Billiger studieren
Kreuzer, April 2001
"Es gibt Kohle", heißt es auf
einem Faltblatt der Stadt Leipzig ganz unverblümt. Denn seit November
1999 bekommen alle Studenten, der sich mit Hauptwohnsitz in Leipzig
anmelden, jede Semestergebühr in Höhe von 94 DM erstattet.
Mit diesem "Kopfgeld" erhofft sich die Universitätsstadt
ihre sinkende Einwohnerzahl zu stoppen. 2.510 neue Einwohner hat Leipzig
mit der Aktion bisher gewonnen und damit rund 5 Millionen DM, die es
per Einwohnerumlage vom Land gibt. "Die Erwartungen haben sich
erfüllt", meint Bürgermeister Holger Tschense im Interview.
KREUZER: Warum sind die Studenten ein Bonus für
die Stadt?
Tschense: Zum einen ist Leipzig eine junge dynamische Stadt, zum zweiten
wollen wir noch mehr Studenten als bisher nach Leipzig holen, die nicht
nur die angenehmen Verhältnisse für Studenten erschließen,
sondern auch das angenehme "Ringsherum". Die Kneipenszene,
das kulturelle und sportliche Angebot, die Basiskultur, alles Dinge,
die man vielleicht, wenn man aus Bochum oder gar aus dem Ausland kommt,
nicht unbedingt sofort mit Leipzig verbindet.
KREUZER: Muss man denn dazu seinen Hauptwohnsitz
in Leipzig haben?
Tschense: Natürlich kann man das auch als Nebenwohnsitzer genießen,
aber die Entscheidung zur Wahl des Studienplatzortes hängt eben
auch mit persönlichen Überlegungen zusammen. Ich denke, eine
kleine Ersparnis ist für Studenten schon ein zusätzliches
Argument. Die Studenten sollen sagen: Hier ist es auch billiger zu studieren!
KREUZER: Das klingt ja ganz so, als mache die
Stadt Leipzig das nur für die Studenten?
Tschense: Es rechnet sich natürlich auch für uns.
KREUZER: Inwiefern?
Tschense: Es ist ein Anreiz, neue Bewohner hierher zu ziehen. Es wird
ja über vieles nachgedacht, etwa über eine Prämie, um
die Geburtenrate zu steigern. Es gibt einen wichtigen Grund, warum wir
mit der Zuzugsprämie gezielt auf Studenten setzen, und nicht auf
Dritte: viele Studenten, die in Leipzig studiert haben, versuchen sich
nach ihrem Studium hier zu etablieren.
KREUZER: Wie viel Geld bringt der Studentenbonus
ein?
Tschense: Über den Länderfinanzausgleich werden im Jahr 2002
etwa 5 Millionen in den Haushalt der Stadt fließen. Die Erwartungen
haben sich erfüllt. Sie müssen aber sehen, daß die Stadt
für ein kulturelles Angebot wie die Oper etwa 70 Millionen DM im
Jahr ausgibt. Das Geld wird also dicke aufgefressen, um allen Haupt-
und Nebenwohnsitzern ein attraktives Angebot zu machen.
KREUZER: Wie ist der Trend: lässt das Interesse
für die Aktion nach?
Tschense: Immer zum Zeitpunkt der Einschreibung steigen die Fallzahlen.
Das hat natürlich auch damit zu tun, daß wir zu diesen Zeiten
eine mobile Meldestelle an der Universität eingerichtet haben und
die Öffentlichkeitsarbeit besonders stark stattgefunden hat. Natürlich
ist in den Bürgerämtern die Anmeldung auch das ganze Jahr
über möglich. Für das Wintersemester 2001/2002 endet
die Antragsfrist am 30. Juni.
KREUZER: Die PDS hat eine "Hierbleibe-Prämie"
gefordert. Ist diese Idee vom Tisch?
Tschense: Wir können demjenigen, der seit fünf, sechs Jahren
in Leipzig wohnt, keine Prämie zahlen. Es gab inzwischen auch ein
Klageverfahren eines betroffenen Studenten, ein alter Leipziger, der
diese Prämie auch kassieren wollte. Aber er hat seinen Anspruch
vor Gericht nicht durchsetzten können. Eine solche Prämie
ist eher imageschädlich. Sonst heißt es, denen fällt
nichts anderes ein, als die Leute durch Geld zum Hierbleiben zu bewegen.
So unattraktiv ist Leipzig nicht.
KREUZER: Kann Leipzig mit der Zuzugsprämie
gar 500.000-Einwohner-Stadt werden?
Tschense: Na ja, wir müssen wegen der Überalterung eher mit
einem noch stärkeren Bevölkerungsrückgang rechnen. Da
die Stadt Leipzig de Geburtenrate nicht steigern kann, müssen wir
eben auf Zuzug setzen. Ich rechne damit, daß die Zahlen der neuen
Hauptwohnsitzer 2001 noch einmal ansteigt. Und wenn Leipzig 500.000-Stadt
würde, dann käme das zunächst ja auch nur dem Landeshaushalt
zugute. Die Mär, daß dann die Verwaltungsspitze mehr Gehalt
beziehen würde, ist unberechtigt. Die Grenze liegt bei 400.000
Einwohnern.
INTERVIEW: DANIEL STURM