Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?
Kreuzer, April 2000
Nach einem Überfall auf sechs französische
Studenten startet der StudentInnenrat der Universität Leipzig eine
Initiative gegen Rassismus.
"Ausländer abgeschoben", "Illegale
Bauarbeiter aufgegriffen" -- solche negative Schlagzeilen sind
so häufig zu lesen, daß sie keinen mehr vom Hocker reißen.
Der umgekehrte Fall aber, daß Ausländer selbst Opfer rassistisch
motivierter Gewalt werden, wird aus Angst vor eigenen Vorbehalten gegen
Ausländer häufiger unter den Tisch gekehrt als man denkt.
Einen Beleg für diese Vermutung hat jetzt der StudentInnenrat der
Universität Leipzig erbracht. In einer Zeitungsanzeige machten
die Studenten darauf aufmerksam, was in der Nacht vom 4. zum 5. Februar
geschehen war, und worüber bis zu diesem Zeitpunkt kein tagesaktuelles
Medium berichtet hatte. "Sechs junge Leute aus Paris und Marseille
wurden mit ausländerfeindlichen Parolen beschimpft und geschlagen".
Die Leipziger Volkszeitung, sonst mit dem Ohr des Polizeireporters
Gießler unangenehm nah am Polizeifunk, berichtete erst zwei Tage
später davon. Hatte man erst durch eine Zeitungsannonce erfahren,
was passiert war?
"Die Kripo hat den Fall erst gar nicht als
ausländerfeindlich eingestuft", berichtet Antje Linßner
vom Stura. Erst als sich Hunderte von Email-Schreibern auf die Anzeige
hin beim Stura meldeten, befleißigte sich die Polizei, das Protokoll
des Tathergangs noch einmal neu aufzunehmen. Antje Linßner, deren
Vater selbst Polizist ist, vermutet: "Die Dunkelziffer rechter
Gewalt ist in Wirklichkeit viel größer und es ist anzunehmen,
daß die Polizei deshalb die Statistik bereinigen wollte."
Linßner fragt sich auch, was von der totalen Videoüberwachung
am Hauptbahnhof zu halten ist, wenn dort ausländische Fahrgäste
unbeobachtet verprügelt würden. Statt dessen überprüfen
die Sicherheitskräfte, wie der 24jährige Carsten Fiedler mehrfach
beobachtet hat, willkürlich die Personalien von Bahnhofsbesuchern,
"die auf den Treppen sitzen und Zeitung lesen".
Damit willkürliche Gewalt nicht unter den
Teppich gekehrt wird, hat der Stura jetzt eine Kampagne gegen Rassismus
gestartet. "Wir wollen mit unserer Aktion die Wohnzimmer-Nazis
ansprechen", erläutert Antje Linßner die Stoßrichtung
der Initiative. Jeden Sonntag ab 16 Uhr sollen ab dem 23. April in der
Moritzbastei Bürgergespräche stattfinden, bei denen die üblichen
Verdächtigen von Polizei, Stadt und Hochschulen im Podium sitzen
werden. Vielleicht können die Veranstalter die Beteiligten dazu
bringen, Tacheles zu reden und persönlichen Vorbehalten gegenüber
Ausländern konkret auf den Zahn fühlen. Zu erwarten ist von
den Offiziellen freilich nur, daß sie einmütig Bürgergeist
beschwören ("Unsere lieben ausländischen Freunde").
Sollte die Aktion Erfolg haben, wird LVZ-Polizeireporter
Gießler künftig auch von "deutschen Dealern" und
"deutschen Alkoholsündern" schreiben. Der Medienwissenschaftler
Georg Ruhrmann schlägt allerdings vor, "Nennung von Staatsangehörigkeit
und Hautfarbe ganz wegzulassen" (Sage & Schreibe 4/1999).
Wenn ein 21jähriger einen Unfall verursacht, scheint der Hinweis
in der Tat verzichtbar, ob er Algerier oder Deutscher war. Statistisch
relevant ist in diesem Fall nur die Nennung des Alters, da Autofahrer
im Alter von 18 bis 25 Jahren zur Hauptrisikogruppe gehören --
völlig unabhängig von der Hautfarbe.
Wie sehr sich Polizeimeldungen und Berichterstattung in Leipzig unterscheiden,
stellte Leipzigs Ausländerbeauftragter Stojan Gugutschkow im Januar
mit Entsetzen fest. Ein älterer Mann hatte sich in Reudnitz aus
dem Fenster gestürzt. Am 15. Januar
hieß es eilfertig im LVZ-Bericht: "Vor dem Haus aber
standen acht Ukrainer" -- so, als ginge es hier um den bösen
Wolf -- und ohne einen Hauch journalistischer Distanz: "Neun mal
klickten die Handschellen."
Natürlich hatten die Ukrainer mit der Sache überhaupt nichts
zu tun und kamen frei. Gugutschkow kommentiert den Fall bitter: "Wen
interessiert das nach so einer Meldung noch?"
DANIEL STURM
dialog@uni-leipzig.de; StudentInnenrat
Tel. 9 73 78 53.
Ausländerbeauftragter Neues Rathaus, Martin-Luther-Ring 4-6, Tel
1 23 26 90 (Referatsleiter), Tel. 1 23 26 92 (Beratung).