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Ende des Quotenschummels
Nutzerzahlen und Berichterstattung von Spiegel Online und Focus Online vom 1. Januar - 30. November 2000
Media Tenor-Forschungsbericht, 8. Jahrg. Nr. 104, 15. Januar 2001

Von Daniel Sturm

Mit seinem sarkastischen-nörgelnden Ton, so ein gängiges Vorurteil, macht sich der Spiegel so richtig nur bei Sozialkundelehrern beliebt. Ganz anders als sein medialer Gegenspieler Focus scheint er brav in der angestammten Rolle des skeptischen Beobachters zu verharren, der für die "New Economy" allenfalls durch Ironie-Signale abgesicherte Lobesworte aufbringt. Es würde also ganz gut ins Bild passen, daß es der Spiegel auch in seiner Online-Ausgabe auf nur 25 Millionen Zugriffe im Monatsdurchschnitt bringt. Bis Juni galt sein Gegenspieler Focus Online als das meist gelesene Online-Medium mit 190 Millionen Seitenaufrufen im Monat. Dann änderte sich das Zählverfahren und Focus Online stürzte ab.

Im Juli geriet die Top Ten der beliebtesten Internetzeitschriften durcheinander: Das lag daran, daß die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) ein neues Zählverfahren einführte, um größere Klarheit bei der Ermittlung der Online-Nutzung zu erreichen. Attestierte die IVW Focus Online noch im Juni über 190 Millionen sogenannte "Page Impressions", sank die Zugriffsrate im September auf nurmehr ein Achtel der Summe, läppische 25 Millionen Zugriffe. Wie konnte es sein, daß Focus Online monatelang unangefochtener Spitzenreiter unter den Online-Medien war und die Nummer Zwei Coupe, die es mit der Veröffentlichung nackter Tatsachen auf immerhin 62 Millionen Page Impressions gebracht hatte, locker um 300 Prozent überflügelte, schließlich so jäh abstürzte?

Hinter Focus Online steckte zu diesem Zeitpunkt nicht die Online-Version der Zeitschrift Focus, sondern vor allem das Auktionshaus E-Bay und der Autohändler Autoscout24. Schlüsselte man die Einzelangebote auf, so entfielen nur rund 30 Millionen Seitenabrufe auf die Online-Ausgabe des Magazins Focus. Der Löwenanteil geht mit rund 132 Millionen Seitenabrufen auf das Auktionshaus E-Bay. Die IVW entschloß sich - den Wirklichkeitssinn der Werbeindustrie im Nacken - solcherlei Quoten-Schummel nicht mehr länger tatenlos zuzuschauen und die Nutzungszahlen von Focus Online aufs realistische Normalmaß zu schrumpfen. Netzwerke wie die, die man durch die Homepage von Focus Online findet, müssen nun seit Juli alle Einzelangebote innerhalb einer Kooperation, die über eine eigene Adresse im Internet verfügen, samt Nutzungszahlen bei der IVW ausweisen.

In den beiden darauffolgenden Monaten rückte Focus Online erst einmal nicht mit den Zahlen heraus, um im September gewissermaßen ohne großes Aufsehen "bei Null" anfangen zu können. Focus Online mußte auch nicht als einziges Internet-Magazin Federn lassen. Die Verfolger Coupe und Praline, die sich immerzu mit Seitenabrufen von Netzwerkpartnern geschmückt hatten, verloren ebenfalls Auflage aufgrund der neuen Transparenz. Die IVW zählt einen "Page Visit", wenn ein Nutzer Kontakt mit einer bestimmten Webadresse aufnimmt. "Page Impressions" sind bei der IVW die Summe der Abrufe inhaltlicher Angebote des Internetauftritts. Beide Werte zusammen vermitteln laut IVW einen Eindruck von der Intensität, mit der ein Text-Angebot genutzt wird.

Seit der Umstellung des Zählverfahrens, das vom Interactive Advertising Center in München im Auftrag der IVW geleitet wird, nähern sich die Nutzungszahlen des Online-Pärchens an (siehe Grafik auf S. 17 oben). Während Focus Online in den Monaten September und Oktober noch "leicht" vorne lag - gemessen an dem um rund 190 Millionen Zugriffe hochgeschummelten Vorsprung im Juni -, zog Spiegel Online an seinem Konkurrenten im November erstmals vorbei, was die gezählten Page Impressions angeht.

Nachdem nun halbwegs faire Spielregeln hergestellt sind, geht der Wettbewerb um das bessere Online-Angebot unter realistischen Bedingungen weiter. Eine signifikante Aussage darüber, welche der beiden Internetzeitschriften in der Rubrik Wirtschaft quantitativ die Nase vorne hatte, kann der Medien Tenor nach Analyse der von ihm analysierten Datenlage fällen. Insgesamt wurden im Untersuchungszeitraum 2.644 Passagen von Spiegel Online zum Thema Wirtschaft erfaßt und analysiert. Dem stehen nur 1.590 Passagen bei Focus Online gegenüber. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, als die Artikel in Spiegel Online wie bei den Print-Ausgaben auch durchschnittlich länger sind als in Focus Online.

Im Ranking der Top-Ten-Unternehmen fällt bei beiden Medien sowohl die dominante Stellung der Telekom als auch deren positive Wertung auf. Der Anteil der positiven Aussagen zu Mobilcom liegt bei Focus Online höher als bei seinem Kontrahenten. Auch das Image von DaimlerChrysler ist bei beiden gut, bei Focus Online etwas mehr als bei Spiegel Online. Sehr unterschiedlich fällt die Häufigkeits-Analyse im Blick auf zwei weitere shooting stars aus: Spiegel Online beschäftigt sich immerhin über 150 Mal zum großen Teil postitiv mit der Firma Siemens, die bei Focus Online nicht weiter im Rampenlicht steht. Hier rücken die Online-Redakteure vielmehr die Deutsche Bahn auf den zweiten Platz, in einem insgesamt ablehnenden Tenor.

Um verläßlichere Zahlen über die Nutzung von Online-Medien zu bekommen, ist eine einheitliche Datenbasis ähnlich der Messung von Einschaltquoten vonnöten. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn es Anbietern von Reichweitendaten wie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zumindest für das Internet gelingen würde, aussagekräftige Quoten-Daten zu ermitteln, die zudem noch außer Kritik stehen. In kleinen Stichproben mißt bereits MMXI Europe, die mit der GfK kooperiert, die Datenspuren der User im Netz.

Das Jahr 2000 hat dem Medien-Pärchen Spiegel/Focus Online zwei neue Konkurrenten beschert, die zu einem verschärften Wind beitragen könnten. Seit Mai wollen mit Nachrichten auch die Financial Times Deutschland (Ftd) und seit September die Netzzeitung Handel treiben. Mittlerweile hat sich die Ftd-Online auf über 1 Millionen Page Visits im Monat eingepegelt. Wer mit welchen Nachrichten vorne liegt, wird der Medien Tenor 2001 zeigen.