Daniel Sturm
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Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?
Kreuzer, April 2000

Nach einem Überfall auf sechs französische Studenten startet der StudentInnenrat der Universität Leipzig eine Initiative gegen Rassismus.

"Ausländer abgeschoben", "Illegale Bauarbeiter aufgegriffen" -- solche negative Schlagzeilen sind so häufig zu lesen, daß sie keinen mehr vom Hocker reißen. Der umgekehrte Fall aber, daß Ausländer selbst Opfer rassistisch motivierter Gewalt werden, wird aus Angst vor eigenen Vorbehalten gegen Ausländer häufiger unter den Tisch gekehrt als man denkt.

Einen Beleg für diese Vermutung hat jetzt der StudentInnenrat der Universität Leipzig erbracht. In einer Zeitungsanzeige machten die Studenten darauf aufmerksam, was in der Nacht vom 4. zum 5. Februar geschehen war, und worüber bis zu diesem Zeitpunkt kein tagesaktuelles Medium berichtet hatte. "Sechs junge Leute aus Paris und Marseille wurden mit ausländerfeindlichen Parolen beschimpft und geschlagen". Die Leipziger Volkszeitung, sonst mit dem Ohr des Polizeireporters Gießler unangenehm nah am Polizeifunk, berichtete erst zwei Tage später davon. Hatte man erst durch eine Zeitungsannonce erfahren, was passiert war?

"Die Kripo hat den Fall erst gar nicht als ausländerfeindlich eingestuft", berichtet Antje Linßner vom Stura. Erst als sich Hunderte von Email-Schreibern auf die Anzeige hin beim Stura meldeten, befleißigte sich die Polizei, das Protokoll des Tathergangs noch einmal neu aufzunehmen. Antje Linßner, deren Vater selbst Polizist ist, vermutet: "Die Dunkelziffer rechter Gewalt ist in Wirklichkeit viel größer und es ist anzunehmen, daß die Polizei deshalb die Statistik bereinigen wollte." Linßner fragt sich auch, was von der totalen Videoüberwachung am Hauptbahnhof zu halten ist, wenn dort ausländische Fahrgäste unbeobachtet verprügelt würden. Statt dessen überprüfen die Sicherheitskräfte, wie der 24jährige Carsten Fiedler mehrfach beobachtet hat, willkürlich die Personalien von Bahnhofsbesuchern, "die auf den Treppen sitzen und Zeitung lesen".

Damit willkürliche Gewalt nicht unter den Teppich gekehrt wird, hat der Stura jetzt eine Kampagne gegen Rassismus gestartet. "Wir wollen mit unserer Aktion die Wohnzimmer-Nazis ansprechen", erläutert Antje Linßner die Stoßrichtung der Initiative. Jeden Sonntag ab 16 Uhr sollen ab dem 23. April in der Moritzbastei Bürgergespräche stattfinden, bei denen die üblichen Verdächtigen von Polizei, Stadt und Hochschulen im Podium sitzen werden. Vielleicht können die Veranstalter die Beteiligten dazu bringen, Tacheles zu reden und persönlichen Vorbehalten gegenüber Ausländern konkret auf den Zahn fühlen. Zu erwarten ist von den Offiziellen freilich nur, daß sie einmütig Bürgergeist beschwören ("Unsere lieben ausländischen Freunde").

Sollte die Aktion Erfolg haben, wird LVZ-Polizeireporter Gießler künftig auch von "deutschen Dealern" und "deutschen Alkoholsündern" schreiben. Der Medienwissenschaftler Georg Ruhrmann schlägt allerdings vor, "Nennung von Staatsangehörigkeit und Hautfarbe ganz wegzulassen" (Sage & Schreibe 4/1999). Wenn ein 21jähriger einen Unfall verursacht, scheint der Hinweis in der Tat verzichtbar, ob er Algerier oder Deutscher war. Statistisch relevant ist in diesem Fall nur die Nennung des Alters, da Autofahrer im Alter von 18 bis 25 Jahren zur Hauptrisikogruppe gehören -- völlig unabhängig von der Hautfarbe.

Wie sehr sich Polizeimeldungen und Berichterstattung in Leipzig unterscheiden, stellte Leipzigs Ausländerbeauftragter Stojan Gugutschkow im Januar mit Entsetzen fest. Ein älterer Mann hatte sich in Reudnitz aus dem Fenster gestürzt.
Am 15. Januar hieß es eilfertig im LVZ-Bericht: "Vor dem Haus aber standen acht Ukrainer" -- so, als ginge es hier um den bösen Wolf -- und ohne einen Hauch journalistischer Distanz: "Neun mal klickten die Handschellen."

Natürlich hatten die Ukrainer mit der Sache überhaupt nichts zu tun und kamen frei. Gugutschkow kommentiert den Fall bitter: "Wen interessiert das nach so einer Meldung noch?"

DANIEL STURM

dialog@uni-leipzig.de; StudentInnenrat Tel. 9 73 78 53.
Ausländerbeauftragter Neues Rathaus, Martin-Luther-Ring 4-6, Tel 1 23 26 90 (Referatsleiter), Tel. 1 23 26 92 (Beratung).