Daniel Sturm
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Drehscheibe Leipzig Fernsehen
Kreuzer, Januar 2000

Mehr regionale Themen wollen die Chefs von Leipzig Fernsehen künftig machen, weil es sich besser vermarkten läßt. Seither kracht es im Gebälk und viele verlassen den Sender.

Bei seiner letzen Sportsendung vor Weihnachten fragte sich Sebastian Varchim verwundert, ob er eigentlich noch für einen Lokalsender arbeitet. Drei von fünf Beiträgen, die der TV-Journalist moderieren sollte, hatten keinen Berührungspunkt mit Leipzig. "Da kann ich ja gleich MDR schauen". Seit Januar ist Varchim nicht mehr in der Sportredaktion bei Leipzig Fernsehen beschäftigt. Wie viele andere der 100 Mitarbeiter bedeutet für ihn die "Programmstrategie 2000" das Aus. Denn natürlich verbirgt sich hinter der Etikette, regional noch attraktiver zu werden, der Versuch wirtschaftlicher Konzentration: kommen drei von fünf Beiträge aus "der Region", können drei von fünf Journalisten gehen.
"Wir sind alle schlanker geworden", antwortet Programmchef Uwe Eckart Böttger auf die Frage nach Personalkürzungen sibyllinisch. Es habe "Verschiebungen" gegeben, meint der SPD-Mann, leicht gewunden. Mit anderen Worten: hinter den Kulissen rappelt es im Karton. Chefredakteur Thorsten Rühle wurde bereits im Herbst durch eine "Produktionsleiterin" Dr. Henrike Dietze ersetzt, die in den Redaktionen ein absoluter Noname war. "Die soll wohl als Puffer zwischen Geschäftsführung und Redaktion dienen, was aber überhaupt nicht funktioniert", berichtet ein Mitarbeiter, der ungenannt bleiben will.
Das eigentliche Regiment haben längst Programmchef Böttger und Prokurist Frank Müller übernommen. Hier werden Themen verkauft und gekauft, für 21 DM pro Sekunde. Denn Ballungsraumfernsehen ist eine teure Angelegenheit: da die Zuschauer von Lokalsendungen erfahrungsgemäß für die Werbewirtschaft zu alt sind, müssen die TV-Macher nach anderen Wegen suchen. Der Königsweg zu schwarzen Zahlen, auf dem auch Tv-München und Tv-Berlin im Gleichschritt mit Leipzig Fernsehen marschieren, sind kostenlose Spielfilme und Serien, wenn sie im Gegenzug die Werbezeiten bekommen. Das Medienimperium von Leo Kirch (Sat 1) der versorgt also auch Leipzig Fernsehen seit Neujahr mit Filmkonserven wie "Ein Bayer auf Rügen" oder "Schwarz greift ein". Von den lokalen Programmen bleiben am Ende nur solche übrig, die "sich rechnen". Vor zwei Jahren hat Leipzig Fernsehen deshalb seine Stadtteil-Magazine sterben lassen. Die jetzt angekündigte Vernetzung der in Sachsen Fernsehen fusionierten Standorte Leipzig, Chemnitz und Dresden geht mehrere Schritte weiter: Da Programm und Marketing näher rücken, fällt es leichter, Kosten zu sparen. Deutlich schwieriger wird es, den Zuschauern diesen Sparkurs als Vorteil zu verkaufen. Immerhin wird Programmchef Böttger jetzt öfter auf der Suche nach überzeugenden Argumenten zu erleben sein, wie auf der Jahrespressekonferenz vor Weihnachten: "Die Leipziger können nun auch Sport aus Altenburg sehen - das ist wichtig".
Die Medienanstalt von Berlin-Brandenburg prognostizierte bereits 1995, dass "von den Lokalprogrammen am Ende nur noch kleine lokale Fenster übrig bleiben".
Für die Redakteure bedeutet das, bei Themenkonferenzen, möglichst gleich einen Sponsoring-Partner an der Hand zu haben. Gut in Erinnerung geblieben ist Sebastian Varchim ein Bittgang beim Betriebswirt des Senders, Rainer Müller, dem er einen bunten Beitrag mit Anspruch schmackhaft machen wollte: "Dann kaufen Sie doch diesen Beitrag selbst, wenn sie unbedingt wollen!", habe Müller trocken geantwortet. Spätestens an diesem Tag ist Sebastian Varchim, dem nach eigener Aussage journalistische Freiheit "viel bedeutet", ein Licht aufgegangen. Wurst verkaufen und seriöser TV-Journalismus, das seien eben doch zwei verschiedene paar Schuhe. Gekaufte Beiträge lassen sich im übrigen leicht zu erkennen: vergleicht man etwa das Nachrichtenmagazin "Drehscheibe Leipzig" mit der Berichterstattung von KREUZER und LVZ, sind oft gravierende Unterschiede in der Gewichtung von Veranstaltungen auszumachen.
Talk, Talk, Talk heißt das letzte Mittel der Kosteneinsparung, zu dem jetzt auch Leipzig Fernsehen greift. Besonders betroffen dabvon ist das Wirtschaftsmagazin "Regio", das jetzt täglich 20 Minuten lang dafür büßen muß, dass die Werbewirtschaft keinen Bock auf Ballungsraum-TV hat. Allein hier beißt die Katze sich in den Schwanz: Mitfühlend beobachtet man Moderatorin Anke Schelling, wie sie allein den Kampf mit der "Gemeindegebietsreform" aufnimmt. Schließlich wurde die Wirtschaftsredaktion von früher fünf Mitarbeitern auf zwei runtergefahren und nun muß sich die Blondine mit dem Ortsvorsteher von Burghausen herumschlagen ("Können Sie nicht ein konkretes Beispiel nennen?"). Außerdem scheint die Marketing-Abteilung komplett versagt zu haben, denn für ein derart dröges Thema findet sich unter Garantie kein Sponsoring-Partner. Und die Quote ist im Keller.
Lichtblick und Quotenkönig eines langen Leipzig-Fernsehen-Abends, der in mehreren Schleifen die Sendungen der primetime wiederholt, ist und bleibt die "Schaulust". Programmchef Böttger verteidigt die Softporno-Serie mit Zähnen und Klauen, gibt aber zu, das Format sehr bewußt nach außen verkaufe, um LF "wieder ins Gespräch zu bringen". "Vielleicht gelingt es uns auch einmal, ein Element selbst zu produzieren", meint Böttger schmunzelnd. Schließlich habe "man viele Bewerbungen von jungen Damen am Standort Leipzig. Licht spendet auch das neue Logo, das noch ein wenig mehr als bisher daran erinnert, das Fernsehen und Kernenergie eine gemeinsame Wurzel haben: "Vorsicht radioaktive Strahlung".

DANIEL STURM

Im Netz: Http://www.leipzig-fernsehen.de