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Goldschmiede des Sports sucht Heimat
Niederlehmer Werft "Robert Franz": 25 Jahre lang entstanden dort Bobs, Räder und Jollen
Berliner Zeitung, March 25, 1994

Von DANIEL STURM

Niederlehme. Zu DDR-Zeiten war sie die Schmiede der Goldmedaillen: Die Yacht- und Bootswerft "Robert Franz" in Niederlehme. Heute suchen die Bootsbauer Anschluss an die glorreichen Tage, als man fuer Olympiasieger Bobs, Schlitten oder Segler baute.

"Wir wissen, watt da drin ist", meint Schiffbauingenieur Karl-Heinz Kuhlke verschmitzt. Die Rede ist von den beruehmten Bobs, mit deren Hilfe DDR-Sportler regelmaessig olympisches Gold gewannen. Geheimste Materialien, Wunder-Legierungen, gelangten in der Zeit von 1975 bis 1990 nach Niederlehme, wo sie den rechten Schliff bekamen. Nach dem sogenannten "Staatsplanthema" arbeiteten Kuhlke und Co. jahrelang fuer Spitzensportler.

Eisschlitten, Scheibenraeder und Segeljollen der olympischen Klassen entstanden unter ihren Haenden. Als Forschungs- und Entwicklungsstelle fuer Sportgeraete (FES) hielt die Werft die Fahne fuer den Erfolg des DDR-Sports hoch. Seit der Wende blaest in Niederlehme kaelterer Wind.

Behaglich lehnt sich Karl-Heinz Kuhlke im grossen Ledersessel zurueck: "Alles, was ich in die Hand nehme, wird ein Boot", lacht er. Das klingt ein wenig seltsam angesichts der in Niederlehme gebauten Palette vom Schlitten bis zum Rad. Geduldig erklaert Kuhlke: "Ein Bob ist quasi auch ein Boot."

Der sympathische Firmenchef ist stolz darauf, dass die Werft derzeit wieder kostendeckend arbeiten kann. Nach der Privatisierung 1992 und dem Wegfall der immens hohen Foerdergelder des DDR-Staates hielt man nach neuen Ufern Ausschau. Derweil war der Markt weggebrochen. Der hochmoderne Sportgeraete-Hersteller musste seinen unbezahlbaren "Wasserkopf" loswerden.

Goldregen durch Werft

Die 24 Mitarbeiter Kuhlkes fertigen heute hauptsaechlich Stahl-Motoryachten. Und sogar die Sportverbaende sind wieder auf die "Meister" aus Niederlehme aufmerksam geworden. "Zur Zeit klopfen viele wieder an", bewertet Kuhlke die Geschaeftslage.

Tief kramt Kuhlke in der angestaubten Fotokiste: Bilder vom 25jaehrigen Betriebsjubilaeum, bei dem Staatssekretaer Professor Guenther Erbach hoechstpersoenlich in Niederlehme vorbeischaute. Heute ist Kuhlkes ehemaliger Dienstherr schon in Rente.

Per Ministerratsbeschluss hatte man die traditionsreiche Werft 1972 zwangsverstaatlicht. Von da an fertigten die Bootsbauer nur noch Spitzenprodukte fuer Rad-, Wasser- und Wintersport. Doch aus dem vollen schoepfen konnte die Werft nur bis 1990. "Dann gab es boese Briefe wegen des Geldes", erinnert sich Kuhlke. Das Ministerium des Inneren konnte sich den Sportgeraete-Monopolisten nicht mehr leisten.

Ausserdem gab es Knatsch mit dem Deutschen Sportbund und seinen westdeutschen Bundestrainern, die Vertraege mit anderen Firmen hatten.

In der grossen Bootshalle sind Maenner und Frauen an der zwoelf Meter langen "Thetis" zugange. Das Hausboot mit dem Namen des griechischen Meeresgottes ist eine eigene Konstruktion der Werft. Gleich daneben stehen kleine Regatta-Segler fuer "verrueckte Leute vom Bodensee bis zur Kueste" - Kuhlke schmunzelt. Spezielle Beschlaege, Schotbuegel oder Maeste werden mit der vorhanden High-Tech gefertigt. Denn der Werft eilt ihr guter Ruf voraus.

Millionen erwartet

Derzeit entwickeln die Bootsbauer fuer AEG ein Lokomotiven-Fahrgestell. Geht der Prototyp in Serie, erwartet man eine halbe Million Mark. Ausserdem ist ein Forschungsauftrag mit der Fachhochschule Aachen unter Dach und Fach. Jetzt sollen besondere Segelmasten an der 500 000 Mark teuren Wickelmaschine entstehen. "Die geht noch auf die Kappe von Schalck-Golodkowski", vermutet Kuhlke.

Der Bootsbauer blickt ohne Wehmut in die glaenzende Vergangenheit. Das verlorene Gold will Kuhlke in der Zukunft wiederfinden. "Unser Kapital sind qualifizierte Facharbeiter", meint Kuhlke ueberzeugt. Die ersten Segeljollen der olympischen Klasse "470" gehen bereits wieder vom Band. Und Kuhlke bleibt die leise Genugtuung, dass Olympiasieger Wolfgang Hoppe in einem Bob faehrt, "der von uns beschlagen ist".