"Schöne Wissenschaften"
Kreuzer, Juni 2000
Zum 300. Geburtstag von Johann Christoph Gottsched
würdigt eine Ausstellung das Werk des Leipziger Dichter-Paten und
Aufklärers
Er wollte die Universität von den "Spinnweben"
befreien, strebte nach den "schönen Wissenschaften" und
wetterte mit Vorliebe gegen das damalige Establishment: Theologie und
Juristerei. Dem Querdenker Johann Christoph Gottsched (1700-1766) widmet
die Sächsische Akademie der Wissenschaften jetzt eine Ausstellung,
die von Gottscheds alter Wirkungsstätte, der Universität Leipzig
mitveranstaltet wird.
Wer sich auf Detlev Dörings Konzeption einläßt,
findet eine reich bebilderte Einführung in das Leben des Literaturkritikers
vor. Da wird zunächst das Bild der barocken Bürgerstadt skizziert,
in der um 1700 der Sänftenträgerdienst eingeführt wurde.
Der junge Gottsched zählt wie auch der Musikus Johann Sebastian
Bach zu den Gästen der Muse Marianne Ziegler, die im Romanushaus
einen Salon unterhält.
Auch ist er einer der wenigen Philosophen mit
Lockenkopf, die Kontakte zu Schauspielern pflegen - Komödianten
hatten im 18. Jahrhundert kein Bürgerrecht (ganz treffend, daß
das Schauspielviertel heute in der Gottschedstraße liegt). In
diesem mittleren Abschnitt über Gottscheds Leben ist nachzulesen,
wie er mit der Schauspielerin Neuber das Theater reformieren will, indem
er es mit seiner Moralphilosophie anreichert. Um die Komödie hoffähig
zu machen, mußten die wüstesten Hanswurstiaden vermieden
werden. Also ließ die Neuberin französische Stücke in
deutscher Übersetzung spielen.
Daß Gottsched sich später mit der Theatertruppe
überwarf, ist bezeichnend für seine Persönlichkeit, die
in einem dritten Abschnitt gut zur Geltung kommt. Kopflastige Querdenker
haben es eben nicht leicht. Da suchte er in drei großen Werken
über die Dichtkunst objektive Kriterien durchzusetzen -- schon
standen die Schweizer Kritiker Bodmer und Breitinger auf der Matte,
die das Recht der Dichtung auf das "Wunderbare" einklagten,
das in Gottscheds Poetologie in der Tat keinen Platz fand.
Seine Frau, die Gottschedin, wußte in ihrer
Satire "Die Pietistery im Fischbreinrocke" herrlich über
die alten Zöpfe zu spotten. Jahre später machte sich Goethe
als Querdenker der neuen Generation über den halsstarrigen Gottsched
selber lustig. Das Schicksal des fortschrittlichen Aufklärers,
wenn er altert. Mit seiner Frau trat er als erster Gelehrter im Akademiker-Doppelpack
auf, doch er bezeichnete sie lediglich als "geschickte Helferin".
Den Dichter-Star Klopstock verkannte der Literaturkritiker völlig
und promotete stattdessen ein unsägliches Hermann-Epos. Spinnweben
legten sich um sein ergrautes Haupt.
DANIEL STURM
Universitätsbibliothek Leipzig,
Beethovenstr. 6, Mo-Fr 9-19 Uhr, Samstag 9-12 Uhr. Begleitbuch zur Ausstellung
von Detlef Döring.