Mielke darf noch einmal lieben
Kreuzer, Oktober 1999
Am 9. Oktober bekommt Leipzig mit dem Zeitgenössischen
Forum ein Museum, das sich besonders der Zivilcourage in der DDR widmet.
Pünktlich zum zehnten Jahrestag der Revolution
darf Erich Mielke noch einmal "Ich liebe Euch doch alle" raunen
und Helmut Kohl "Allen wird es besser gehen" tönen -
allerdings nur von Kassette, im dann neu eröffneten Zeitgeschichtlichen
Forum Leipzig, dem ostdeutschen Gegenstück zum Bonner Haus der
Geschichte. Geschichte zum Anhören und Anfassen findet der Leiter
des Hauses, Dr. Rainer Eckert, gut, und so hat er keine Mühen gescheut,
Helmut Kohls in Bonn ausgestellter Strickjacke konkurrenzfähige
Ausstellungsstücke entgegenzusetzen. Honeckers Hut - wer weiß,
wer den heute trägt - hätte Eckert gerne genommen, stattdessen
zeigt das Museum im Zentral-Messepalast Schorlemmers "Schwerter
zu Pflugscharen", Robert Havemanns Bücherregal und Klaus Renffts
Baßgitarre.
Eckert ist vor allem an einer "Geschichte der Zivilcourage"
gelegen und keineswegs an einer "Geschichte der DDR", was
aus seiner Sicht einer postumen Würdigung des Repressionsapparates
gliche. Da der 49jährige selbst 1972 von der Ostberliner Humboldt-Universität
verwiesen und mit Hausverbot belegt wurde, nimmt man ihm ab, daß
er kein zahmes Museum will, sondern eines, das die Auseinandersetzung
sucht. "Man muß bereit sein, fair zu diskutieren, das gilt
auch für die früheren Führungskräfte." Bundeskanzler
Schröder, der sich wohl insgeheim erhofft hatte, sein Kaschmirpullover
würde wenigstens in Leipzig - wenn schon nicht in Bonn - ausgestellt,
wird das geschichtsträchtige Museum mit einer Rede um 15 Uhr eröffnen.
Damit der Festakt nicht zu einer einheitsseeligen Geschichtsstunde über
die neue Berliner Republik mutiert, hat Museumsleiter Eckert die Kabarettisten
Wenzel und Mensching eingeladen. Deren scharfzüngige Texte dürften
der Veranstaltung jede unangenehm staatstragenden Note nehmen.
Das vielleicht kurioseste Stück der Sammlung, die 2.500 Einzelstücke
umfaßt, ist der "Russentod" - ein von findigen Bewohnern
des Erzgebirges zur Satelittenschüssel umgebauter Milchtopf, mittels
dessen die Ahnungslosen plötzlich Westfernsehen empfangen konnten.
Allerdings läuft das Museumskonzept, vorrangig dreidimensionale
Stücke zum Anfassen zu bieten, Gefahr, zur reinen Kuriositätensammlung
zu verkommen und nur einen Devotionalenkult zu bedienen, wie ihn das
große Mutter-Haus der Geschichte in Bonn mit Kanzler Kohls Strickjacke
vorführt. Ein bißchen wie in Helmut Dietls Filmkomödie
"Schtonk", wo ein Kunstfälscher der nazigeilen Kundschaft
noch die letzte Schleimspur Hitlers als authentische Absonderung des
Führers unterzujubeln vermag.
"Wer will, kann immer noch Texte lesen", weist Eckert diese
Gefahr weit zurück. Computerkonsolen bieten dem textorientierten
Besucher die Möglichkeit, stundenlang deutsch-deutsche Briefwechsel
lesen, in DDR-Dokumenten zu stöbern oder Biographien von Zeitzeugen
zu studieren. Wer viel Zeit mitbringt, kann in der Grimmaischen Str.
6 rund 35 Stunden Geschichte konsumieren.
Die Ausstellung beginnt mit einem Kinobesuch. Der antifaschistische
Defa-Streifen "Die Mörder sind unter uns" von 1946 soll
in die Zeit der Sowjetische Besatzungszone (SBZ) nach 1945 einführen.
Den Systemwechel illustriert sinnfällig ein steinerner Reichsadler
mit herausgekratztem NS-Symbol. Eine Zeittafel kleidet die Innenhof-Rotunde
kreisförmig und gliedert so die Ausstellung strahlenförmig,
um die Ereignisse in der Welt mit dem Geschehen in der DDR in Beziehung
zu setzten. Assoziationsreich, wie Geschichte nun einmal ist, kann man
dann gedankenverloren von der "Geburt des ersten Retortenbabys"
zur Vitrine mit den Westpacketen wandeln. Ein Stück Berliner Mauer
und ein Fluchtauto dürfen nicht fehlen, ebensowenig wie ein selbstgebasteltes
Flugzeug, mit dem zwei geflohene Ostdeutsche 1989 ihren Bruder aus der
DDR "ausflogen".
Am 17.Juni 1953 des Zeitstrahles gibt es Kettengeräusche zu hören,
aber keine sowjetischen Panzer zu sehen. Die Museumsmacher entschieden
sich gegen einen Panzer als Exponat. Die dünne Beweislage für
die Spekulation, die Nationale Volksarmee hätte am 9. Oktober 1989
in Leipzig Panzer (Typ T34) gegen Demonstranten in Stellung gebracht,
sei nicht der Grund gewesen. "Es war nur wegen der Bodenbelastbarkeit,
34 Tonnen waren da einfach zu viel", meint Eckert. Davon abgesehen
habe die Staatsmacht 1953 sehr wohl Waffen gegen das eigene Volk eingesetzt,
als Drohgebärde seien im Juniaufstand Geschütze hinter Wohngebieten
aufgefahren worden, um die Arbeiter von widerständischen Aktionen
abzuhalten. Immerhin steht eine sowjetische Feldkanone von 1942 für
diesen Teilbereich der DDR-Geschichte. Militaria sind im 10-Millionen-Budjet
des Museums nur spärlich vertreten, schließlich müßten
sie erst aufwendig kriegsuntauglich gemacht werden. Sogar einen Kriegswaffenkontrollbuchführer
mußte Eckert dafür ernennen.
Unter dem Stichwort "flächendeckende Überwachung"
streift die Ausstellung schließlich das Thema Staatsicherheit.
Hier bleibt mit Spannung zu erwarten, ob die kuriose und umfangreiche
Sammlung des Bürgerkommitees im Stasi-Gebäude an der Runden
Ecke mit dem Zeitgeschichtlichen Forum eine fundierte Ergänzung
bekommt. Die Ausstellung endet mit den Licht- und Schattenseiten der
Wiedervereinigung, sinnfällig simuliert durch einen Computer, über
den das Stellenangebot des Arbeitsamtes abgerufen werden kann.
DANIEL STURM
9. Oktober, 15 Uhr, Zentral-Messepalast Grimmaische Str. 6, Eröffnung
des Museums durch Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundespräsident
Johannes Rauh, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Sachsens
Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Es singen: Wenzel & Mensching.