Daniel Sturm
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Dienste einer Parallelöffentlichkeit
Themenstruktur der Mediennetzwerke Mediachannel, Indymedia, der Online-Medien Netzeitung und Telepolis
Media Tenor-Forschungsbericht, 8. Jahrg. Nr. 110, 15. Juli 2001

Von Daniel Sturm

Kaum eine Nachricht vergeht, in der es nicht "laut dpa" oder "wie Außenminister Fischer mitteilte" heißt. Wer mehr wissen will - oder selbst mehr weiß - kann immer häufiger auf die Dienste sogenannter alternativer Mediennetzwerke zurückgreifen. Im Gegensatz zu den reinen Online-Medien wie Telepolis oder Netzeitung, die allein von einer klassischen Redaktion betreut werden, können sich dort die Netzbürger mit eigenen Beiträgen in dynamische Portale einklinken und selbst verfaßte Nachrichten und Bilder zensurfrei veröffentlichen. Mediennetzwerke wie Indymedia.org oder Mediachannel.org berichten erfolgreich darüber, was die im VIP-Bereich schmausende Info-Elite nicht mitbekommt, auch wenn die Texte ein wenig wilder daherkommen und unsystematischer aufbereitet sind als in den klassischen Online-Medien.

Bei Eingabe des Stichwortes "Mediennetzwerke" listet die Suchmaschine Google.de allein 54 deutschsprachige Webangebote auf. Man kann dabei drei verschiedene Typen unterscheiden: Angebote, die unter der Etikette "Mediennetzwerk" eine zirkelartige Organisationsform verstehen, um der zunehmenden Dominanz wirtschaftlicher Interessen in den Medien ein unabhängiges Forum entgegensetzen zu können. Eine zweite Gruppe ist inhaltlich mit der ersten verwandt, engt sich aber nicht ausschließlich auf das Thema Wirtschaft ein, sondern versteht sich in einem allgemeineren Sinn als Parallelöffentlichkeit zur traditionellen Medienlandschaft. In einer dritten Gruppe ist unter dem Stichwort allerhand Esoterisches versammelt. Prominenteste Vertreterin der zweiten Gruppe ist die internationale Supersite Mediachannel.org. Vor knapp über einem Jahr gestartet, hat es das Portal unterdessen zu einer erstaunlich starken Vernetzung mit vielen Organisationen gebracht, die sich alle in ähnlicher Weise investigativ mit Medienthemen befassen und auf den drohenden Verlust der Medien-Kontrollfunktion aufmerksam machen. Motto der Web-Aufklärer: "As the media watch the world, we watch the media."

Klar der ersten Gruppe ist das Independent Media Center (Indymedia.org) zuzurechnen, das in mittlerweile 52 Ländern mit eigenen Inhalten verfügbar ist. Dort werden nach dem Prinzip des Open Postings selbst verfaßte Nachrichten und Bilder zensurfrei veröffentlicht. Die Moderatoren haben sich allerdings entschlossen, Texte sexistischen oder rassistischen Inhalts in ein "Müllarchiv" zu schieben, das nur noch auf Emailanfrage hin einsehbar ist. Die Wurzeln des alternativen Mediennetzwerks liegen in Seattle. Dort protestierten im November 1999 Tausende gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) und hatten es satt, von den immer gleichen Medien mit den immer gleichen Informationen versorgt zu werden. Seither haben sich weltweit 52 Independent Media Centers (IMC) nach dem Vorbild Seattles gegründet, darunter auch der deutsche Sproß Germany.indymedia.org.

Die Themenspektren zeigen, daß sowohl Indymedia als auch Mediachannel Schwerpunkte auf Protestbewegungen setzen, wobei Mediachannel sich durch eine Spezialisierung auf das Thema Medien- und Meinungsfreiheit abhebt. Überraschend schwach präsentiert sich die Netzeitung in den "klassischen" Netzthemen, der die Onlinezeitung im Reinformat (ohne Anbindung an ein Print-Produkt) eigentlich auszeichnen sollte. Den Joker des innovativeren Ansatzes spielt hier Telepolis aus: Viele Hintergrundberichte beweisen, daß es, wenn auch nicht in derselben methodischen Offenheit, dann doch in der journalistischen Qualität mit den Mediennetzwerken aufnehmen kann. So deckte Telepolis unlängst einen kruden Fall von Geschäftemacherei auf. Eine dubiose European Poll Commission rief per Fax an alle Haushalte zu einer Umfragebeteiligung auf, mit der Bitte, über den vorliegenden Wahlschein an einer Abstimmung zur Regierungsbeteiligung der PDS teilzunehmen. Frecherweise, so Telepolis, schrieben die Veranstalter sogar: "Wenn Sie an diesen Wahlen nicht teilnehmen wollen, dann kreuzen Sie bitte hier O an und faxen sie den Wahlschein an uns zurück." Neben der Preisangabe hieß es noch aufmunternd: "Ein kleiner Preis für mehr Demokratie."