuen Identität. Wir hätten aus der Integration
der vielen Flüchtlinge aus den Ost-Regionen mehr lernen sollen.
Ich wünschte mir, dass wir das Fremde als Qualität akzeptieren
und nicht angstvoll immer wieder nach den Abschottungsmechanismen schauen.
KREUZER: Sie deuteten im Alten Rathaus eine Tradition der Offenheit
an, die mit dem florierenden Messegeschäft zusammenhängt.
Rodekamp: Eine 500-Jährige weltoffene Tradition muss bei den Menschen
so etwas bewirkt haben wie ein Gen nach Weltbürgertum. Auch wenn
Sie eine solche Gesellschaft über eine gewisse Zeit hinweg wie
in einem Dampf drucktopf versuchen von der Umwelt abzuschliessen, dann
ist in so einer Gesellschaft das Erinnern an die weltoffenen Zeiten
ungebrochen stark. Ich glaube, dass es in der DDR nur Leipzig hätte
sein können, wo die Menschen auf die Strasse gehen. Ich kann es
aber historisch nicht belegen.
KREUZER: Ein Leipziger Student notierte 1739 seine Beobachtungen: "Ungarn,
Siebenbürgen, Türken, Griechen, Armenier, Chinesen, Persianer,
Mohren, Russen, Holländer, Engländer in ihren verschiedenen
seltsamen zum Teil seidenen, bunten, geblümten Kleidern, wobei
der Bund und die Dolche mit Edelsteinen besetzt waren, in den Gassen."
So multikulturell geht es in Leipzig heute nicht mehr zu.
Rodekamp: Ich komme aus Westdeutschland und bin es in großen Städten
gewohnt, mit einem erkennbaren Ausländeranteil zu leben und habe
das nie als ein Problem angesehen, ganz im Gegenteil. Leipzig ist eine
Stadt ohne große Sichtbarkeit von Multikulturalität. Eine
Stadt, die auch heute noch "in deutscher Ruhe" verhaftet ist,
ganz anders, als ich das aus Essen, Dortmund oder Köln kenne, wo
jeder Vierter ein Ausländer ist. Ich persönlich habe solche
Städte immer als sehr interessant empfunden.
KREUZER: Der Schluss wäre dann der: wenn Leipzig als Marktplatz
an frühere Zeiten anknüpfen könnte, wäre es auch
als multikulturelle Lebenswelt interessanter?
Rodekamp: Die Unsicherheit kann mit wirtschaftlichem Ertfolg kompensiert
werden, ganz klar. Ich war Austausch-Student in Vancouver/Kanada, und
habe dort ein Lebensgefühl entdeckt, jeden vorbehaltlos willkomen
zu heissen. Das finde ich klasse. Da haben wir in Deutschland noch einiges
vor uns, so etwas zu erreichen.
KREUZER: Als kleiner Junge haben Sie erlebt, wie der 1 Millioneste (italienische)
Gastarbeiter ein Moped geschenkt bekam, das Sie sich damals auch gewünscht
haben. Wie wichtig sind solche Zeichen der Toleranz?
Rodekamp: Wichtiger als die grossangelegten Gesten des Symbolischen
ist die Lebenspraxis der Offenheit. Ich würde gerne häufiger
öffentliche Begegnungen erleben. Ich würde gerne häufiger
in den Zeitungen lesen, wie es den Menschen geht, die nach Leipzig gekommen
sind.
KREUZER: Glauen Sie, dass man Erfahrungen im Umgang mit Fremden organisieren
sollte?
Rodekamp: Wir beschäftigen uns mit der Idee, am Völkerschlachtdenkmal
eine europäische Jugendgruppe zu haben, die dabei hilft, das Areal
in Ordnung zu bringen und die Ausstellung mehrsprachig zu entwickeln.
KREUZER: Herr Rodekamp, herzlichen Dank für das Gespräch.
INTERVIEW: DANIEL STURM
Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen
Museums, 47. Der studierte Ethnologe stammt ursprünglich aus Bielefeld/Westfalen.