Daniel Sturm
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"Nebel der Geschichte"
Kreuzer, November 2000

Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, über die bevorstehende Sanierung des Völkerschlachtdenkmals, nationale Symbole und die Auseinandersetzung mit dem Thema Krieg.

KREUZER: Herr Rodekamp, die Leipziger Ratsversammlung hat im Juli letzten Jahres beschlossen das Völkerschlachtdenkmal zu sanieren. Man will unter anderem erreichen, dass das Denkmal nicht als Aufmarschfläche für alles Völkische und Rechtsradikale herhält. Wie soll das gehen?
Rodekamp: Sie haben das sehr martialisch eingeführt. Das ist ja nur ein kleiner historischer Raum gewesen, in dem das so intensiv passiert ist. Ich gehe der Frage nach, wie gehen wir eigentlich mit diesen nationalen Symbolen um, die ehemals für etwas Trennendes standen, in einem Europa, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, zusammenzurücken und die historisch verengte Perspektive des Nationalen zu überwinden.

KREUZER: Welches Symbol sehen Sie in Monumenten wie dem Völkerschlachtdenkmal?
Rodekamp: Ich sehe sie eher als Wegmarken und Erinnerungssymbole für eine gemeinsame europäische Geschichte. Das ist das Credo, warum ich mich für das Denkmal einsetze.

KREUZER: Die Ratsversammlung hat das Stadtgeschichtliche Museum beauftragt, das Denkmal als Ort der europäischen Versöhnung zu profilieren in einem Zusammenschluß "wesensähnliche Memoriale". Hat das Völkerschlachtdenkmal denn vergleichbare europäische Verwandte?
Rodekamp: Ja und nein. Wir haben im letzten Jahr zu Partnern Kontakt aufgenommen, die ähnliche Monumente in England, Frankreich, Belgien, Italien und Dänemark betreiben.

KREUZER: Die Monumente stehen doch in erster Linie für das Nationale und den Krieg. Kein Problem?
Rodekamp: Es ist immer ein bisschen falsch verstanden worden, dass wir uns aufgemacht hätten, aus dem Völkerschlachtdenkmal ein Friedensdenkmal zu machen. Das war von uns nie so gewollt. Wir müssen versuchen, uns demokratisch, also offensiv und diskursiv, mit dem Thema Krieg, Vergangenheitsbewältigung und nationalem Bewusstsein auseinandersetzen. Die Haltung zum Denkmal soll partiell erweitert werden, ich möchte nichts verkleistern.

KREUZER: Stichwort "Verkleistern": Beim Berliner Reichstag ist es doch wesentlich leichter gefallen, die Rückbesinnung auf eine demokratische Tradition zu bewerkstelligen. Christo liess ihn 1995 mit weissen Tüchern verpacken. Wäre das nicht auch eine Idee für das Völkerschlachdenkmal?
Rodekamp: Es gab zwei Mal derartige Überlegungen: Anfang der 90er Jahre, noch bevor der Reichstag verhüllt wurde, und ein zweites Mal mit einer Initiative des Fördervereins direkt an Christo. Das hat nicht getragen. Christo hat zwar geprüft, aber sinngemäss so abgelehnt: "Der symbolische künstlerische Akt, durch eine Verhüllung etwas sichtbar zu machen, ist im Reichstag so glücklich gelungen, dass ein zweiter Versuch nur als Plagiat wirken könnte." Das kann ich absolut nachvollziehen. Ein zweiter Grund: Christo versteht sich nicht als Handlungsgehilfe für gute Ideen. Er kann sich als Künstler schlecht mit Situationen auseinandersetzen, wo Dritte eine Idee an mich herantragen.

KREUZER: Verpacken scheidet also aus. Sie basteln aber doch sicher an eigenen Konzepten. Wie sehen die aus?
Rodekamp: Es gibt bereits eine erste Idee. So wollen wir die beiden Ebenen im Denkmal ganz andersartig als bisher bearbeiten. In der oberen Empore wollen wir die Frage stellen, wie kommt es zum Krieg und was können wir aus historischen Erfahrungen lernen, um so etwas Desaströses in der Zukunft verhindern zu können. Das werden wir mit gardinenartigen und bildbefrachteten Leinwänden tun. Dieses soll als "Nebel der Geschichte" über allem schweben. Für die untere Halle, der Krypta, haben wir ein fantastisches Angebot einer grossen Bildagentur, die Menschen in ihrer kulturellen Geprägtheit zeigt. Damit wollen wir die Vielfalt des Lebens und die Menschlichkeit farbig inszenieren. In der Mitte des Krypta-Bodens wird ein symbolischer Rasen unterbeleuchtet inszeniert, wo immer die Orte des Grauens des 20. Jahrhunderts immer wieder aufleuchten. Diese Konzeption sieht in keiner Weise didaktische Methoden vor, sondern möchte mit rein assoziativen Mittel arbeiten. Gleichzeitig soll es emotionale Impulse geben und wir gehen davon aus, dass es gelingen kann, das Innere des Gebäudes ganz anders als bisher wahrzunehmen. Als eine kalte, grosse ehrfurchtsgebietende, irgendwo bedrohliche Halle, sondern dass das gefüllt wird mit Menschlichkeit.

KREUZER: Planen Sie diese Installation als Dauereinrichtung?
Rodekamp: Ja. Diese medien-orientierte Darstellung ist natürlich technisch sehr aufwändig. Allerdings habe ich an mehreren Stellen für solch ein Projekt geworben und es wäre nicht ganz ausgeschlossen, dass wir für dieses weithin kommunizierbare Konzept einen grossen Sponsor finden. Die Ausstellung könnte auch bei laufender Sanierung stattfinden.

KREUZER: Das Völkerschlachtdenkmal ist wegen seiner Einzigartigkeit auch ein wichtiger Standortfaktor. Halten Sie es auch deshalb für richtig, dass man das Denkmal auf Vordermann bringt?
Rodekamp: Ohne Zweifel ist es das markanteste Bauwerk der Stadt und hat eine erhebliche touristische Bedeutung. Die Kritik bezieht sich auf das erkennbare Missverhältnis, dass wir auf der einen Seite 300.000 Besucher im Jahr zählen, auf der anderen Seite aber das Erscheinungsbild in und um das Denkmal einen etwas lieblosen Eindruck macht. Zum jetzigen Zeitpunkt entspricht das Denkmal nicht den heutigen Bedürfnissen der Öffentlichkeit. Wir müssen uns mit dem Gewdanken anfreunden, dass immer mehr Leute mit immer weniger Hintergrundinformation an solche Orte strömen und deshalb brauchen wir eine sinnvolle Didaktik.

KREUZER: Das Denkmal sagt erst einmal nichts. Ist nicht genau diese Offenheit der Grund für die Instrumentalisierung des Denkmal als Aufmarschfläche? Immerhin haben sich die organisierten Neonazis hier in den letzten Jahren recht wohlgefühlt.
Rodekamp: Denkmäler sagen immer etwas. Es stand für die einstige Grösse des deutschen Reiches. Der Besucher wurde auf normal Null Niveau heruntergeschraubt und sollte erst einmal ehrfürchtig durchatmen, bevor er dieses geheiligte Feld betritt. Das ist nicht mehr unsere Sprache, aber wir können diese Wirkung nicht wegdeuten. Ich selbst wohne hier in unmittelbarer Nachbarschaft und habe den Aufmarsch der Neonazis erlebt. Ich sehe eine Gefahr auf uns zukommen. Das wäre eine vergleichbare Situation wie in der Weimarer Republik, wo die junge demokratische Deutschland der 20er Jahre keine Haltung zu diesem Denkmal fand. Man empfand es als ein ungeliebtes Überbleibsel einer überwunden geglaubten Zeit, nämlich des Wilhelminismus. Da man das Monument aber nicht integrieren wollte, konnte es erst diesen Magnetismus entwickeln für rechtsnationale Kreise ganz unterschiedlicher Coleur. Wir müssen uns hier europäisch, mehr-sprachig und offen präsentieren, um einer eindimensionalen Instrumentalisierung des Ortes nicht Vorschub zu leisten.

KREUZER: Mit ähnlicher Absicht haben Sie im September eine Ausstellung eröffnet: "Fremde in Deutschland, Deutsche in der Fremde". Waren Sie nicht irritiert, dass bei den Feiern zur Deutschen Einheit zwar viel von West- und Ostdeutschen die Rede ist. Die 8 Mio. Einwohner ohne deutschen Pass aber beflissentlich weggelassen werden?
Rodekamp: Ich finde, dass das ein Defizit ist. Es wird immer wieder vergessen, dass Deutschland ein Amalgam ganz unterschiedlicher Strömungen von Kultur ist und dass wir sehr davon profitiert haben. Wenn Sie die Situation nach 1945 sehen: Viele Menschen waren auf der Flucht und suchten nach einer neuen Identität. Wir hätten aus der Integration der vielen Flüchtlinge aus den Ost-Regionen mehr lernen sollen. Ich wünschte mir, dass wir das Fremde als Qualität akzeptieren und nicht angstvoll immer wieder nach den Abschottungsmechanismen schauen.

KREUZER: Sie deuteten im Alten Rathaus eine Tradition der Offenheit an, die mit dem florierenden Messegeschäft zusammenhängt.
Rodekamp: Eine 500-Jährige weltoffene Tradition muss bei den Menschen so etwas bewirkt haben wie ein Gen nach Weltbürgertum. Auch wenn Sie eine solche Gesellschaft über eine gewisse Zeit hinweg wie in einem Dampf drucktopf versuchen von der Umwelt abzuschliessen, dann ist in so einer Gesellschaft das Erinnern an die weltoffenen Zeiten ungebrochen stark. Ich glaube, dass es in der DDR nur Leipzig hätte sein können, wo die Menschen auf die Strasse gehen. Ich kann es aber historisch nicht belegen.

KREUZER: Ein Leipziger Student notierte 1739 seine Beobachtungen: "Ungarn, Siebenbürgen, Türken, Griechen, Armenier, Chinesen, Persianer, Mohren, Russen, Holländer, Engländer in ihren verschiedenen seltsamen zum Teil seidenen, bunten, geblümten Kleidern, wobei der Bund und die Dolche mit Edelsteinen besetzt waren, in den Gassen." So multikulturell geht es in Leipzig heute nicht mehr zu.
Rodekamp: Ich komme aus Westdeutschland und bin es in großen Städten gewohnt, mit einem erkennbaren Ausländeranteil zu leben und habe das nie als ein Problem angesehen, ganz im Gegenteil. Leipzig ist eine Stadt ohne große Sichtbarkeit von Multikulturalität. Eine Stadt, die auch heute noch "in deutscher Ruhe" verhaftet ist, ganz anders, als ich das aus Essen, Dortmund oder Köln kenne, wo jeder Vierter ein Ausländer ist. Ich persönlich habe solche Städte immer als sehr interessant empfunden.

KREUZER: Der Schluss wäre dann der: wenn Leipzig als Marktplatz an frühere Zeiten anknüpfen könnte, wäre es auch als multikulturelle Lebenswelt interessanter?
Rodekamp: Die Unsicherheit kann mit wirtschaftlichem Ertfolg kompensiert werden, ganz klar. Ich war Austausch-Student in Vancouver/Kanada, und habe dort ein Lebensgefühl entdeckt, jeden vorbehaltlos willkomen zu heissen. Das finde ich klasse. Da haben wir in Deutschland noch einiges vor uns, so etwas zu erreichen.

KREUZER: Als kleiner Junge haben Sie erlebt, wie der 1 Millioneste (italienische) Gastarbeiter ein Moped geschenkt bekam, das Sie sich damals auch gewünscht haben. Wie wichtig sind solche Zeichen der Toleranz?
Rodekamp: Wichtiger als die grossangelegten Gesten des Symbolischen ist die Lebenspraxis der Offenheit. Ich würde gerne häufiger öffentliche Begegnungen erleben. Ich würde gerne häufiger in den Zeitungen lesen, wie es den Menschen geht, die nach Leipzig gekommen sind.

KREUZER: Glauen Sie, dass man Erfahrungen im Umgang mit Fremden organisieren sollte?
Rodekamp: Wir beschäftigen uns mit der Idee, am Völkerschlachtdenkmal eine europäische Jugendgruppe zu haben, die dabei hilft, das Areal in Ordnung zu bringen und die Ausstellung mehrsprachig zu entwickeln.
KREUZER: Herr Rodekamp, herzlichen Dank für das Gespräch.

INTERVIEW: DANIEL STURM


Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums, 47. Der studierte Ethnologe stammt ursprünglich aus Bielefeld/Westfalen.