"Die Berichte hatten es in sich"
Interview mit dem Stasi-Experten Hubertus Knabe über den mutmaßlichen
Stasispitzel und stellvertretenden Bild-Chefredakteur Klaus-Dieter Kimmel
Kreuzer, November 2001
Der Fall des Klaus-Dieter Kimmel ist in der
aktuellen Stasi-Debatte von besonderem Gewicht, immerhin ist er als
stellvertretender Chefredakteur für die Bild-Regionalausgaben in
den neuen Bundesländern zuständig. Im November 1999 trennte
sich die größte deutsche Tageszeitung für ein Jahr von
Kimmel, als massive Stasivorwürfe auftauchten. Nach seinem Rauswurf
bei Bild arbeitete er u.a. für den Mitteldeutschen Rundfunk in
Leipzig (KREUZER 12/00). Im April holte ihn der neue Bild-Chef Kai Diekmann
auf seinen alten Posten zurück und beauftragte den seinerseits
umstrittenen Buchautor Dr. Hubertus Knabe mit einem Gutachten, das dieser
jetzt Bild übergeben hat. Knabe ist wissenschaftlicher Direktor
der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und veröffentlichte
im Sommer das Buch "Der diskrete Charme der DDR. Stasi und Westmedien".
Der KREUZER befragte ihn nach seinen Erkenntnissen.
KREUZER: Klaus-Dieter Kimmel soll den früheren
Ostberliner Korrespondenten der Düsseldorfer Rheinischen Post,
Klaus Heinemann, denunziert haben. Wie sah die Arbeit des IM Fuchs aus?
Knabe: Herr Kimmel hat als IM "Fuchs"
nur sieben schriftliche Berichte liefert, aber diese hatten es in sich.
Insbesondere die Informationen über Herrn Heinemann wurden vom
Führungsoffizier als "wertvoll" eingestuft und umgehend
an die für die Überwachung der Korrespondenten zuständige
Hauptabteilung weitergeleitet. Herr Kimmel hat darin berichtet, dass
Herr Heinemann seine ostdeutschen Verwandten und andere DDR-Bürgern
als inoffizielle Informationsquellen benutze und dass diese am liebsten
in den Westen gehen wollten. Einmal habe Herr Heinemann einen seiner
Verwandten sogar illegal im Auto mit nach West-Berlin genommen - und
ihn anschließend wieder zurückgebracht. Diese Berichte sind
nicht in einer Schublade verstaubt, sondern finden sich in der Opferakte
von Herrn Heinemann wieder. Die besonders belastenden Informationen
wurden vom MfS dick angestrichen.
KREUZER: Welche Folgen hatten seine Berichte?
Knabe: Herr Heinemann hat berichtet, dass
seine Verwandten daraufhin gewaltige Probleme am Arbeitsplatz bekamen
und ihn inständig baten, sie aus der DDR herauszuholen. Weil er
das gemacht hat, konnte er die DDR wegen des Verhaftungsrisikos anschließend
nicht mehr betreten. Auch seine Chefredaktion zeigte wenig Verständnis
dafür, dass sich Herr Heinemann als Fluchthelfer betätigt
hatte, und setzte ihn lange Zeit nur noch in untergeordneten Positionen
ein. Besonders bedroht waren jedoch seine ostdeutschen Informanten,
die von Herrn Kimmels Führungsoffizier als "illegales Korrespondentennetz"
eingestuft wurden. Bekanntlich drohten jedem DDR-Bürger, der "Nachrichten
oder andere Materialien, die geeignet sind, den Interessen der DDR zu
schaden, im Ausland verbreitet oder verbreiten lässt" bis
zu fünf Jahren Haft (§219 StGB).
KREUZER: Einige Male soll Kimmel sich drastisch
geweigert haben, Informationen und Angaben zu DDR-Bürgern zu geben.
Ein entlastender Punkt?
Knabe: Das gehört genauso zum Bild.
Insgesamt war die Phase, in der die Stasi mit Herrn Kimmels Arbeit zufrieden
war, sehr kurz, nämlich nur ein gutes Jahr. Man erkennt in der
Akte sehr deutlich, dass er sich zu entziehen versucht, indem er z.B.
nicht mehr zu den Treffs hingeht oder kein Geld mehr annimmt. Zum Schluß
wird die Akte archiviert, weil er nicht mehr bereit sei, "die notwendigen
Aufträge für das MfS durchzuführen". Er lehnte es
auch - bis auf einen Fall - ab, über Bekannte oder Kollegen zu
berichten. Bei ausländischen Gesprächspartnern hat er offenbar
andere Maßstäbe angelegt - vielleicht, weil er meinte, dass
würde zu seinen "staatsbürgerlichen Pflichten" dazu
gehören.
KREUZER: Im November 1988 hat sich Kimmel noch
einmal bei der Stasi verpflichtet. Was haben Sie über diesen IM-Vorgang
"Martin Meinel" herausgefunden?
Knabe: Dieser Vorgang war bis zur Auflösung
der Stasi "aktiv" und ist erst 1991 von der Gauck-Behörde
archiviert worden. Die Tatsache, dass nur drei beschriebene Textseiten
- darunter die Verpflichtungserklärung - überliefert sind,
deutet darauf hin, dass in der Wendezeit Teile der Akte vernichtet wurden.
Der auf einer Karteikarte verzeichnete Berichtsband fehlt vollständig.
Der Widerstand gegen eine Zusammenarbeit mit der Stasi, den Herr Kimmel
1977 gezeigt hat, ist mit der zweiten Verpflichtung in gewisser Weise
wieder aufgehoben worden.
INTERVIEW: DANIEL STURM