Daniel Sturm
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Tausche Messe, suche Medienstadt
Kreuzer, April 1999

Das Drehbuch fürs Jahr 2000: Dresden bekommt Volkswagen, Leipzig den Tatort. Die Industriebrache soll sich nach dem Willen der Mächtigen zur Film- und Medienstadt mausern. Dafür läßt die Staatsregierung baggern (media city) - und der MDR topft seine Fernsehzentrale von Dresden nach Leipzig um. Im Schatten des MDR wittert die Branche Morgenluft.

Von Daniel Sturm (Text) und Uwe Frauendorf (Bilder).

Thorsten Albrecht aus Hamburg würde nur allzugerne in der Medienstadt Leipzig anheuern, wenn, ja wenn das nicht so ein "weißer Fleck" auf der virtuellen Landkarte des Internets wäre. In Hamburg hat sich der 30jährige Multimedia-Journalist schnell zurecht gefunden: Auf einem alten Bananendampfer trafen sich die Online-Kapitäne, 200 Internetagenturen, und quatschten übers Geschäft. Albrecht, damals noch Matrose bei der Werbeagentur "Elephant 7" und heute bei "mmE" spitzt die Ohren, wenn er Neues aus dem multimedialen Tiefland Leipzig hört. Auf seinen Streifzügen im Internet war jedoch bisher kein Land in Sicht.

Die werdende Medienstadt Leipzig feiert derweil den 100. Geburtstag Erich Kästners. Damals schrieb der Schriftsteller seinen Lesern ins Stammbuch. "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es". Leicht abgewandelt fordert Sachsens Regierungssprecher Michael Sagurna ganz unliterarisch: "machen, machen, machen". Bei der Vorstellung der "Medienstudie 1998" schalt Sagurna die Leipziger Medienmacher. Sie würden zu wenig über- und miteinander sprechen. Zu einer echten Medienszene aber gehöre Klatsch und Tratsch und nicht allein der Besitz eines Telefonbuchs. Sagurna sauertöpfisch: "Wir haben in Leipzig eine ganze Menge investiert, jetzt erwarten wir auch was."

Glaubt man den Zahlen der Medienstudie, so tastet sich Leipzig allmählich an die großen Medienstädte heran: 1998 waren 33.800 Leipziger in der Medienbranche beschäftigt (München 100.000). Damit ist die Zahl der Leipziger, die ihr Brot im Mediensektor verdienen, seit 1996 um 800 gestiegen. Auch die Umsätze sind von 3,2 Milliarden DM 1996 auf 3,9 Milliarden DM 1998 geklettert (München 25 Milliarden). "Die Branche ist stabil", wertet Sagurna diesen Trend. Als Maßstab für die Konsolidierung macht er folgende Rechnung auf: Hatten noch 1996 mehr als ein Drittel der Medienunternehmen nur einen Mitarbeiter, galt dies zwei Jahre später nurmehr für jedes fünfte Unternehmen. "Wir kennen diese Entwicklung aus dem Handwerk". Während noch 1992 im Westen neun Handwerker pro Betrieb beschäftigt waren, und im Osten durchschnittlich drei, sei die Angleichung 1999 fast erreicht. Gut gestimmt verkündete Sagurna: "Ich glaube nicht, daß alle Billy Gates sind, aber es sind doch zumindest kleine Billy Gates in Leipzigs Garagen."

"Leipzig muß Internet-Stadt werden", sagt Professor Wolfgang Kleinwächter vom Netcom-Institut. Nur fünf Prozent der Leipziger haben jedoch einen Internet-Zugang. Folglich könnte man Kleinwächter für einen einsamen Schreier in der Wüste halten. Aber der drahtige Mann wirkt überzeugend, fast wie ein hoher Priester des Internets. "Leipzig wird künftig sein Geld mit den Neuen Medien verdienen, so wie die Städte vor 150 Jahren ihr Geld mit Industrie gemacht haben". Der Gründer des Medienstadt-Vereins verdient sein Geld mit "Netcom", ein an den Verein angeschlossenes Institut, das Forschungsaufträge aquiririert. Das Credo Kleinwächters: die Nutzerseite massiv unterstützen. Öffentlich verbilligte Internet-Terminals, nach dem Vorbild der Telefonzelle. "Dann ist das wie eine Elefantenherde, die im Gleichschritt über die Brücke stampft."

Tatsächlich arbeiten nur fünf Prozent von Leipzigs Beschäftigten in den sogenannten Neuen Medien (Softwarefirmen eingerechnet), während 20 Prozent nach wie vor in den traditionellen Branchen Film, Hörfunk, Fernsehen sind. In der goßen Medienstadt München ist die Milchkuh längst Multimedia: Von 1988 bis 1994 waren allein zwei Drittel der getätigten Investitionen im Medienbereich Multimedia-Dienstleistungen. Das entspricht 2,2 Milliarden DM. Der Verkauf von Internet-Konzepten macht sich in München heute, wo man bis 1988 hauptsächlich Drehbücher verkaufte, gut bezahlt. Verglichen mit dem engmaschigen Netz von zwölf privaten TV-Sendern, einer Vielzahl von Trickfilm-Produzenten, Werbeagenturen und Softwarefirmen in München, nimmt sich Leipzigs Medienlandschaft verhältnismäßig flachbrüstig aus.

Ein Rückblick auf die städtische Medienpolitik deutet weniger auf Gleichschritt denn auf Guerilla-Taktik hin: Immer wieder scheiterten die spektakulären Versuche, große Medien nach Leipzig zu locken: RTL 2, viva, Deutsche Welle oder EURO-News. Die zur Anwerbung 1992 eigens gegründete Medienstadt GmbH löste sich 1995 ohne sichtbare Ergebnisse auf. Immerhin waren die großen Baufirmen, die der Medienstadt GmbH als Mitgesellschafter vorsaßen, preisgünstig und schnell an ihre Baugenehmigungen gekommen.

"Damals ist die Stadt den Fernsehsendern hinterhergelaufen, heute muß sie aufpassen, daß sie nicht dem Internet hinterherhinkt!". Kleinwächter hält die Strategie der Förderer, ganz auf Film und Fernsehen zu setzen für einäugig. Er fordert höchste Priorität fürs Internet und seine neuen Erfordernisse. Sein natürlicher Feind sei der deutsche Ordnungssinn, "mit dem man früher einmal aus Kohle Geld machen konnte". Wer mit dem Internet Geld verdienen wolle, sollte nicht erst 1000 Formulare ausfüllen müssen. Verwaltungsprozeduren - sie wurden dem US-Amerikaner Professor Howard Frederick, der die Sächsische Entwicklungsgesellschaft für Telematik (SET) leitete, zum Stolperstein. Er überwarf sich mit einem Juristen, der ihm in bester Absicht zur Seite gestellt worden war. Im Mai 1998 verließ der Amerikaner Leipzig verärgert in Richtung Neuseeland.

"Ich habe ihm vorhergesagt, daß er sein amerikanisches Denken abstellen werden müsse, um erfolgreich zu sein", meint Staatssekretär Michael Sagurna. Frederickson habe zwar fantastisch verkaufen, aber nur leidlich projektieren können, eine Eigenschaft, die Sagurna für die Stärke der Deutschen hält. Fredericks Projekte wie zum Beispiel "virtual city Meißen", die eine Internet-Partnerschaft der Städte Meißen und Barcelona vorsah, hält Sagurna für "großen Schwachsinn". Kryptisch klingende Projekte aus Fördertöpfen der Europäischen Union (DALI, IRISI, RISU) würden notwendigerweise daran scheitern, "daß die Deutschen, korrekt wie sie sind, machen, wie es im Programm steht". Auf geordnetem Weg läßt Sagurna die Landestochter SET derzeit eine Bestandsaufnahme der Multimedia-Landschaft erstellen. Der "Medienatlas" (www.set.sachsen.de) soll dann Firmen, die E-Commerce betreiben wollen und Screendesigner zusammenbringen. Zukunftsmusik.

www.media-city.de: schwer wiegt es, das 100 Millionen DM teure Zukunftsprojekt im Süden der Stadt. Ob es am Grußwort des Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf gelegen hat - immerhin mit eingescannter Unterschrift - daß sich die Internetseite so langsam aufbaute? Wer weiß. Zum echten Baugelände der "media city" ist es von der naTo in Connewitz ohnehin nicht weit. Auf dem ehemaligen Schlachthofgelände wird die media city dieser Tage, ganz real, Stein für Stein aufgebaut. 70 Millionen DM läßt Sachsen sich die künftige Medienfabrik kosten. Drei Film- und Fernseh-Studios, fünf Bürokomplexe und ein Werkstattareal. Am 30. Juni 2000 soll Leipzig das Geschenk des Freistaates erhalten. Dann werden die Anwohner der Altenburgerstraße, die in den Jahrzehnten vor 1990 den Anblick toter Rinder gewohnt waren, allerhöchstens medienerprobte Fernsehkühe sehen. Schauspieler, Drehteams und Statisten werden durch einen Glaspalast (Fernsehgarten) die "media city" betreten. Nach dem Bau der Neuen Leipziger Messe ist das Architektenbüro Gerkan Mark & Partner noch einmal zum Zuge gekommen. Ein Messe-M steckt im Logo der neuen Medienfabrik. Ansonsten hat der kompakten Zweckbau, der sich über die Fläche von vier Fußballfeldern erstreckt, wenig Gemeinsamkeiten mit den Ästhetizismen der Messe-Architektur. Gelber Backstein-Terrakotten sollen an den Schlachthofbau des Leipziger Stadtbaudirektors Hugo Licht von 1888 erinnern.

"Es wird die kompakteste Medienfabrik Deutschlands", meint Matthias Jähnig, Geschäftsführer der Leipziger Gewerbehofgesellschaft (LGH). Die LGH ist eine Tochterforma der Stadt Leipzig, und muß als Bauherrin dafür Sorge tragen, daß das Gelände bei Übergabe voll vermietet ist. Zusammen mit der drefa-Immobilien Management GmbH, einer MDR-Tochter, vermarktet Jähnig die media city. Der heikle Punkt ist die drohende Machtkonzentration des MDR, dessen neue Fernsehzentrale in der Kantsraße, und damit nur einen Steinwurf entfernt liegt. Ein Drittel, das ist vertraglich fixiert, stehen dem reichen MDR und seinen vielen Töchtern zu. "Darüberhinaus darf er sich nicht bedienen, sonst muß er Fördergelder zurückzahlen", versichert Jähnig. Aus diesem Grund hat dich die LGH das Erstvorschlagrecht gesichert. Außerdem ist in den Mietverträge eine Klausel eingebaut, die Subventionsbetrug verhindern soll. Binnen 15 Jahren sollen die Nutzer der hochsubventionierten Medienfabrik mindestend zwei Mal wechseln. "Das kann zum Beispiel heißen, daß ein Filmteam nur für drei Monate kommt, seinen Kinofilm macht und dann wieder verschwindet", so Jähnig.

Der Pate aus der Kantstraße, MDR-Fernsehdirektor Henning Röhl, sieht echte private Konkurrenz nicht gern. Natürlich ist es ihm lieber, wenn die eigenen Töchter wie Saxonia Media ("In aller Freundschaft") oder Progress ("Bis zum Horizont und weiter") Produktionsaufträge bekommen. Ganzu zu schweigen von den Zulieferern ("L.E. Vision", "Schmidt TV"), die bereits die Sogwirkung des Monopolisten spüren. Noch ist es nicht so weit wie in Stuttgart, wo sich schon der politisch denkende Bäcker fragen muß, ob er seine Brötchen beim Daimler-Chrysler-Konzern verdient. An Anlehnung an die "Stadt unterm Stern" könnte Leipzig aber durchaus als die "Stadt unterm MDR" in die Annalen eingehen. Über die Hälfte der 140 Millionen DM, die der MDR jährlich für Film und Fernsehen ausgibt, vergibt die ARD-Anstalt an rund 12 private Produktionsfirmen, behält aber die Fernsehrechte. Und so leuchtet ein, warum Fernsehpate Röhl säuerlich auf ein Kinofilm-Projekt reagiert, das nicht zumindest MDR-koproduziert ist. Ausgerechnet die Verfilmung des Wenderomans von Thomas Brussig "Helden wie wir" geht an die wirklich private Konkurrenz. Die Berliner Senator, die schon vor Erscheinen des Buches die Rechte erworben hat, läßt die Produktionsfirma Cinex bis Mitte April auf dem alten Messegelände drehen. Zum zehnjährigen Jubiläum des Mauerfalls soll der Film, der mit 1,5 Millionen DM von der Mitteldeutschen Filmförderung (MDM) angeschoben wurde, in der Nacht zum 9. November 1999 uraufgeführt werden. "Es ärgert mich schon, daß durchreisende Produzenten ein bißchen produzieren, 1,5 Millionen DM kassieren und dann wieder gehen", meint Röhl.

Gegen den Vorwurf, die Cinex wolle nur rasch Gelder abzocken, setzt sich ihr Berliner Produzent Günter Fenner vehement zur Wehr: "Ich werde darauf hinarbeiten, daß Herr Röhl in Zukunft nicht mehr so über uns redet". Der 39jährige, der seit Jahresanfang ein Büro im Reclam-Carree bezogen hat, will mit "Helden wie wir" den Sprung nach Leipzig wagen. Rund 300 Leute gehören zum Filmteam, allein vier Drehwochen von insgesamt knapp zwei Monaten Dreharbeit finden in Leipzig statt. Die MDR-Stadt Leipzig sieht er ambivalent: einerseits kritisiert er die Vergabe von Aufträgen an "fette, konzerneingebunden" Firmen wie die Saxonia, andererseits sieht er in der Zugkraft des viertgrößten ARD-Senders eine Chance. "In Berlin haben wir mit dem ORB nur den kränklichsten ARD-Sender". So gilt auch für Fenner, der mit "Dr. Knocks" (1997) den Grimmepreis gewann, sich auf die Fersen des MDR zu heften und im Wettbewerb mit den Töchtern den Moment abzupassen, wo auch für ihn etwas abfällt. "In Berlin gibt es 500 aufgeregte Produzenten". Die gibt es in Leipzig weißgott nicht und so ist Fenner guter Dinge, daß das frische Medienbaby Leipzig die hoch gesteckten Erwartungen einhält.

Das Leipziger Filmbaby "L.E. Vision" hat sich auf dieses Glatteis längst begeben: Ihren fertigen Kinofilm "Over the rainbow", immerhin das erste Leipziger Kinoprojekt seit 60 Jahren, sollte zum Jahresbeginn gefeiert in die Kinos kommen. Doch die jungen Filmemacher fanden bisher keinen Verleiher, der das Risiko des Debüts tragen wollte. Auf der Berlinale mußten Regisseur Jan Peter und Filmproduzentin Simone Baumann den Film wie sauer Bier anpreisen. "Die Verleiher wollen immer auch die Fernsehrechte, die aber der MDR hat. Das ist ein großer Haken", sagt Simone Baumann. MDR-Fernsehdirektor Henning Röhl läßt dieses Argument nicht gelten und führt die Absatzprobleme der L.E. Vision auf handwerkliche Mängel zurück (siehe Interview) .

Sein Wort hat großes Gewicht in der Leipziger Medienlandschaft, und dafür steht auch die L.E. Vison Pate: 70 Prozent der journalistischen Beiträge liefert die Firma dem MDR zu. Damit ist sie zwar größtes unabhängiges Redaktionbüro in Leipzig, doch das Wort "unabhängig" traut man sich kaum in den Mund zu nehmen. Baumann nimmt sich zwar immer wieder die Freiheit, Aufträge mit BILD-Stallgeruch abzulehnen ("Die glauben schon wir hätten eine Ethikkommission"). Doch der MDR sichert seinen Töchter ohnehin klare Existenzvorteile, indem sie zum Beispiel bei Kreditaufnahme keine Bürgschaften vorlegen müssen. "Und daran scheitert letztlich alles, nicht an der Qualität". Auch wenn freie Produzenten wie die L.E. Vision kaum je einen "Tatort" drehen dürfen, so müssen sie doch zumindest regelmäßig an der Tür des Monopolisten anklopfen.

"Das ist wie bei einer großen Zementfabrik", sagt Sachsens Regierungssprecher Michael Sagurna. Die Bildebene läßt freilich kaum den Schluß zu, daß er die MDR-Oberen mit "Betonköpfen" vergleichen will. Sagurna setzt ganz im Gegenteil auf die positive Kraft des Senders: "Wir haben doch gar keine andere Chance. Es wird immer solche Firmen geben, die überwiegend beim MDR arbeiten". Die Staatsregierung sei schon froh darüber, daß überhaupt Aufträge vor die eigene Haustür kämen. In der ersten Hälfte der 90er habe der MDR Synchron- und Endfertigung in Westdeutschland machen lassen, Regisseure aus Berlin bestellt. "Das heißt die Wertschöpfung hat außerhalb des Landes stattgefunden". Sagurna will 1999 endlich den Durchbruch für die Medienstadt Leipzig erreichen. Als Initialzündung soll die Ballung des MDR-Fernsehens in seiner künftigen Sende- und Verwaltungszentrale wirken. Knapp eine halbe Milliarde DM investiert der Sender bis Mai 2000 in seinen Neubau. Vom 13-stöckigen Hochhaus aus nehmen die Pionierbesiedler bereits im Novmber den Probebetrieb auf, ehe ab Januar 2000 schrittweise 1000 Mitarbeiter ihre Büros beziehen. Bei den "Privaten" kann Sagurna endlich einen handfesten Erfolg verzeichnen: RTL öffnet in Leipzig demnächst sein Regionalstudio Ost. Ein guter Tag für Sagurna, schließlich bedankte sich Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee gar mit einem "handgeschriebenen Brief".

Im Verlagsbereich jedoch herrscht Flaute in Leipzig, "Schweigen im Blätterwald". Die Tagespresse ist am Kiosk nur mit der Leipziger Volkszeitung vertreten - magere Ausbeute für eine Medienstadt mit 460.000 Einwohnern. Auch Sagurnas Frohlocken, die dpa mit einem Dutzend Redakteure ab 1. Mai in Leipzig zu haben, täuscht nicht darüber hinweg, daß dies zu wenig ist. Wenig Auswahl auch für die rund 800 Absolventen der Kommunikations- und Medienwissenschaften, die in den Jahren 1990 bis 1998 ihr Studium am vormals "Roten Kloster" beendeten. In der Verlagslandschaft sehen die Jobperspektiven noch bescheidener aus: 1998 lag die Buchstadt Leipzig mit 484 verlegten Titeln abgeschlagen an 22. Stelle vor Baden-Baden. München belegte mit 8899 Titeln den ersten Platz, gefolgt von Berlin (6342) und Frankfurt mit 4424 Erscheinungen.

Es ist zweifellos ein Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Mit Walther von La Roche und Michael Haller konnte die Universität Leipzig zwar Journalistik-Professoren verpflichten, deren Gesichter der bundesdeutsche Durchschnittsstudent nur von Buchdeckeln kennt, aber zwei Gesichter verändern noch keine Presselandschaft. Doch gilt die Journalistik mittlerweile als die praxisnahste der Republik, auch wenn dieser sich noch nicht bis zum SPIEGEL durchgesprochen hat. Im März-Special jedenfalls fand das Leipziger Modell, das ein integriertes Volontariat vorsieht, keinerleit Erwähnung: "einzige Ausnahme macht die Uni Dortmund". Junge Leipziger haben am Ende eines guten Studiums zwei Optionen: die freiberufliche Karriere, mit ähnlichen Geldsorgen, wie sie Erich Kästner 1926 hatte. Der arbeitete als Redakteur für den Verlag des "Leipziger Tageblatts" und verdiente monatlich 250 Mark. Oder der Weg in die "fertigen" Medienstädte München, Köln, Hamburg oder Berlin. Dort fand sich auch Kästner 1928, wo er fortan für das Prager Tageblatt schrieb.

Für Dirk Althoff führte das Studium gar in Arbeitslosigkeit. "Ist eine Seifenoper Fließbandarbeit?" In seiner Magisterarbeit gab der ehrgeizige 26jährige darauf zwar ein klares Nein, aber es nutzte ihm wenig. Dirk mußte ein Jahr auf sein Gutachten warten. Ohne Journalistik-Zeugnis hatte er bei Bewerbungen schlechte Karten, landete beim Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb). "Die Kritik ist völlig zutreffend. Wir hatten eine Lawine von Abschlußarbeiten", sagt Prof. Michael Haller. Da die Journalistik bis 1993 zulassungsfreies Fach gewesen sei, habe man dem Andrang einfach nicht nachkommen können.

Davon betroffen waren auch Werner Lange und Toralf Keßler vom "Westfälisch-Sächsischen Rundfunkbüro" (WSR). Kurzerhand haben sie das Studium an den Nagel gehängt und sich selbständig gemacht. Über das 1995 gegründete "Radio Mephisto" haben sie den Fuß in den Hörfunk-Markt gekriegt, der in Leipzig ohnehin auf flexible Freiberufler gründet. "MDR-Info hatte gar zeitweilig den Ruf, ein Studentensender zu sein", sagt Werner Lange. Der 40jährige Bielefelder glaubt, daß Leipzig eine richtig hungrige Medienstadt ist. Sein Büro organisiert derzeit den "Mitteldeutschen Medientreffpunkt", einen Fachmedienkongress mit einem Etat von einer halben Millionen DM. Große Sponsoren sind die Stadt, der Freistaat und der MDR. Zum Thema "Nachrichten" werden unter anderem Peter Hahne (ZDF), Ulrich Meyer (Sat 1), und Ernst Elitz anrücken. "Keine Puderzuckerveranstaltung", sagt Lange, der als Medienjournalist wölchentlich 3000 Kilometer zurücklegt. Die Leipziger Medienleute müßten durch Seriosität beweisen, daß sie das Label "Medienstadt" verdient haben.
Und vielleicht gibt es ja auch ein paar sachliche Gründe, die für die Stadt sprechen. In München gibt es eine Bürgerinitiative gegen Dreharbeiten, und in Köln kämpfen Kamerateams gegen ein ausgeklüngeltes Parkuhrensystem. Mal sehen, was Leipzig zu bieten hat...
DANIEL STURM