Daniel Sturm
Journalism & Research


         

Politics

War & Sept. 11

Arts & Entertainment

Environment & Technology

Racism

General Interest

 

 

 

Order Book Online Amazon.de

 

 

 

Billiger studieren
Kreuzer, April 2001

"Es gibt Kohle", heißt es auf einem Faltblatt der Stadt Leipzig ganz unverblümt. Denn seit November 1999 bekommen alle Studenten, der sich mit Hauptwohnsitz in Leipzig anmelden, jede Semestergebühr in Höhe von 94 DM erstattet. Mit diesem "Kopfgeld" erhofft sich die Universitätsstadt ihre sinkende Einwohnerzahl zu stoppen. 2.510 neue Einwohner hat Leipzig mit der Aktion bisher gewonnen und damit rund 5 Millionen DM, die es per Einwohnerumlage vom Land gibt. "Die Erwartungen haben sich erfüllt", meint Bürgermeister Holger Tschense im Interview.

KREUZER: Warum sind die Studenten ein Bonus für die Stadt?
Tschense: Zum einen ist Leipzig eine junge dynamische Stadt, zum zweiten wollen wir noch mehr Studenten als bisher nach Leipzig holen, die nicht nur die angenehmen Verhältnisse für Studenten erschließen, sondern auch das angenehme "Ringsherum". Die Kneipenszene, das kulturelle und sportliche Angebot, die Basiskultur, alles Dinge, die man vielleicht, wenn man aus Bochum oder gar aus dem Ausland kommt, nicht unbedingt sofort mit Leipzig verbindet.

KREUZER: Muss man denn dazu seinen Hauptwohnsitz in Leipzig haben?
Tschense: Natürlich kann man das auch als Nebenwohnsitzer genießen, aber die Entscheidung zur Wahl des Studienplatzortes hängt eben auch mit persönlichen Überlegungen zusammen. Ich denke, eine kleine Ersparnis ist für Studenten schon ein zusätzliches Argument. Die Studenten sollen sagen: Hier ist es auch billiger zu studieren!

KREUZER: Das klingt ja ganz so, als mache die Stadt Leipzig das nur für die Studenten?
Tschense: Es rechnet sich natürlich auch für uns.

KREUZER: Inwiefern?
Tschense: Es ist ein Anreiz, neue Bewohner hierher zu ziehen. Es wird ja über vieles nachgedacht, etwa über eine Prämie, um die Geburtenrate zu steigern. Es gibt einen wichtigen Grund, warum wir mit der Zuzugsprämie gezielt auf Studenten setzen, und nicht auf Dritte: viele Studenten, die in Leipzig studiert haben, versuchen sich nach ihrem Studium hier zu etablieren.

KREUZER: Wie viel Geld bringt der Studentenbonus ein?
Tschense: Über den Länderfinanzausgleich werden im Jahr 2002 etwa 5 Millionen in den Haushalt der Stadt fließen. Die Erwartungen haben sich erfüllt. Sie müssen aber sehen, daß die Stadt für ein kulturelles Angebot wie die Oper etwa 70 Millionen DM im Jahr ausgibt. Das Geld wird also dicke aufgefressen, um allen Haupt- und Nebenwohnsitzern ein attraktives Angebot zu machen.

KREUZER: Wie ist der Trend: lässt das Interesse für die Aktion nach?
Tschense: Immer zum Zeitpunkt der Einschreibung steigen die Fallzahlen. Das hat natürlich auch damit zu tun, daß wir zu diesen Zeiten eine mobile Meldestelle an der Universität eingerichtet haben und die Öffentlichkeitsarbeit besonders stark stattgefunden hat. Natürlich ist in den Bürgerämtern die Anmeldung auch das ganze Jahr über möglich. Für das Wintersemester 2001/2002 endet die Antragsfrist am 30. Juni.

KREUZER: Die PDS hat eine "Hierbleibe-Prämie" gefordert. Ist diese Idee vom Tisch?
Tschense: Wir können demjenigen, der seit fünf, sechs Jahren in Leipzig wohnt, keine Prämie zahlen. Es gab inzwischen auch ein Klageverfahren eines betroffenen Studenten, ein alter Leipziger, der diese Prämie auch kassieren wollte. Aber er hat seinen Anspruch vor Gericht nicht durchsetzten können. Eine solche Prämie ist eher imageschädlich. Sonst heißt es, denen fällt nichts anderes ein, als die Leute durch Geld zum Hierbleiben zu bewegen. So unattraktiv ist Leipzig nicht.

KREUZER: Kann Leipzig mit der Zuzugsprämie gar 500.000-Einwohner-Stadt werden?
Tschense: Na ja, wir müssen wegen der Überalterung eher mit einem noch stärkeren Bevölkerungsrückgang rechnen. Da die Stadt Leipzig de Geburtenrate nicht steigern kann, müssen wir eben auf Zuzug setzen. Ich rechne damit, daß die Zahlen der neuen Hauptwohnsitzer 2001 noch einmal ansteigt. Und wenn Leipzig 500.000-Stadt würde, dann käme das zunächst ja auch nur dem Landeshaushalt zugute. Die Mär, daß dann die Verwaltungsspitze mehr Gehalt beziehen würde, ist unberechtigt. Die Grenze liegt bei 400.000 Einwohnern.

INTERVIEW: DANIEL STURM