Demokratie auf Probe
Über die Politikgestaltung in den Diskussionsforen von politik-digital.de
und elektronische-demokratie.de
Media Tenor-Forschungsbericht, 8. Jahrg. Nr. 112, 15. September 2001
Von Daniel Sturm
Der Bundestagsunterausschuss Neue Medien hat mit
dem Projekt Elektronische Demokratie einen Vorstoß in Richtung
Wahlen im Internet gemacht. Seit 16. Juli wird unter der Adresse www.elektronische-demokratie.de
probehalber erst einmal über die Modernisierung des Informationsrechtes
diskutiert. Unterdessen wird im Netz fern aller Sandkastenspielchen
längst aktive Politik gestaltet. So hat politik-digital.de ein
Petitionssystem entwickelt, mittels dessen unlängst 25.000 digitale
Unterschriften gegen Werbung per E-Mail gesammelt und dem EU-Parlament
überstellt wurden. Der Medien Tenor hat die Angebote elektonischer
Demokratie unter die Lupe genommen.
Mit langsam tastenden Schritten, das allein signalisiert
schon die Einrichtung eines "Unterausschußes", bemüht
sich die offizielle Politik um die nachholende Anpassung des alten Gesetzesapparates
an die faktisch veränderte Situation in der Informationsgesellschaft.
Unter www.elektronische-demokratie.de finden Surfer Referentenentwürfe,
Gutachten und Positionen der Bundestagsfraktion zu Themen, die mit Informationstechnologie
zu tun haben. Einmal im Monat sollen dann die Internet-Beauftragten
der Fraktionen über die Weiterentwicklung der Webseite beschließen,
ehe im Oktober 2002 ein Abschlußbericht an das Parlament ergeht.
Im Idealfall soll der dann entstandene Gesetzesentwurf zur Neuregelung
des Datenschutzes aus der digitalen Koproduktion von Bürgern und
Politikern hervorgegangen sein.
Von einer Koproduktion kann jedoch momentan noch keine Rede sein, denn
von Politikerseite hat sich auf dem Forum bisher noch kaum einer zu
Wort gemeldet. Zugegeben: Auch die Netzbürger beteiligen sich nur
spärlich oder aber sie können sich nicht, was ebenso wahrscheinlich
ist, angesichts des streng moderierten Konzepts des Bundestagsprojekts
an der Zensur vorbeischummeln, denn qualitativ niederwertige Beiträge
werden einfach herausgefiltert (wie viele Politik-Desperados im Netz
unterwegs sind, die sich ihrer Verzweiflung mit Parolen Luft machen,
sieht man auch an so seriösen Foren wie die politik-digital.de).
Im Sandkasten der elektronischen Demokratie versammeln sich denn auch
kritische Stimmen: "Was erwarten denn die Damen und Herren Parlamentarier
eigentlich von diesem Forum? Potentielle Wahlkampfthemen, direkt mit
fertigem demographischen Hintergrund, damit sie wissen, wieviel Wählerstimmen
á DM 5,00 sie bei der nächsten Wahl mit dem einen oder anderen
Stichwort abgrasen können?" Ein anderer bemängelt das
strenge Themen-Sieb, das dem wichtigen Thema "Open Source Directories"
keinen Platz einräume: "Ich spreche dabei die Agendasettingdiktatur
dieser e-Demokratieseite an, nicht einmal Vorschläge zu neuen Themenkomplexen
werden erwünscht. Gerade die Tatsache, daß Deutschland in
der Nutzung und Programmierung freier Software Spitzenreiter ist, sollte
Ansporn genug sein, diese Stärke auszubauen."
Im Forum wird allerdings, wenn auch nicht mit allzu großer Beteiligung,
überwiegend sachlich diskutiert. 82 Prozent aller Beiträge
zur Einführung eines elektronischen Arzneimittelpasses sind sachlicher/konstruktiver
Natur. Auch in der Gesamtschau aller Diskussionsbeiträge, die von
der Modernisierung des Datenschutzes über die Kritik an Forum und
Bundesregierung bis hin zur Pflicht der Verschlüsselung von Daten
reichen, steht die Sachlichkeit mit 63 Prozent im Vordergrund.
Die Spielwiese von politik-digital.de ist schon regelrecht von Erwachsenen
überlaufen. Das Angebot hat seit seinem Start im Februar 1998 durch
die Nutzung plebiszitäter Elemente wie Polls, Politiker-Chats und
Diskussionsforen quasi-parlamentarischen Charakter angenommen. In mittlerweile
13 Foren finden sich 103.833 Beiträge. Allerdings geht es auf den
Seiten weit polemischer zu als auf dem braven Angebot des Bundestages.
Satte 44 Prozent aller Beiträge sind im Tonfall ätzend scharf,
allerdings nicht in der Sache, sondern allein in Bezug auf Nebenschauplätze
oder Mitdiskutanten. Auch mangelt es poltik-digital.de ausgerechnet
an Foren, die sich eingehend mit dem Netz selbst befassen. Hier könnte
sich bei weniger strenger Moderation eine viel beachtete Nische für
das Angebot von elektronische-demokratie.de ergeben.