Daniel Sturm
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Jörg Alt: Illegal in Deutschland. Forschungsprojekt zur Lebenssituation "illegaler" Migranten in Leipzig. Karlsuhe: Von Loeper Literaturverlag 1999, 453 Seiten.
(Kreuzer, Juli 1999)

Der Münchner Soziologe Jörg Alt hat mit 170 Illegalen in Leipzig, Mitarbeitern von Arbeitsämtern, Ausländerbehörden und Ministerien gesprochen und dabei ein mächtiges Tabuthema aufgespürt. "Illegal in Deutschland" lautet der Titel seiner 450-seitigen Studie, die zu erstaunlichen Ergebnissen kommt. So zitiert Alt einen Gesprächspartner beim Leipziger Arbeitsamt: "Illegale Ausländerbeschäftigung ist engstens mit weiten Bereichen der Gesellschaft verwoben. So viele Gruppen profitieren davon, daß man sie deshalb gar nicht mehr bekämpfen kann". Weil keiner nichts Genaues über die Zahl der Illegalen in Leipzig weiß - Schätzungen gehen von 10.000 aus - und auch sogenannte Experten zum Thema "Schwarzarbeit" beharrlich wenig wissen, zieht der Soziologe folgenden Schluß: Aufgrund der Situation in der Baubranche sind illegale Ausländer willkommene Billigarbeiter und ein "toleriertes Mittel, um noch beschäftigten deutschen Arbeitnehmern sowohl ihren Job als auch ihre Löhne auf dem gegenwärtigen Niveau erhalten zu können." Dabei bestätigt die Studie das bereits in Günter Wallraffs Reportage "Ganz unten" skizzierte Bild der Lebensverhältnisse von Migranten, die teilweise grauenhaft sind. Dass deutsche Bauarbeiter, um in auftragsschwachen Zeiten überhaupt zu Geld zu kommen, abends schwarz arbeiten, weiß in Deutschland jedes kleine Kind. Das ist jedoch die weitaus angenehmere, weil besser entlohnte "Illegalität deutscher Staatsbürger".
Der deutsche Schwarzarbeiter lege einmal die Pulle Bier zur Seite und lese, was sich der Ukrainer Andrej hinter die Ohren geschrieben hat, und vergleiche es sodann mit seinem eigenen Tugendkanon: Bloß nicht auffallen, nie schwarzfahren, nie stehlen, immer ordentliche Kleidung tragen, nicht in Streitereien hineingeraten, die Adresse nicht weitergeben und Fremden nicht trauen. Das sind eine Menge Dinge, die die meisten Deutsche zu Lebzeiten nicht wirklich beachten müssen. Die demographische Entwicklung zeigt jedoch, daß es den deutschen Verhältnissen nur gut täte, wenn Arbeitsmigranten so behandelt würden wie die über 100.000 deutschen Staatsbürger, die Jahr für Jahr in den USA einwandern. Während die deutschen Demokraten gerade mal mit Mühe die Rechtschreibung reformieren konnten, bleibt es den Illegalen überlassen, den täglichen Kampf mit den Ausländer- und Staatsbürgergesetzen auszufechten, die noch aus Kaiser Willy's Zeiten stam-men. Sie tun es häufig wie der Straßenmusiker Mischa, der lange nicht sicher wußte, ob er illegal oder legal hier lebt. Die vielen öffentlichen Kontakte mit den Behörden vermittelten ihm den Ein-druck, er sei offiziell da. Einen legalen Weg hat ihm niemand aufgezeigt - wie auch.

DANIEL STURM