"Kai aus der Kiste": Interview
mit MDR-Sprecher Eric Markuse über die Stasi-Überprüfung
der rund 2.000 Rundfunkmitarbeiter
Kreuzer, Oktober 2001
Eric Markuse, 39, war stellvertretender Chefredakteur
bei der Hamburger Morgenpost. Seit dem 1. Juni leitet er die Hauptabteilung
Kommunikation und Marketing des Mitteldeutschen Rundfunks. Er folgt
damit auf Susan Knoll, die zur Leipziger Dependance der WMP gewechselt
ist. Zum Jahresbeginn beschloss der Rundfunkrat ein Überprüfung
der rund 2.000 festangestellten und 480 festen freien Mitarbeiter, nachdem
die erste Aufklärungswelle zum Sendestart des MDR 1992 unzureichend
war, weil freie Mitarbeiter gar nicht erst überprüft wurden.
Bis Ende 2001 sollen alle MDR-Mitarbeiter auf Stasikontakte gecheckt
worden sein.
KREUZER: Haben Sie geahnt, worauf Sie sich eingelasen
haben, als Sie am 1. Juni den Job als MDR-Unternehmenssprecher antraten
- nämlich als Stasi-Krisenmanager?
Markuse: Dass das Thema Staatssicherheit und MDR so eine große
Rolle spielen würde, habe ich mir aus der Ferne heraus nicht vorstellen
können. In Hamburg wusste man natürlich auch, dass sie da
ein Problem haben und damit beschäftigt sind, das Problem aufzuarbeiten.
In Gänze trifft es einen erst, wenn man hier ist.
KREUZER: Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit verbringen Sie damit, den
Medien den jeweils neuesten Fall von stasibelasteten MDR-Mitarbeitern
zu erklären?
Markuse: Sie haben Tage, da passiert gar nichts. Und plötzlich
kommt wieder wie "Kai aus der Kiste" der neueste enttarnte
Stasi-Mitarbeiter, der letzte Fall war ja der von Ingo Dubinski. Die
Nachricht ereilte mich im Auto. Dann habe ich natürlich gleich
meinen Intendanten informiert. Es läuft dann alles nach einem bestimmten
Prozedere ab, weil wir schon einige Erfahrungen mit dem Thema gemacht
haben. Es gibt schon Tage, da beschäftigt man sich ausschließlich
damit.
KREUZER: Wieviele feste und freie Mitarbeiter sind zum jetzigen Zeitpunkt
überprüft worden? Und mit welchen Ergebnissen?
Markuse: Die festen haben wir jetzt fast durch, für 1.987 Mitarbeiter
sind bei der Gauck-Behörde Anträge eingereicht worden. 16
stehen also noch aus. Es gibt 1.528 Rückläufe, davon sind
1.474 ohne Befund, in 54 Fällen gibt es Hinweise auf Tätigkeit
für das Ministerium für Staatssicherheit. In 43 dieser Fälle
gibt es eine neue Aktenlage (Anm. d. Redaktion: im Vergleich zur ersten
Überprüfung), das heißt sie werden dem Personalausschuss
übergeben. Dieser hat bis heute elf Empfehlungen für den Intendanten
ausgesprochen. Vier Fälle bewertete der Ausschuss als "unzumutbar"
- von diesen Mitarbeitern haben wir uns auch getrennt. Sieben haben
lediglich ihren Wehrdienst im Wachregiment "Felix Jerjinsk"
abgeleistet, was ausser Acht genommen werden kann. Von den ungefähr
1.000 fest freien Mitarbeitern haben wir bisher 754 angeschrieben, 464
Eingangsbestätigungen erhalten. Von der Gauck-Behörde gibt
es bisher 285 Rückläufen, 13 davon mit Befund.
KREUZER: Die Tatsache, dass Sabine Hingst einen Beitrag zum 40. Jahrestag
des Mauerbaus produzierte, haben Sie als "instinktlos" bezeichnet
und (in einer Presseerklärung am 14. August) angekündigt:
"Wir werden genau prüfen, wie es dazu kam. Dieser Vorfall
wird Konsequenzen haben." Die Antwort steht noch aus: Wie kam es
dazu, und welche Konsequenzen hat der Vorfall.
Markuse: Grundsätzlich war an dem Breitrag von Frau Hingst nichts
auszusetzen. In der Personalakte von Frau Hingst steht auch überhaupt
nichts drin, was sie in irgendeiner Form als IM mit der Staatssicherheit
in Verbindung bringt. Das Problem ist nur einfach: Jemand, der so in
der Öffentlichkeit unter Beschuss gelangt ist, ausgerechnet diesen
Beitrag machen zu lassen, halte ich schlicht und einfach für falsch.
Der Intendant hat daraufhin eine Arbeitsanweisung herausgegeben, die
besagt, dass man künftig auf diese Problematik Rücksicht nimmt.
KREUZER: Es gibt Stasi-Fälle, denen Sie arbeitsrechtlich nicht
begegnen können. Diese Mitarbeiter sollen aber laut einer Verfügung
von Intendant Udo Reiter keine redaktionellen Beiträge mit Bezug
zur DDR-Geschichte "Verfassen, produzieren oder vor Mikrofon oder
Kamera sprechen". Wie soll das in der Praxis funktionieren?
Markuse: Den Programmverantwortlichen sind diese Namen ja bekannt. Das
passiert also im Rahmen einer ganz normalen Redaktionskonferenz, in
der Aufgaben verteilt werden.
KREUZER: Michael Hametner, dessen Fall der KREUZER dargestellt hat,
wird beim MDR weiterbeschäftigt. Wird er als Literaturredakteur
alle Bücher, die sich mit der Zeit zwischen 1949 und 1990 beschäftigen,
ausklammern?
Markuse: Schwierige Frage. Hametners Fall liegt ganz anders alle viele
andere, denn er ist IM gewesen und er hat das auch zugegeben. Außerdem
ist der Fall vor dem Gesetz verjährt. Ich denke, dass man bei ihm
zu einer ähnlichen Lösung wie bei anderen kommen muss. Wenn
es konkret um Sachverhalte wie Stasi oder die Machstrukturen des DDR-Regimes
geht, dann ist es nicht angebracht, bestimmte Kollegen dafür anzusetzen.
KREUZER: Im Trubel um Ingo Dubinski ging fast unter, dass Wilfried Zaspel
an der Sendung "Unter uns" mitarbeitet. Wollen Sie uns im
Ernst weismachen, beim MDR hätte niemand gewusst, dass Zaspel vor
vier Jahren bei der LVZ entlassen wurde, weil ihm Stasi-Kontakte nachgewiesen
wurden?
Markuse: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es den Verantwortlichen,
die ihn eingestellt haben, bekannt war. Fest steht, dass da offensichtlich
etwas vorliegt. Jetzt wird er durchgecheckt wie die anderen auch.
KREUZER: Die Glaubwürdigkeit des Senders hat stark gelitten. Wie
will der MDR sie wieder zurückgewinnen?
Markuse: Es gibt diesen Stempel. Wenn wir z.B. über das Stasi-Museum
in Leipzig berichten, sagen einige Betroffene schon: "Warum kommt
jetzt ausgerechnet der MDR?" Man tut den Kollegen aber unrecht.
Wir haben 2.000 Mitarbeiter, die jeden Tag einen Super-Job machen. In
der Phase der Überprüfung werden höchstwahrscheinlich
immer wieder neue Fälle auftauchen und der Intendant wird jeden
einzelnen Fall entscheiden. So lange das nicht abgeschlossen wird, ist
es schwierig so eine Art Image-Offensive zu machen.
INTERVIEW: BJÖRN ACHENBACH, DANIEL STURM