"Ich bin kein Hochstapler"
Kreuzer, Mai 2002
Michael Kölmel, Betreiber des neuen Zentralstadions,
der Mehrzweckhalle und der Festwiese, über seine Vision vom Leipziger
Profifußball und das bevorstehende Management der Leere.
Er ist der Herr des Stadions, das am 22. Mai eröffnet
wird: der Filmhändler Michael Kölmel. Als der Leipziger Stadtrat
ihm im September 2000 den Zuschlag für die WM-Schüssel gab
und ihn darüber hinaus zum Betreiber von Mehrzwecksporthalle und
Festwiese machte, haftete dem Mathematiker der Ruf eines Genies an.
Der Mann mit dem badischen Singsang in der Stimme hat Fußball
und Fernsehen zu einer Art Zauberformel verwoben. Mit seinem Münchner
Filmhandel Kinowelt Medien AG (»Der englische Patient«,
»Italienisch für Anfänger«) legte er den Grundstock
des Erfolges. Die Tochterfirma Sportwelt sollte mit der Vermarktung
von Fußball ans Fernsehen Geld in die Kassen spülen. Dafür
kaufte Kölmel die Fernsehrechte von 14 Vereinen, darunter von FC
Sachsen und VfB Leipzig.
Doch aus dem »Robin Hood, dem Retter verarmter Traditionsvereine«
(FAZ) wurde selbst ein armer Schlucker. Nach fehlgeschlagenen Versuchen,
Fußball und Kino im großen Stil an Fernsehsender zu verkaufen,
stürzte die am Neuen Markt notierte Kinowelt ab. Unter dem Druck
der Gläubigerbanken musste Kölmel im Herbst 2001 ein Film-
und Serienpaket, das er für 560 Millionen DM in Hollywood gekauft
hatte, mit großem Verlust an die Warner Brothers zurückgeben.
Jetzt bleibt dem gebürtigen Karlsruher noch der Handel von Videos
und DVDs. Und das Fußball-WM-Stadion in Leipzig, in das er 54
Millionen DM gesteckt hat.
KREUZER: Zur Stadiongala des Deutschen Turnfestes
werden erstmals seit dem Kirchentag 1998 wieder die Massen ins Stadion
strömen. Haben Sie schon eine erbauliche Predigt vorbereitet?
MICHAEL KÖLMEL: Noch nicht. Wir bemühen uns, den Termin zur
Fertigstellung des Rohbaus einzuhalten. Sowohl Bundeskanzler Schröder
als auch Oberbürgermeister Tiefensee sind als Festredner angekündigt.
Und ich gucke mir das auch an.
KREUZER: Bei den Verhandlungen um den Stadionneubau
in Mönchengladbach waren Sie auch mit von der Partie. Warum investieren
Sie in Leipzig und nicht dort,wo das sportliche Umfeld stimmt?
KÖLMEL: Gladbach ist zwar sportlich erfolgreich, aber die Stadionfinanzierung
ist sehr viel riskanter. Ein Pluspunkt für Leipzig ist, dass der
Bund und die Stadt den Neubau subventioniert haben. Die Unsicherheit,
dass der Fußball noch nicht so weit ist, macht die Sache nur reizvoller.
KREUZER: Worin sehen Sie den Schlüssel zum
geschäftlichen Erfolg des neuen Sportforums?
KÖLMEL: Das ganze Ensemble - Stadion, Halle, Festwiese - ist schön.
Die Mehrzweckhalle ist sehr gut geworden. Es gibt bereits viele Anfragen
im außersportlichen Bereich. Man kann auf relativ engem Raum ganz
verschiedene Veranstaltungen anbieten. Nicht viele Städte haben
eine so gute Anbindung an das Stadtzentrum. Außerdem zieht Leipzig
wegen seiner Zentrumsfunktion Zuschauer aus der größeren
Umgebung an.
KREUZER: Haben Sie in Ihrer Aufzählung den
Fußball bewusst ausgelassen?
KÖLMEL: Das ist schon ein Schlüssel, aber damit halte ich
mich im Moment zurück. Beide Mannschaften spielen in der 4. Liga
und sind noch nicht einmal auf Aufstiegsplätzen. Wenn ich jetzt
ankündige, dass sie demnächst das Stadion füllen, fällt
das nur hämisch auf mich zurück. Solange die Vereine nicht
höherklassig spielen, müssen im Zentralstadion sehr gute Länderspiele
stattfinden. Oder attraktive Freundschaftsspiele. In der Sommerpause,
wenn gute Teams nach Trainingspartnern suchen, ist das gut möglich.
Vielleicht sogar unter Wettkampfatmosphäre.
KREUZER: Gibt es für Länderspiele in
Leipzig schon genaue Festlegungen vom Deutschen Fußballbund?
KÖLMEL: Nein, aber es ist klar, dass der DFB die neuen Bundesländer
stützen will. Es kann ja nicht sein, dass der gesamte Fußball
in den Westen abwandert. Rostock hat zwar auch noch ein Stadion. Das
erfüllt aber nicht den Standard für 44.000 Zuschauer.
KREUZER: Wenn Sie tauschen könnten,würden
Sie nicht lieber die Arena AufSchalke oder die in München betreiben?
KÖLMEL: Bayern München ist auf dem Höhepunkt. Was soll
da noch passieren? Außerdem ist dort alles in festen Händen,
während man in Leipzig noch etwas aufbauen kann. Zwei Voraussetzungen,
die wir selber nicht beeinflussen können, sind in Leipzig gegeben:
die Finanzierung und die Tradition Leipzigs als Fußballstadt.
Das lässt sich relativ schnell wieder reaktivieren,wenn sportlicher
Erfolg dazukommt.
KREUZER: Das neue Stadion in München wird
wie eine Naturerscheinung wirken und je nach Vereinsfarbe rot oder blau-weiß
aufleuchten. Welche Besonderheiten bietet das Zentralstadion?
KÖLMEL: Es ist immer schwierig, auf eine alte Substanz aufzusetzen.
Der Entwurf in Leipzig ist ganz gut gelungen, um aus dem alten Stadion
ein neues zu machen. Das neue fügt sich optisch ganz gut ein. Das
Kommen und Gehen ist hier harmonisch gelöst. Demgegenüber
wird das neue Münchner Stadion zwar spektakulär wirken, aber
es ist eben weit vom Stadtzentrum entfernt. Wenn sich der Fußball
in Leipzig nicht gleich positiv entwickeln sollte, ist das gar nicht
so schlimm. Denn je spektakulärer eine Fußballmannschaft
spielt, desto stärker kommen die Menschen aus dem Umland. Bayern
z. B. hat einen großen Zuschaueranteil von außerhalb. Die
Münchner selbst gehen lieber zu 1860 München. Deshalb zogen
sie auch das alte Grünwalder Stadion dem Olympiastadion vor. Bis
sich Leipzig im Fußball entwickelt haben wird, ist dieser Effekt
der Stadtangebundenheit also ganz schön.
KREUZER: Das klingt nach »klein, aber fein«.
KÖLMEL: Die Architektur ist auch so gestaltet, dass es wie ein
kleineres 25.000-Zuschauer-Stadion aussehen kann. Stadien wirken fast
wie Kinos. Wenn Sie ins Kino gehen, lassen Sie automatisch einen Platz
frei und rücken nicht sofort auf. Das Kino ist dann zwar nur halb
voll, aber Sie haben den Eindruck, es sei voll. Wenn man die oberen
Ränge optisch abhängt - was in Leipzig möglich sein wird
-, erreicht man eine gute Atmosphäre.
KREUZER: Besteht die Hauptaufgabe in den ersten
Jahren darin, die Leere im Stadion zu managen?
KÖLMEL: Ich verspreche mir schon, dass mehr Zuschauer allein wegen
des neuen Bauwerks kommen. Die alten Stadien erfüllen die Sicherheits-
und Komfortbedingungen nicht mehr. Viele Besucher werden auch neugierig
sein, die Arena live zu erleben. Man sitzt relativ dicht am Fußballfeld.
KREUZER: Ihre Vision für Leipzig war die
Kombination von Fußball und Entertainment - Vater und Sohn schauen
sich Ligaspiele an, Mutter und Tochter gehen ins Stadionkino. Gilt das
noch?
KÖLMEL: Nein. Das macht keinen Sinn mehr. In Leipzig ist der Bedarf
mit dem neuen Multiplexkino einfach gedeckt. Außerdem ist dessen
Standort noch günstiger. Im kleinen Stil ist Kino natürlich
auch im neuen Zentralstadion machbar, es gibt hier sowieso viel Equipment.
KREUZER: Wie steht es um Ihr Verhältnis zum
FC Sachsen? Wird der im neuen Stadion spielen, und wenn ja, wird er
wieder von Kölmel unterstützt?
KÖLMEL: Das Stadion ist für beide Vereine attraktiv, wenn
sie höherklassig spielen. Sie haben dann mehr Zuschauer und größere
Vermarktungschancen. Die Vergangenheit mit dem FC Sachsen bereiten wir
gerade auf.
KREUZER: Als Sie erstmals hörten, dass Leo
Kirch das Deutsche Sportfernsehen (DSF) abstoßen will, ganz ehrlich:
Woran haben Sie zuerst gedacht?
KÖLMEL: Man kann Fernsehsender auch billiger betreiben. An sich
ist das DSF eine ganz gute Marke. Mich würde wundern,wenn der Sender
kaputtginge.
KREUZER: Die Kirch-Pleite wird vermutlich zu einem
Preisrutsch im Fernsehgeschäft mit der Bundesliga führen.
Sie vermarkten 14 Clubs. Wie soll es mit Ihrem Fußballengagement
weitergehen?
KÖLMEL: Ich habe Sorge, dass unsere Vereine Etats planen mit Fernsehzahlungen,
die sie nie erhalten. Hinter diesen fest eingeplanten TV-Erlösen
stehen in der Regel längerfristige Arbeitsverträge mit Spielern.
Ich weiß nicht, wie die darauf reagieren werden. Denn die Spielerverträge
sind nicht an Fernseherlöse gebunden. Im Moment habe ich den Eindruck,
dass die Vereine eine Kopf-in-den-Sand- Politik betreiben. Das könnte
in der nächsten Saison ein großes Problem werden. Eigentlich
müsste man ganz radikal vorgehen und sagen: Mein Verein geht gegen
den Trend und versucht sich von den teuren Spielern zu trennen, spielt
sportlich nur hinten mit, ist aber später einer der wenigen Vereine,
die wirtschaftlich überlebt haben. Das zu sagen, traut sich kaum
ein Präsident.
KREUZER: Vor zwei Jahren haben Sie gegen Kirchs
Konzern mit 350 Millionen € um die Übertragungsrechte für
die Bundesliga geboten. Kirch bekam zwar den Zuschlag, ist jetzt aber
am Ende. Ihre Fußballvermarktung hat auch keine rechten Früchte
getragen. Ist für Sie damit der Ofen aus?
KÖLMEL: Wir wollen uns dieses Jahr in einer guten Position konsolidieren.
Unsere Hauptaufgabe ist, die Verschuldung wegzukriegen, um dann zuwarten
zu können. Der ganze Markt ist in einer schwierigen Situation,
weil die Werbeerlöse im Fernsehen unheimlich zurückgegangen
sind. Darunter leiden alle. Und dann gibt es zusätzlich die Unsicherheit
und Chance, dass sich die Eigentumsverhältnisse in den Fernsehsendern
noch 2002 verändern.
KREUZER: Kann man mit dem Namen Kölmel überhaupt
noch Investoren locken?
KÖLMEL: Das wird man dieses Jahr sehen! Wir haben ja nicht das
Image, Hochstapler zu sein. Unsere Idee ist nicht aufgegangen: über
ein großes Angebot an Spielfilmen das Manko auszugleichen, keinen
eigenen Fernsehsender zu haben. Andere Geschäftsmodelle, die noch
1999 als ganz attraktiv galten - wie UMTS oder Pay-TV - stehen im Verdacht,
auch nicht zu funktionieren. Was sich bei uns abgespielt hat, ist im
Vergleich mit der Kirch- Krise ein kleineres Problem. Da kann man sich
im Nachhinein nicht so viele Vorwürfe machen.
KREUZER: Sollte der VfB Leipzig in die Regionalliga
aufsteigen,was haben Sie mit ihm vor?
KÖLMEL: Die Regionalliga ist eine komplizierte Liga, weil die Spieler
wie Vollprofis bezahlt werden müssen. Das können Sie kaum
refinanzieren. Das Fernsehen bringt allenfalls 350.000 € ein, erst
in der 2. Bundesliga sind die Erlöse erheblich größer.
Leipzig hat in der Regionalliga einen echten Standortnachteil gegenüber
Mannschaften, deren wirtschaftliches Umfeld bedeutend stärker ist:
Düsseldorf, Essen,Braunschweig.
KREUZER: Die Stimmung in den Leipziger Stadien
erinnert an eine Mischung aus Nazi-Demo und Zonenmief. Wie lässt
sich das bessere Publikum wieder für den Fußball begeistern?
KÖLMEL: Beim VfB ist die Erwartungshaltung viel größer,
weil die mal in der 1. Bundesliga gespielt haben. Wenn sich Sponsoren
wieder engagieren, kann die Situation unheimlich schnell kippen. Der
SC Freiburg war früher der kleinere Verein von zwei Clubs in der
Stadt, die haben gegen die Mannschaft des Dorfes gespielt, in dem ich
aufgewachsen bin. Beide waren später in der 2. Bundesliga und sind
binnen weniger Jahre wechselweise auf- und abgestiegen. Es hängt
eben immer von den Personen ab, die sich gerade engagieren.
KREUZER: Wo sehen Sie Modelle, die man auf Leipzig
übertragen könnte?
KÖLMEL: In den neuen Bundesländern war die Sportausbildung
immer ganz gut. Sehr viele Talente, die dann zu West-Vereinen wechselten,
stammen von hier. Der Aufschwung ist schon zu schaffen, zumal in Leipzig
eine attraktive Sportinfrastruktur entsteht. Wenn jemand die Berufsperspektive
»Profi-Fußballer« hat und in eine Stadt kommt, wo
die Sportstätten 1A sind und die Lebensqualität hoch, dann
zieht er dort gerne hin.
KREUZER: Dann bringen Sie der Olympiabewerbung
Leipzigs wohl große Sympathien entgegen?
KÖLMEL: Ich finde das sehr gut,weil Leipzig dann zu einer Sportstadt
wird. Sie können das vergleichen mit der Situation in Universitätsstädten,
die auch im Wettbewerb stehen.
KREUZER: Wäre nicht eine Fusion der beiden
Clubs eine Möglichkeit, dass das Publikum die miserablen Auftritte
in den letzten Jahren vergisst und voller Enthusiasmus ins neue Stadion
strömt?
KÖLMEL: Ich glaube, dass Leipzig zwei Fußballmannschaften
verkraftet. Aus der Rivalität entsteht noch mehr Interesse für
den Fußball,das sieht man in München oder Hamburg.
KREUZER: Sollten die Leipziger Fußballclubs
über Jahre hinweg versagen: Steigen Sie dann aus?
KÖLMEL: Wenn das jetzt noch eine Zeit lang so anhält, würde
mich das zwar stören, aber ich würde mich deshalb nicht zurückziehen.
Wenn wir aber in zehn Jahren nichts erreicht haben, dann muss ich mir
das noch einmal überlegen.
INTERVIEW: DANIEL STURM