Politics
War &
Sept. 11
Arts &
Entertainment
Environment
& Technology
Racism
General
Interest
curriculum
vitae
Order Book Online Amazon.de
|
Buhmann der Revolution: Hans Wilhelm
Ebeling, Pfarrer im Ruhestand
Kreuzer, Oktober 1999
"Sie können Hackfleisch aus mir machen,
aber zu meiner damaligen Auffassung stehe ich noch heute: Die Kirche
kann nicht die Brutstätte der Revolution sein". Mit sie mein
Pfarrer Hans Wilhelm Ebeling die Oppositionellen, für die der konservative
Kirchenmann der Buhmann der Revolution ist, schließlich hat er
die Friedensbewegung bis zuletzt als Ansammlung verirrter Ausreisewilliger
begriffen. Erst am 9. Oktober 1989 öffnete er die Tore der Thomaskirche
für die Friedensgebete, obwohl schon seit Anfang September die
nahe liegende Nikolaikirche nicht mehr genug Platz für die wachsende
Menge Demonstranten anbieten konnte.
Die Graffiti-Sprüche an der Thomaskirche stempelten den Pfarrer
deshalb bald zum "Stasi-Spitzel" oder gar "Nazi-Schwein"
ab. Harter Tobak für den heute 65jährigen, der zurückgezogen
in einem Einfamilienhaus in Berlin-Marzahn lebt. Gegen den Vowurf der
übergroßen Loyalität mit dem System verteidigt sich
Ebeling mit allen Registern. Unter Pfarrern sei damals ernsthaft diskutiert
worden, "ob Blut auch eine Möglichkeit der Veränderung
in der Gesellschaft ist." Bei so viel Mutwilligkeit wollte Ebeling
nicht mitmachen und zog sich ganz auf den konservativen Standpunkt zurück,
sein Gotteshaus stehe einer politischen Machtdemonstration nicht zur
Verfügung. Weil er eine "chinesische Lösung" erwartete,
öffnete er die Thomaskirche stattdessen für eine Sanitätsstelle.
Etwas leiser und weniger aufgeregt meint er dann: "Ich hatte ehrlich
Angst." Ebeling erzählt vom 17. Juni 1953, als die damalige
DDR-Regierung mit scharfer Munition auf die Streikenden schießen
ließ. Als Schlosser-Lehrling hat er die Niederschlagung des Juni-Aufstandes
im Cottbuser Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) verfolgt. "Einige
Kameraden sind damals verschollen und wahrscheinlich irgendwo in Rußland
gelandet." Damals mußte auch ein Bruder Ebelings für
zehn Jahre ins Gefängnis.
Als am 27. August 1989 drei Theologiestudenten um die Dissidentin Katrin
Hattenhauer in der Thomaskirche ein Gedenkfasten veranstalten wollen,
rollen in Ebelings Angst-Szenario bereits die Panzer. "Wenn Ihr
bis morgen 14 Uhr nicht draußen seid, verständige ich die
Polizei", soll er ihnen gedroht haben - und: "Ihr seid doch
alle ferngesteuert." Ähnlich dramatisiert klingt die Einschätzung
des Stasi-Ministers Mielke, der am 31. August zu Protokoll gibt, daß
die Studenten "fast einen Krieg führen wollten".
Als Ebeling 1998 das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste
in der Wendezeit bekommt, können viele Oppositionelle erst nicht
glauben, was in den Zeitungen steht. "Ebeling gehört zu der
Sorte Mensch, die sich die Dinge zu Nutzen gemacht haben, der hat sich
die Portemonnaies aus unseren Taschen genommen", urteilt Hattenhauer.
Der Buhmann der Revolution sieht das etwas anders: Große Teil
der damaligen Opposition hielt er schlicht und einfach für Aureisewillige,
die seine Kirche für genau diesen Zweck mißbrauchen wollten.
Und wer wirklich politisch gegen den Staat demonstieren wollte, hätte
dies "wie wir im Juni 1953" auf öffentlichen Plätzen
wie etwa dem Hauptbahnhof tun sollen.
Diese doch sehr harte Argumentation hat einen weichen Unterton. Dann
nämlich, wenn Ebeling entschuldigend anklingen läßt,
daß er vielleicht anders gehandelt hätte, "wenn er 20
Jahre jünger" gewesen wäre. Offenbar wagte der konservative
Pfarrer den Dialog eher eher mit Altersgleichen. Die Jeans-Joppe des
jüngeren Amtskollegen Führer von der Nikolaikirche muß
seine Skepsis gegenüber den oft langhaarigen Friedensdemonstranten
eher noch verstärkt haben. Als die Leipziger Volkszeitung am 6.
Oktober 1989 den Aufruf des Kampfgruppen-Kommandeur Günter Lutz
abdruckte, die Montags-Demonstrationen müßten notfalls "mit
der Waffe in der Hand" verhindert werden, sei er schnurstracks
in den Betrieb des Kommandeurs gegangen. "Ich bitte Sie, lassen
Sie die Waffen zuhause", habe er dem abwesenden Kommandeur über
den stellvertretenden Werksdirektor bestellt. Wie zur Unterstreichung
seiner Glaubwürdigkeit mein Ebeling: "Steht alles in meiner
Stasi-Akte."
Wie weggeblasen scheint Ebelings insgesamt passive Haltung in den Monaten
nach dem Fall der Mauer. Im Januar 1990 wird er Parteivorsitzender der
DSU und nach der letzten Volkskammer-Wahl im April 1990 von Lothar de
Maizière zum Entwicklungshilfe-Minister berufen. Bei den gesamtdeutschen
Bundestagswahlen am 2.12.1990 kandidiert er für die CDU, wird aber
nicht gewählt. Als er 1998 das Bundesverdienstkreuz erhält
und sich dafür "kübelweise" Kritik aus Leiziger
Kirchenkreisen einhandelt, informiert er sich im Bundespräsidialamt.
Pfarrer Führer habe das Bundeverdienstkreuz für die "Auflösung
der DDR" erhalten, er selbst sei für die "Ablösung
der DDR" ausgezeichnet worden. Wegen dieser Geschichte habe er
sich mit dem Nikolaikirchen-Pfarrer "unversöhnlich" verkracht.
Seit 1993 ist Ebeling im Ruhestand. Hin und wieder predigt er an der
Schöneberger Apostel-Paulus-Gemeinde und betreut außerdem
noch das Projekt eines 160 Millionen DM teuren Blockheizkraftwerks in
der Uckermark.
DANIEL STURM
|