Ein Kind der Revolution
... ist Katharin Führer, Tochter des Nikolaikirchen-Pfarrers.
Am 1. Juli eröffnete sie in der Seitenkapelle den Nikolaitreff.
Vor '89 entdeckten viele Ausreisewilligen die Nikolaikirche als Fluchtpunkt,
heute steht das Thema Arbeitslosigkeit im Vordergrund. Seit 1. Juli
weist ein Regenbogen-Symbol den Weg durchs große Kirchenschiff
in die nördliche Seitenkapelle, den Nikolaitreff. Bei Kerzenlicht,
Kaffeeduft und sphärischer Musik kommt Katharina Führer mit
Touristen, drogenabhängigen Jugendlichen und sozial Schwachen ins
Gespräch. "1989 war ein wichtiger Impuls für mich und
mein Leben", sagt die Tochter des Nikolaikirchen-Pfarrers. An die
Solidarität von damals, inmitten der Friedensgebete, erinnert sich
die 30jährige besonders gerne, vor allem weil sie diese für
nötiger denn je zuvor hält. "In der sächsischen
Verfassung ist die Arbeit als Staatsziel beschrieben", betont Führer.
Im krassen Mißverhältnis dazu erlebt sie den Alltag der Menschen,
die im Nikolaitreff, aber auch in der benachbarten Kirchlichen Erwerbsloseninitiative
Rat suchen. Arbeitslose aller Generationen diskutieren hier ihre Probleme,
und spiegeln mitunter eher eine Kultur der Arbeitslosigkeit, von der
in der Sächsischen Verfassung so nichts steht. Doch Katharina Führer
schaut dem Turbokapitalismus nicht allein ins Auge: 15 ehrenamtliche
Mitarbeiter ("die sind immer frisch") stehen ihr zur Seite.
Außer den normalen Bustouristen, die oft nur wenige Minuten Zeit
haben, steuern vermehrt solche Besucher den Nikolaitreff an, die noch
einmal die Zeit vor 1989 revue passieren lassen wollen. Ein alter Matrose
aus Hamburg gehört dazu, der an allen osteuropöischen Hafen
an Land gehen konnte, sich aber in Rostock kaum von seinen finster freinblickenden
Begleitern lösen konnte, aber auch ehemalige DDR-Bürger, die
1989 ausreisen durften und seither selten an die verlassene Heimat denken
wollten. Neulich erhielt Katharina Führer ein Westpacket mit Dritte-Welt-Kaffee.
Da hat sie sich ehrlich gefreut.
Nikolaitreff, Seitenkapelle in der Nikolaikirche, Montags bis Freitag
12-18 Uhr, Kirchliche Erwerbsloseninititative, Ritterstr. 5, Treff für
jüngere Arbeistlose, Donnerstag 10 Uhr.