Daniel Sturm
Journalism & Research


         

Politics

War & Sept. 11

Arts & Entertainment

Environment & Technology

Racism

General Interest

 

 

Order Book Online Amazon.de

 

 

Mielke darf noch einmal lieben
Kreuzer, Oktober 1999

Am 9. Oktober bekommt Leipzig mit dem Zeitgenössischen Forum ein Museum, das sich besonders der Zivilcourage in der DDR widmet.

Pünktlich zum zehnten Jahrestag der Revolution darf Erich Mielke noch einmal "Ich liebe Euch doch alle" raunen und Helmut Kohl "Allen wird es besser gehen" tönen - allerdings nur von Kassette, im dann neu eröffneten Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, dem ostdeutschen Gegenstück zum Bonner Haus der Geschichte. Geschichte zum Anhören und Anfassen findet der Leiter des Hauses, Dr. Rainer Eckert, gut, und so hat er keine Mühen gescheut, Helmut Kohls in Bonn ausgestellter Strickjacke konkurrenzfähige Ausstellungsstücke entgegenzusetzen. Honeckers Hut - wer weiß, wer den heute trägt - hätte Eckert gerne genommen, stattdessen zeigt das Museum im Zentral-Messepalast Schorlemmers "Schwerter zu Pflugscharen", Robert Havemanns Bücherregal und Klaus Renffts Baßgitarre.

Eckert ist vor allem an einer "Geschichte der Zivilcourage" gelegen und keineswegs an einer "Geschichte der DDR", was aus seiner Sicht einer postumen Würdigung des Repressionsapparates gliche. Da der 49jährige selbst 1972 von der Ostberliner Humboldt-Universität verwiesen und mit Hausverbot belegt wurde, nimmt man ihm ab, daß er kein zahmes Museum will, sondern eines, das die Auseinandersetzung sucht. "Man muß bereit sein, fair zu diskutieren, das gilt auch für die früheren Führungskräfte." Bundeskanzler Schröder, der sich wohl insgeheim erhofft hatte, sein Kaschmirpullover würde wenigstens in Leipzig - wenn schon nicht in Bonn - ausgestellt, wird das geschichtsträchtige Museum mit einer Rede um 15 Uhr eröffnen. Damit der Festakt nicht zu einer einheitsseeligen Geschichtsstunde über die neue Berliner Republik mutiert, hat Museumsleiter Eckert die Kabarettisten Wenzel und Mensching eingeladen. Deren scharfzüngige Texte dürften der Veranstaltung jede unangenehm staatstragenden Note nehmen.

Das vielleicht kurioseste Stück der Sammlung, die 2.500 Einzelstücke umfaßt, ist der "Russentod" - ein von findigen Bewohnern des Erzgebirges zur Satelittenschüssel umgebauter Milchtopf, mittels dessen die Ahnungslosen plötzlich Westfernsehen empfangen konnten. Allerdings läuft das Museumskonzept, vorrangig dreidimensionale Stücke zum Anfassen zu bieten, Gefahr, zur reinen Kuriositätensammlung zu verkommen und nur einen Devotionalenkult zu bedienen, wie ihn das große Mutter-Haus der Geschichte in Bonn mit Kanzler Kohls Strickjacke vorführt. Ein bißchen wie in Helmut Dietls Filmkomödie "Schtonk", wo ein Kunstfälscher der nazigeilen Kundschaft noch die letzte Schleimspur Hitlers als authentische Absonderung des Führers unterzujubeln vermag.

"Wer will, kann immer noch Texte lesen", weist Eckert diese Gefahr weit zurück. Computerkonsolen bieten dem textorientierten Besucher die Möglichkeit, stundenlang deutsch-deutsche Briefwechsel lesen, in DDR-Dokumenten zu stöbern oder Biographien von Zeitzeugen zu studieren. Wer viel Zeit mitbringt, kann in der Grimmaischen Str. 6 rund 35 Stunden Geschichte konsumieren.

Die Ausstellung beginnt mit einem Kinobesuch. Der antifaschistische Defa-Streifen "Die Mörder sind unter uns" von 1946 soll in die Zeit der Sowjetische Besatzungszone (SBZ) nach 1945 einführen. Den Systemwechel illustriert sinnfällig ein steinerner Reichsadler mit herausgekratztem NS-Symbol. Eine Zeittafel kleidet die Innenhof-Rotunde kreisförmig und gliedert so die Ausstellung strahlenförmig, um die Ereignisse in der Welt mit dem Geschehen in der DDR in Beziehung zu setzten. Assoziationsreich, wie Geschichte nun einmal ist, kann man dann gedankenverloren von der "Geburt des ersten Retortenbabys" zur Vitrine mit den Westpacketen wandeln. Ein Stück Berliner Mauer und ein Fluchtauto dürfen nicht fehlen, ebensowenig wie ein selbstgebasteltes Flugzeug, mit dem zwei geflohene Ostdeutsche 1989 ihren Bruder aus der DDR "ausflogen".

Am 17.Juni 1953 des Zeitstrahles gibt es Kettengeräusche zu hören, aber keine sowjetischen Panzer zu sehen. Die Museumsmacher entschieden sich gegen einen Panzer als Exponat. Die dünne Beweislage für die Spekulation, die Nationale Volksarmee hätte am 9. Oktober 1989 in Leipzig Panzer (Typ T34) gegen Demonstranten in Stellung gebracht, sei nicht der Grund gewesen. "Es war nur wegen der Bodenbelastbarkeit, 34 Tonnen waren da einfach zu viel", meint Eckert. Davon abgesehen habe die Staatsmacht 1953 sehr wohl Waffen gegen das eigene Volk eingesetzt, als Drohgebärde seien im Juniaufstand Geschütze hinter Wohngebieten aufgefahren worden, um die Arbeiter von widerständischen Aktionen abzuhalten. Immerhin steht eine sowjetische Feldkanone von 1942 für diesen Teilbereich der DDR-Geschichte. Militaria sind im 10-Millionen-Budjet des Museums nur spärlich vertreten, schließlich müßten sie erst aufwendig kriegsuntauglich gemacht werden. Sogar einen Kriegswaffenkontrollbuchführer mußte Eckert dafür ernennen.

Unter dem Stichwort "flächendeckende Überwachung" streift die Ausstellung schließlich das Thema Staatsicherheit. Hier bleibt mit Spannung zu erwarten, ob die kuriose und umfangreiche Sammlung des Bürgerkommitees im Stasi-Gebäude an der Runden Ecke mit dem Zeitgeschichtlichen Forum eine fundierte Ergänzung bekommt. Die Ausstellung endet mit den Licht- und Schattenseiten der Wiedervereinigung, sinnfällig simuliert durch einen Computer, über den das Stellenangebot des Arbeitsamtes abgerufen werden kann.
DANIEL STURM

9. Oktober, 15 Uhr, Zentral-Messepalast Grimmaische Str. 6, Eröffnung des Museums durch Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundespräsident Johannes Rauh, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Es singen: Wenzel & Mensching.