Daniel Sturm
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"Kai aus der Kiste": Interview mit MDR-Sprecher Eric Markuse über die Stasi-Überprüfung der rund 2.000 Rundfunkmitarbeiter
Kreuzer, Oktober 2001

Eric Markuse, 39, war stellvertretender Chefredakteur bei der Hamburger Morgenpost. Seit dem 1. Juni leitet er die Hauptabteilung Kommunikation und Marketing des Mitteldeutschen Rundfunks. Er folgt damit auf Susan Knoll, die zur Leipziger Dependance der WMP gewechselt ist. Zum Jahresbeginn beschloss der Rundfunkrat ein Überprüfung der rund 2.000 festangestellten und 480 festen freien Mitarbeiter, nachdem die erste Aufklärungswelle zum Sendestart des MDR 1992 unzureichend war, weil freie Mitarbeiter gar nicht erst überprüft wurden. Bis Ende 2001 sollen alle MDR-Mitarbeiter auf Stasikontakte gecheckt worden sein.

KREUZER: Haben Sie geahnt, worauf Sie sich eingelasen haben, als Sie am 1. Juni den Job als MDR-Unternehmenssprecher antraten - nämlich als Stasi-Krisenmanager?
Markuse: Dass das Thema Staatssicherheit und MDR so eine große Rolle spielen würde, habe ich mir aus der Ferne heraus nicht vorstellen können. In Hamburg wusste man natürlich auch, dass sie da ein Problem haben und damit beschäftigt sind, das Problem aufzuarbeiten. In Gänze trifft es einen erst, wenn man hier ist.

KREUZER: Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit verbringen Sie damit, den Medien den jeweils neuesten Fall von stasibelasteten MDR-Mitarbeitern zu erklären?
Markuse: Sie haben Tage, da passiert gar nichts. Und plötzlich kommt wieder wie "Kai aus der Kiste" der neueste enttarnte Stasi-Mitarbeiter, der letzte Fall war ja der von Ingo Dubinski. Die Nachricht ereilte mich im Auto. Dann habe ich natürlich gleich meinen Intendanten informiert. Es läuft dann alles nach einem bestimmten Prozedere ab, weil wir schon einige Erfahrungen mit dem Thema gemacht haben. Es gibt schon Tage, da beschäftigt man sich ausschließlich damit.

KREUZER: Wieviele feste und freie Mitarbeiter sind zum jetzigen Zeitpunkt überprüft worden? Und mit welchen Ergebnissen?
Markuse: Die festen haben wir jetzt fast durch, für 1.987 Mitarbeiter sind bei der Gauck-Behörde Anträge eingereicht worden. 16 stehen also noch aus. Es gibt 1.528 Rückläufe, davon sind 1.474 ohne Befund, in 54 Fällen gibt es Hinweise auf Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit. In 43 dieser Fälle gibt es eine neue Aktenlage (Anm. d. Redaktion: im Vergleich zur ersten Überprüfung), das heißt sie werden dem Personalausschuss übergeben. Dieser hat bis heute elf Empfehlungen für den Intendanten ausgesprochen. Vier Fälle bewertete der Ausschuss als "unzumutbar" - von diesen Mitarbeitern haben wir uns auch getrennt. Sieben haben lediglich ihren Wehrdienst im Wachregiment "Felix Jerjinsk" abgeleistet, was ausser Acht genommen werden kann. Von den ungefähr 1.000 fest freien Mitarbeitern haben wir bisher 754 angeschrieben, 464 Eingangsbestätigungen erhalten. Von der Gauck-Behörde gibt es bisher 285 Rückläufen, 13 davon mit Befund.

KREUZER: Die Tatsache, dass Sabine Hingst einen Beitrag zum 40. Jahrestag des Mauerbaus produzierte, haben Sie als "instinktlos" bezeichnet und (in einer Presseerklärung am 14. August) angekündigt: "Wir werden genau prüfen, wie es dazu kam. Dieser Vorfall wird Konsequenzen haben." Die Antwort steht noch aus: Wie kam es dazu, und welche Konsequenzen hat der Vorfall.
Markuse: Grundsätzlich war an dem Breitrag von Frau Hingst nichts auszusetzen. In der Personalakte von Frau Hingst steht auch überhaupt nichts drin, was sie in irgendeiner Form als IM mit der Staatssicherheit in Verbindung bringt. Das Problem ist nur einfach: Jemand, der so in der Öffentlichkeit unter Beschuss gelangt ist, ausgerechnet diesen Beitrag machen zu lassen, halte ich schlicht und einfach für falsch. Der Intendant hat daraufhin eine Arbeitsanweisung herausgegeben, die besagt, dass man künftig auf diese Problematik Rücksicht nimmt.

KREUZER: Es gibt Stasi-Fälle, denen Sie arbeitsrechtlich nicht begegnen können. Diese Mitarbeiter sollen aber laut einer Verfügung von Intendant Udo Reiter keine redaktionellen Beiträge mit Bezug zur DDR-Geschichte "Verfassen, produzieren oder vor Mikrofon oder Kamera sprechen". Wie soll das in der Praxis funktionieren?
Markuse: Den Programmverantwortlichen sind diese Namen ja bekannt. Das passiert also im Rahmen einer ganz normalen Redaktionskonferenz, in der Aufgaben verteilt werden.

KREUZER: Michael Hametner, dessen Fall der KREUZER dargestellt hat, wird beim MDR weiterbeschäftigt. Wird er als Literaturredakteur alle Bücher, die sich mit der Zeit zwischen 1949 und 1990 beschäftigen, ausklammern?
Markuse: Schwierige Frage. Hametners Fall liegt ganz anders alle viele andere, denn er ist IM gewesen und er hat das auch zugegeben. Außerdem ist der Fall vor dem Gesetz verjährt. Ich denke, dass man bei ihm zu einer ähnlichen Lösung wie bei anderen kommen muss. Wenn es konkret um Sachverhalte wie Stasi oder die Machstrukturen des DDR-Regimes geht, dann ist es nicht angebracht, bestimmte Kollegen dafür anzusetzen.

KREUZER: Im Trubel um Ingo Dubinski ging fast unter, dass Wilfried Zaspel an der Sendung "Unter uns" mitarbeitet. Wollen Sie uns im Ernst weismachen, beim MDR hätte niemand gewusst, dass Zaspel vor vier Jahren bei der LVZ entlassen wurde, weil ihm Stasi-Kontakte nachgewiesen wurden?
Markuse: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es den Verantwortlichen, die ihn eingestellt haben, bekannt war. Fest steht, dass da offensichtlich etwas vorliegt. Jetzt wird er durchgecheckt wie die anderen auch.

KREUZER: Die Glaubwürdigkeit des Senders hat stark gelitten. Wie will der MDR sie wieder zurückgewinnen?
Markuse: Es gibt diesen Stempel. Wenn wir z.B. über das Stasi-Museum in Leipzig berichten, sagen einige Betroffene schon: "Warum kommt jetzt ausgerechnet der MDR?" Man tut den Kollegen aber unrecht. Wir haben 2.000 Mitarbeiter, die jeden Tag einen Super-Job machen. In der Phase der Überprüfung werden höchstwahrscheinlich immer wieder neue Fälle auftauchen und der Intendant wird jeden einzelnen Fall entscheiden. So lange das nicht abgeschlossen wird, ist es schwierig so eine Art Image-Offensive zu machen.

INTERVIEW: BJÖRN ACHENBACH, DANIEL STURM