Drehscheibe Leipzig Fernsehen
Kreuzer, Januar 2000
Mehr regionale Themen wollen die Chefs von
Leipzig Fernsehen künftig machen, weil es sich besser vermarkten
läßt. Seither kracht es im Gebälk und viele verlassen
den Sender.
Bei seiner letzen Sportsendung vor Weihnachten
fragte sich Sebastian Varchim verwundert, ob er eigentlich noch für
einen Lokalsender arbeitet. Drei von fünf Beiträgen, die der
TV-Journalist moderieren sollte, hatten keinen Berührungspunkt
mit Leipzig. "Da kann ich ja gleich MDR schauen". Seit Januar
ist Varchim nicht mehr in der Sportredaktion bei Leipzig Fernsehen beschäftigt.
Wie viele andere der 100 Mitarbeiter bedeutet für ihn die "Programmstrategie
2000" das Aus. Denn natürlich verbirgt sich hinter der Etikette,
regional noch attraktiver zu werden, der Versuch wirtschaftlicher Konzentration:
kommen drei von fünf Beiträge aus "der Region",
können drei von fünf Journalisten gehen.
"Wir sind alle schlanker geworden", antwortet Programmchef
Uwe Eckart Böttger auf die Frage nach Personalkürzungen sibyllinisch.
Es habe "Verschiebungen" gegeben, meint der SPD-Mann, leicht
gewunden. Mit anderen Worten: hinter den Kulissen rappelt es im Karton.
Chefredakteur Thorsten Rühle wurde bereits im Herbst durch eine
"Produktionsleiterin" Dr. Henrike Dietze ersetzt, die in den
Redaktionen ein absoluter Noname war. "Die soll wohl als Puffer
zwischen Geschäftsführung und Redaktion dienen, was aber überhaupt
nicht funktioniert", berichtet ein Mitarbeiter, der ungenannt bleiben
will.
Das eigentliche Regiment haben längst Programmchef Böttger
und Prokurist Frank Müller übernommen. Hier werden Themen
verkauft und gekauft, für 21 DM pro Sekunde. Denn Ballungsraumfernsehen
ist eine teure Angelegenheit: da die Zuschauer von Lokalsendungen erfahrungsgemäß
für die Werbewirtschaft zu alt sind, müssen die TV-Macher
nach anderen Wegen suchen. Der Königsweg zu schwarzen Zahlen, auf
dem auch Tv-München und Tv-Berlin im Gleichschritt mit Leipzig
Fernsehen marschieren, sind kostenlose Spielfilme und Serien, wenn sie
im Gegenzug die Werbezeiten bekommen. Das Medienimperium von Leo Kirch
(Sat 1) der versorgt also auch Leipzig Fernsehen seit Neujahr mit Filmkonserven
wie "Ein Bayer auf Rügen" oder "Schwarz greift ein".
Von den lokalen Programmen bleiben am Ende nur solche übrig, die
"sich rechnen". Vor zwei Jahren hat Leipzig Fernsehen deshalb
seine Stadtteil-Magazine sterben lassen. Die jetzt angekündigte
Vernetzung der in Sachsen Fernsehen fusionierten Standorte Leipzig,
Chemnitz und Dresden geht mehrere Schritte weiter: Da Programm und Marketing
näher rücken, fällt es leichter, Kosten zu sparen. Deutlich
schwieriger wird es, den Zuschauern diesen Sparkurs als Vorteil zu verkaufen.
Immerhin wird Programmchef Böttger jetzt öfter auf der Suche
nach überzeugenden Argumenten zu erleben sein, wie auf der Jahrespressekonferenz
vor Weihnachten: "Die Leipziger können nun auch Sport aus
Altenburg sehen - das ist wichtig".
Die Medienanstalt von Berlin-Brandenburg prognostizierte bereits 1995,
dass "von den Lokalprogrammen am Ende nur noch kleine lokale Fenster
übrig bleiben".
Für die Redakteure bedeutet das, bei Themenkonferenzen, möglichst
gleich einen Sponsoring-Partner an der Hand zu haben. Gut in Erinnerung
geblieben ist Sebastian Varchim ein Bittgang beim Betriebswirt des Senders,
Rainer Müller, dem er einen bunten Beitrag mit Anspruch schmackhaft
machen wollte: "Dann kaufen Sie doch diesen Beitrag selbst, wenn
sie unbedingt wollen!", habe Müller trocken geantwortet. Spätestens
an diesem Tag ist Sebastian Varchim, dem nach eigener Aussage journalistische
Freiheit "viel bedeutet", ein Licht aufgegangen. Wurst verkaufen
und seriöser TV-Journalismus, das seien eben doch zwei verschiedene
paar Schuhe. Gekaufte Beiträge lassen sich im übrigen leicht
zu erkennen: vergleicht man etwa das Nachrichtenmagazin "Drehscheibe
Leipzig" mit der Berichterstattung von KREUZER und LVZ, sind oft
gravierende Unterschiede in der Gewichtung von Veranstaltungen auszumachen.
Talk, Talk, Talk heißt das letzte Mittel der Kosteneinsparung,
zu dem jetzt auch Leipzig Fernsehen greift. Besonders betroffen dabvon
ist das Wirtschaftsmagazin "Regio", das jetzt täglich
20 Minuten lang dafür büßen muß, dass die Werbewirtschaft
keinen Bock auf Ballungsraum-TV hat. Allein hier beißt die Katze
sich in den Schwanz: Mitfühlend beobachtet man Moderatorin Anke
Schelling, wie sie allein den Kampf mit der "Gemeindegebietsreform"
aufnimmt. Schließlich wurde die Wirtschaftsredaktion von früher
fünf Mitarbeitern auf zwei runtergefahren und nun muß sich
die Blondine mit dem Ortsvorsteher von Burghausen herumschlagen ("Können
Sie nicht ein konkretes Beispiel nennen?"). Außerdem scheint
die Marketing-Abteilung komplett versagt zu haben, denn für ein
derart dröges Thema findet sich unter Garantie kein Sponsoring-Partner.
Und die Quote ist im Keller.
Lichtblick und Quotenkönig eines langen Leipzig-Fernsehen-Abends,
der in mehreren Schleifen die Sendungen der primetime wiederholt, ist
und bleibt die "Schaulust". Programmchef Böttger verteidigt
die Softporno-Serie mit Zähnen und Klauen, gibt aber zu, das Format
sehr bewußt nach außen verkaufe, um LF "wieder ins
Gespräch zu bringen". "Vielleicht gelingt es uns auch
einmal, ein Element selbst zu produzieren", meint Böttger
schmunzelnd. Schließlich habe "man viele Bewerbungen von
jungen Damen am Standort Leipzig. Licht spendet auch das neue Logo,
das noch ein wenig mehr als bisher daran erinnert, das Fernsehen und
Kernenergie eine gemeinsame Wurzel haben: "Vorsicht radioaktive
Strahlung".
DANIEL STURM
Im Netz: Http://www.leipzig-fernsehen.de