Warum dieses Einheitsbuch kein Gutes
ist
Kreuzer, Mai 2000
"Das Buch der Unterschiede. Warum die
Einheit keine ist" erzählt 20 persönliche Anekdoten über
die Wendezeit und kokettiert unweigerlich mit einer öden Einheitsmystik.
Die Erzählsituation dieses Buches gleicht
einer U-Bahnfahrt in Berlin: Alle zwei Stationen erzählt dort jemand
scheinbar freimütig die Geschichte seines Lebens, das von Aids,
Obdachlosigkeit oder Drogenkonsum geprägt ist. Am Ende des Vortrages
steht eine Geldspende der Zuhörer - oder auch nicht. Wer den Sammelband
"Warum die Einheit keine ist" angeboten bekommt, sollte seinen
Geldbeutel besser in der Jackentasche festhalten. Es ist ein langweiliges
Buch und versprüht eine Weinerlichkeit, die einem jeden Deutschen
bekannt sein dürfte. Dabei fällt es fast durchweg schwer,
dieses aufgesetzte Leiden an der fehlenden Einheit mit der nötigen
Lese-Passion zu verfolgen.
Gleich im ersten Kapitel berichtet die ehemalige DDR-Bürgerin Jana
Simon, die beim Tagesspiegel die Rubrik "Der andere Blick"
betreut, von ihren Recherche-Reisen im heutigen Osten Deutschlands.
"Es entsteht eine Atmosphäre, als würden wir uns seit
Jahren kennen, gute Bekannte von Geburt an." Das ist für die
Autorin schon genug Kuschelstimmung, um sich mit dem Rest Deutschlands
irgendwie entzweit zu wissen. Dahinter steckt nicht der andere, sondern
der altbekannte Blick auf das Phänomen des Provinzialismus.
Das Kernproblem ist der anekdotische Ansatz: so wühlen die 20 jungen,
meist in Berlin arbeitenden Autoren in ihrer Kindheit, um irgendwie
einen Unterschied zur ach so fremden Welt auf der anderen Seite des
Eisernen Vorhanges zu rekonstruieren. Dass es keinen gibt, hängt
zum großen Teil damit zusammen, dass die meisten 1989 gerade mal
18 Jahre alt waren. In diesem Alter machen fast alle Jugendlichen Ost,
West, Süd und Nord hundsgewöhnliche Konsumerfahrungen. Und
in dieser Hinsicht gibt es wirklich kaum nennenswerte-, das heißt
erinnernswerte Unterschiede zu erzählen, außer, dass die
Cola im Osten ein wenig "nach Hundepisse" geschmeckt hat (Tamer
Yigit) und es im Westen Cornflakes zu futtern gab (Susanne Leinemann).
Damals, schreibt Guido Faßbender über die Wiedervereinigung
in dem einzigen Beitrag, der in der Heldenstadt Leipzig spielt, "kam
mir das ungefähr so absurd vor wie eine Wiedervereinigung mit Österreich."
Absurd erscheint folglich der Versuch, diese individuell jeweils verschieden
erlebte Umbruchszeit dann doch so pauschal einzufangen. Und so lesen
sich manche Reportagen (fast alle Autoren sind Journalisten) so, als
würde ein Automechaniker gezwungen, über seine Erfahrungen
mit der Opernwelt zu berichten.
Und nichts ist für ein Buch gefährlicher, als den armen Leser
abschweifen zu lassen. Ich selbst stamme zum Beispiel aus der Provinz
Baden und habe zum letzten Mal die wohlige Wärme der Herkunft verspürt,
als ich mit Wolfgang Schäubles älterem Bruder Frieder, ebenfalls
aus Südbaden, in Leipzig ein Gespräch führte. Es wäre
aber nun weit gefehlt, aus diesem Gefühl eine mystische Einheitserfahrung
abzuleiten. Mit derartigen Wünschen jedoch kokettiert das Buch
unweigerlich, wenn es aus den wenigen Erfahrungen, die viele der Autoren
in ihrem rund 30-jährigen Leben gesammelt haben, ein festes System
zementiert. Wessis bleiben Wessis und Ossis Ossis.
Spannender wäre es, ein Buch mit folgendem Titel zu schreiben:
"Verschiedene Geschwindigkeiten. Warum es nie ein Tempolimit für
Gefühle geben wird." Denn eines wird nach Lektüre der
Essays wirklich deutlich, ohne dass die Autoren es klipp und klar sagen:
Die Unterschiede zwischen Ost und West sind allen so ziemlich schnurzpiepe.
Weil aber das Aufsatzthema nun einmal so gestellt war, musste man sich
an die provinziellen Gepflogenheiten halten. Befreit von solchen Zwängen
ist einigen zu wünschen, da sie sprachlich durchaus das Zeug dazu
hätten, besser in die Fußstapfen des Sonnenallee-Autors Thomas
Brussig zu treten. Dort wird von grenzenlosen Gefühlen erzählt,
die es hüben wie drüben gibt. Und die auch tragikomisch scheitern,
weil einer schneller l(i)ebt als der andere. Deutsch Ost- oder Westsein
ist dafür kein Kriterium, wie es übrigens am besten Robert
Musil formuliert hat: "Wir Deutsche, das ist die Fiktion einer
Gemeinsamkeit zwischen Handarbeitern und Professoren, Schiebern und
Idealisten, Dichtern und Kinoregisseuren, die es nicht gibt. Das wahre
Wir ist: Wir sind einander nichts. Wir sind Kapitalisten, Proletarier,
Geistige, Katholiken und in Wahrheit viel mehr über unsere Sonderinteressen
und über alle Grenzen weg verflochten als untereinander. Der deutsche
Bauer steht dem französischen Bauern näher als dem deutschen
Städter, wenn es darauf ankommt, was real ihre Seelen bewegt."
DANIEL STURM
Das Buch der Unterschiede. Warum die Einheit keine ist. Hrsg. von
Jana Simon, Frank Rothe und Wiete Andrasch. Aufbau-Verlag 2000, 237
S.