Daniel Sturm
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"Man muss ihnen das Martialische nehmen"
Kreuzer, Dezember 2001

Für ihren Dokumentarfilm "Nach Hitler - Radikale Rechte rüsten auf" (ARD) haben Jan Peter, Yury Winterberg und Rainer Fromm den civis-Medienpreis erhalten, der mit 10.000 DM dotiert ist. Der Preis wurde 1987 vom Bundes-Ausländerbeauftragten, der ARD und der Freudenberg Stiftung Weinheim ins Leben gerufen. Gefördert werden sollen Fernsehsendungen, die sich besonders für kulturelle Vielfalt und gegen Rassismus einsetzen. Neben dem Dreiteiler, der von der Leipziger Filmfirma L.E. Vision produziert wurde, haben die Preisträger für ARTE eine Dokumentation über Neonazi-Aussteiger produziert, die in einem Themenabend zu sehen sein wird. Der KREUZER sprach mit dem Leipziger Regisseur Jan Peter.

KREUZER: Sind mit dem Preis bestimmte Aufgaben verbunden?
Jan Peter: Wir sind zu verschiedenen Vorträgen eingeladen. Es besteht aber keine Gefahr, daß wir zu herumreisenden Welterklärern werden.

KREUZER: Ein paar Tage, bevor Du den Preis bekamst, gab es in Leipzig wieder einen großen Neonazi-Aufmarsch, bei dem auch linke Autonome Steine warfen. Wie siehst Du die Ereignisse?
Jan Peter: In den 70er Jahren kam es bei Demonstrationen der NPD zu gewalttätigen Gegenprotesten. Die Nazigegner lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, denn es waren nur ganz wenige Neonazis da. Eine offene Gesellschaft müßte die Aufmärsche eigentlich ins Leere laufen lassen. Eine entspannte Reaktion darauf wäre also angemessen.

KREUZER: Also die Nazi-Demos einfach mit Nichtachtung strafen?
Peter: Das Steinewerfen jedenfalls führt zu einer Stigmatisierung, die politisch äußerst unklug ist. Diese Art von Ritualisierung wollen die Rechten doch. Ich finde, man sollte beides machen: Protestieren und auch kleine, scheinbar langweilige Initiativen gegen Rechts unterstützen.

KREUZER: Kritiker werfen den Politikern und Richtern vor, sie würden nicht genügend tun, um solche Demonstrationen zu verbieten.
Peter: Vor zwei Jahren gab es eine Serie von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, die zugunsten der Demonstrationsfreiheit ausging. Es nutzt nichts, diese Urteile prinzipiell in Frage zu stellen. Hilfreicher sind bestimmte Auflagen. So mußten Neonazis neulich in Grimma ihre Springerstiefel ausziehen und wie Trottel nebenher marschieren. Das ärgert sie am meisten: Wenn man ihnen das Martialische nimmt.

KREUZER: Welche Rolle hat die Polizei in den neuen Ländern gespielt?
Peter: Die war vollkommen ratlos. Besonders die Situation in den Jahren 1990/91 war völlig außer Kontrolle, was uns auch Polizeiführer bestätigten. Der Aussteiger Ingo Hasselbach erzählte uns, was er unbeobachtet habe aufbauen können, sei klasse gewesen. Mittlerweile sind eher die Gerichte das Problem, weil sie das Strafmaß nicht ausschöpfen.

KREUZER: Es heißt, die Gewalt komme aus der "Mitte der Gesellschaft". Was bedeutet das?
Peter: Die Theorie, daß die meisten Neonazis arbeitslose Jugendliche sind, ist längst widerlegt. Die Eltern der Schläger stammen aus der unteren Mittelschicht, doch das Damokles-Schwert des sozialen Abstiegs schwebt über ihnen. Und diese Angst impfen sie ihren Kindern ein. Da gibt es auch große Schnittflächen zu den Kindern von jammernden PDS-Anhängern. Außerdem haben sich die Ideologen der NPD den linken Feindbildern angenähert: Gegen USA, Israel und Globalisierung. Und bei den nächsten Castor-Transporten will die NPD gar eine eigene Abordnung stellen. Es zeichnet sich immer mehr der Gegensatz von oben gegen unten ab. Da sind die Kids aus Wurzen genauso mit dabei wie die Punks aus Kreuzberg.

INTERVIEW: DANIEL STURM