Kristall ohne Schliff
Kreuzer, September 1999
Die Meldung kam wie aus heiterem Himmel - und
rechtzeitig zur Sonnenfinsternis: Das privat geführte Krystallpalast
Varieté kündigte noch im laufenden Spielbetrieb an, vor
der Pleite zu stehen. Ein Hintergrundbericht von Daniel Sturm.
"Haben Sie etwa eine langweilige Beziehung?
Dann könnte Ihnen das Krystallpalast Varieté vielleicht
helfen. Entweder rettet ein romantischer Abend ihre drohende zwischenmenschliche
Pleite, oder Sie kriegen den todsicheren Tipp, um ihren Partner loszuwerden."
So kündigte der KREUZER im Augustheft die
Show des Krystallpalast Varieté "Bitte erschieß' deinen
Gatten" an, die am 24.8. hätte stattfinden sollen. Doch alle
erwartungsfrohen Gattenmörder mußten sich Ende Juli auf eine
lange und qualvolle Beziehung gefaßt machen, schließlich
meldete das Theater Pleite an - und ging kurzerhand in eine auf unbestimmte
Zeit verlängerte Sommerpause. Das Haus war mit 180 Sitzplätzen
zuletzt nur noch zur Hälfte ausgelastet, schlicht und einfach zahlungsunfähig
(insolvent).
Ungeachtet des laufenden Insolvenzverfahrens,
an dessen Ende zur Jahrtausendwende eine neues Konzept mit Schuldenreinigungsplan
stehen soll, sprang als Gönnerin und Hauseigentümerin die
Sparkasse Leipzig in die Bresche, und erklärte sich bereit, der
Bühne vorerst die Mietzahlungen zu erlassen, so daß sie ab
3. September mit Verspätung "Bitte erschieß' deinen
Gatten" spielen kann.
Der Titel der Show liest sich fast symbolisch
für die Zustände hinter den Kulissen des Theaters. Denn der
glamourösen Eröffnung des Krystallpalast Varieté im
November 1997 haftete ein Makel an, der nicht wenig mit dem Wort zwischenmenschliche
Pleite zu tun hat. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren die künstlerische
Leiterin Kathrin Troendle und der Produktionsleiter Jens Riedel zerstritten.
Riedel, der mir der "Leipziger Monroe" seit 1993 geschäftlich
und privat ein Paar war, sollte nicht mehr länger mit von der Partie
sein.
Der dritte Geschäftsführer und Gesellschafter,
Bert Callenbach, beurteilt das Zerwürfnis kühl: "Die
Konflikte um den Arbeitsstil führten schon sehr frühzeitig
zu einer Trennung von Herrn Riedel." Der dann einsetzende Rechtsstreit,
in dem der gefeuerte Riedel um Abfindung und Zahlung der Gehaltsrückstände
prozessierte, endete damit, daß die Kündigung für unwirksam
erklärt wurde. "Er verlangte zuviel, das konnten wir nicht
bieten." Riedel trat zum 1. September 1998 seinen Dienst wieder
an. Nachdem der zwischenmenschlichen nun eine finanzielle Pleite gefolgt
ist, scheint es offenkundig: in der 'Affäre Krystallpalast' sind
sachliche und persönliche Züge eng miteinander verwoben. "Bitte
erschieß' deinen Gatten", was als Bühnenprogramm vorerst
verschoben ist, wird auch im richtigen Leben vorerst in die Verlängerung
gehen: Troendle und Riedel bleiben ein Geschäftsführer-Paar
- zumindest bis zum Ende der Zahlungsunfähigkeit. Und Bert Callenbach
der gleichberechtigte Dritte im Bunde.
Für Jens Riedel hätte "Kristall"
für Hochzeit stehen können, schließlich feiern andere
nach 15 Jahren "Kristallhochzeit". Doch für seine Situation
scheint eher die zweite Bedeutung des Wortes zuzutreffen, das auch für
Eiskälte und Frost steht. Riedel spricht von "rein sachlichen
Differenzen", die zur eingetretenen Situation geführt hätten.
Er befürwortet eine klarere Trennung von künstlerischen und
kaufmännischen Verantwortlichkeiten. "Künstler sind nicht
in der Lage, das eigene Tun davon zu trennen, was für das Geschäft
das allerbeste ist." Seine Vorschläge habe er in einem Konzept
dem vom Amtsgericht Leipzig eingesetzten Insolvenzverwalter, Friedbert
Striewe, unterbreitet. Dazu zählt auch die Forderung, die Zahl
der Geschäftsführer von bisher drei auf einen zu verringern.
Es klingt sonderbar, daß Bert Callenbach
fast identische Vorstellungen äußert - trotz des intern schwelenden
Zankes. Das Haus benötige dringend einen diplomierten Kauf- oder
Marketingmann, andernfalls würden Kunst und Kommerz in fataler
Weise miteinander verquickt. "In dem Augenblick, wo ich als Geschäftsführer
alleine die Entscheidungsbefugnis habe, geht immer der Künstler
mit mir durch, wenn ich etwa Artisten aus Kanada haben will, und mir
egal ist, welche Fahrtkosten die haben."
Die Einmütigkeit ist verständlich, sind
doch mit der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit allen Geschäftsführern
die Hände gebunden. In einer neugegründeten "Auffanggesellschaft"
mischen Insolvenzverwalter und Hausbank die Karten neu und akzeptieren
nur solche Konzepte, die ausreichend Kapital und unternehmerisches Know-How
garantieren. Der Künstler Callenbach glaubt selbstkritisch, daß
die Pleite aus zwei Gründen vorprogrammiert gewesen sei: erstens
sei das Krystallpalast Varieté mit 17 Festangestellten und 30
Pauschalisten zu groß, um kaufmännisch "auf dem Niveau
einer Kleinkunstbühne" zu arbeiten, und zweitens sei das Haus
viel zu klein, um drei Geschäftsführer zu beschäftigen.
"Ganz ehrlich: Mit meinem Wissensstand von heute ist mir schleierhaft,
warum die Banken mitgemacht haben. Da waren Unstimmigkeiten vorprogrammiert."
In der Jürgen-Schneider-Stadt Leipzig indes,
darf man annehmen, zählt dieser Einwand wenig, zumal sich das einzige
nicht öffentlich gesponserte Theater vergleichsweise nur mit peanuts
verschuldet hat. 20.000 DM hier - für den im vergangenen Winter
gebauten Bankettraum, ein paar Tausend Mark für Filmgerät,
Leinwand und Videoprojektor. Schwerer wiegen die Kreditschulden vom
Ausbau des Varietégebäudes in der Magazingasse 4 - die luxuriös
ausgestatteten Bühne kostete 1,2 Millionen DM. Immerhin ist der
Krystallpalast das einzige Varieté-Theater Deutschlands, in dem
ein Fahrstuhl die Künstler von der Wohnung direkt in die Garderobe
bringt.
Mit dem anderen Pleitier, Jens Riedel, will Callenbach
"nicht wieder zusammenarbeiten, soviel steht fest". Dessen
Situation folgt allerdings nahtlos dem Strickmuster der klassischen
Beziehungstragödie, an deren Ende nur selten ein Happy End steht.
Denn zusätzlich zu seinem ungewissen Zukunft in dem mittlerweile
Konkurs gegangenen Varieté-Theater stellten Callenbach/Troendle
im Sommer 1998 ausgerechnet den neuen Lebensgefährten seiner "Ex",
Matthias Bremke, als kaufmännischen Leiter ein.
"Ich habe das aus sachlichen Gründen
abgelehnt", meint Riedel. Bremke habe zuvor im Rechnungswesen der
Baubranche gearbeitet und sei aus diesem Grund nicht der passende Mann
für einen Job in der Theaterbranche. Was Bremke, die Verteilung
der Kompetenzen und die Geschäftsführung insgesamt angeht,
stimmt Bert Callenbach dem Gegenspieler Riedel zu: "Im Stab wird
es eine komplette Auswechslung geben." Und ohne den Fall Lafontaine/Schröder
herbeizitieren zu müssen zeigt sich, daß hinter der Rede
von den "sachlichen Differenzen" oft auch etwas anderes steckt
- ein verbissener Streit um die Person.