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Mittlerweile erwachsen
Das Bild von Unternehmen in Spiegel Online und Focus Online im 1. Quartal 2001
Media Tenor-Forschungsbericht, 8. Jahrg. Nr. 108, 15. Mai 2001

Von Daniel Sturm

Fast mit den Worten eines Familienpsychologen läßt sich die Entwicklung der Spiegel-Tochter im Internet beschreiben: mittlerweile ist die Tochter urteilsfreudiger geworden, diesen Trend der "Adoleszenz" belegt die aktuelle Studie des Medien Tenor. 36 Prozent aller Bewertungen von Unternehmen waren im 1. Quartal 2001 negativ, im gleichen Zeitraum war aber auch ein Anteil von 28 Prozent positiver Wertungen festzustellen. Hintergrund dieser Entwicklung ist die zunehmende Loslösung der Internetmagazine von Agenturtexten. Print- und Onlineausgabe von Focus sind von Beginn an Hand in Hand gegangen, was eine meinungsfreudige Unternehmens-Berichterstattung angeht. In der Zwischenzeit haben sich aber auch die Printausgaben von Spiegel/Focus angenähert, etwa in der Bewertung der Elektroindustrie (vgl. Medien Tenor 106).

Noch im 2. Halbjahr 1999 lag der Anteil positiver Wertungen über Unternehmen, die Spiegel und Focus Online vornahmen, bei jeweils 14 Prozent (vgl. Medien Tenor Nr. 93 und 96). Im ersten Halbjahr 2000 schien sich bereits ein Trend in Richtung wachsender Urteilsfreudigkeit anzudeuten. Das Tortenstück positiver Bewertungen wuchs bei Spiegel.de auf 25 und bei Focus.de auf 26 Prozent (Medien Tenor Nr. 98). Der Anteil negativer Wertungen lag zu diesem Zeitpunkt bei nur 16 Prozent. Demgegenüber fielen im 1. Quartal diesen Jahres 36 Prozent aller Wertungen negativ aus. Ein solches Bild, in dem sich zustimmende (28 Prozent), ablehnende (36 Prozent) und neutrale Urteile (36 Prozent) derart die Waage halten, hat es seit Beginn der Datenauswertung des Medien Tenor nicht gegeben.
Mit dem Ausbau der Redaktionen kam auch eine höhere journalistische Eigenständigkeit in die Online-Angebote der Konkurrenten. Je weniger auf Agenturmaterial zurückgegriffen wurde, desto stärker wurde die Pointierung der verbreiteten Informationen über Unternehmen. Noch im 2. Halbjahr 1999 lagen beide Angebote auf gleichbleibend niedrigem Niveau, der Nachrichtenstil des Agenturmaterials prägte ein Bild, das nicht unbedingt zur Magazinerwartung der Stammklientel des Printangebotes paßte. Im 2. Halbjahr 2000 stieg die Quote der wertenden Texte, positive und negative zusammengenommen, bei Spiegel Online auf 41 und bei Focus Online auf 45 Prozent (vgl. Medien Tenor Nr. 98). In den ersten drei Monaten von 2001 schließlich findet der Trend seinen vorläufigen Höhepunkt: 64 Prozent aller auf den Wirtschafts-Webseiten von Spiegel Online erfaßten Bewertungen fallen entweder negativ oder positiv aus. Mit 53 Prozent ist dieser Anteil bei Focus Online zwar deutlich geringer, doch bestätigt er einen Trend zur größeren Urteilsfreude beider Online-Magazine.
Insgesamt wurden im Untersuchungszeitraum 3.538 Passagen von Spiegel Online zum Thema Wirtschaft erfaßt und analysiert. Dem stehen nur 572 Passagen bei Focus Online gegenüber. Dieser quantitativ recht drastische Unterschied macht sich auch in anderen Kategorien bemerkbar. So wurden bei Focus Online 189 Passagen zu Unternehmern gezählt, während es beim Konkurrenten 617 waren.
Was jedoch das in den Onlinemedien gespiegelte Bild der Unternehmen und Manager angeht, so fallen die Unterschiede nicht so gravierend aus. Im Ranking der meistgenannten Unternehmen liegt bei beiden wie schon im vergangenen Jahr die Telekom vorn (vgl. Medien Tenor Nr. 104). Auffallend häufig genannt werden bei Spiegel Online Unternehmen aus der IT-Branche, wie zum Beispiel SAP, Infineon, Epcos, bei Focus Online rangieren sie längst nicht unter den Top 10. Ein deutliches Zeichen dafür, daß Spiegel Online den Münchner Gegenspieler in Sachen IT in den Schatten stellt, liefert der Blick auf die Branchendaten. Unter der Rubrik Elektrotechnik, die ausdrücklich Unternehmens-Nachrichten aus dem Bereich der Datenverarbeitung einschließt, wurden auf den Webseiten der Hamburger 392 Passagen codiert, bei Focus Online waren es nur 24.
Dem hohen Anspruch, nur auf selbst recherchierte Beiträge als Gütebeweis ihres Onlineangebotes zu setzen, werden beide Anbieter gerecht. Spiegel.de zeigt sich mit einem Anteil von 97 Prozent an Eigenbeiträgen zwar noch ein bißchen unabhängiger von Agenturmaterial als Focus Online (92 Prozent), aber das macht den Online-Braten auch nicht mehr fett.