Daniel Sturm
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Buhmann der Revolution: Hans Wilhelm Ebeling, Pfarrer im Ruhestand
Kreuzer, Oktober 1999

"Sie können Hackfleisch aus mir machen, aber zu meiner damaligen Auffassung stehe ich noch heute: Die Kirche kann nicht die Brutstätte der Revolution sein". Mit sie mein Pfarrer Hans Wilhelm Ebeling die Oppositionellen, für die der konservative Kirchenmann der Buhmann der Revolution ist, schließlich hat er die Friedensbewegung bis zuletzt als Ansammlung verirrter Ausreisewilliger begriffen. Erst am 9. Oktober 1989 öffnete er die Tore der Thomaskirche für die Friedensgebete, obwohl schon seit Anfang September die nahe liegende Nikolaikirche nicht mehr genug Platz für die wachsende Menge Demonstranten anbieten konnte.

Die Graffiti-Sprüche an der Thomaskirche stempelten den Pfarrer deshalb bald zum "Stasi-Spitzel" oder gar "Nazi-Schwein" ab. Harter Tobak für den heute 65jährigen, der zurückgezogen in einem Einfamilienhaus in Berlin-Marzahn lebt. Gegen den Vowurf der übergroßen Loyalität mit dem System verteidigt sich Ebeling mit allen Registern. Unter Pfarrern sei damals ernsthaft diskutiert worden, "ob Blut auch eine Möglichkeit der Veränderung in der Gesellschaft ist." Bei so viel Mutwilligkeit wollte Ebeling nicht mitmachen und zog sich ganz auf den konservativen Standpunkt zurück, sein Gotteshaus stehe einer politischen Machtdemonstration nicht zur Verfügung. Weil er eine "chinesische Lösung" erwartete, öffnete er die Thomaskirche stattdessen für eine Sanitätsstelle.

Etwas leiser und weniger aufgeregt meint er dann: "Ich hatte ehrlich Angst." Ebeling erzählt vom 17. Juni 1953, als die damalige DDR-Regierung mit scharfer Munition auf die Streikenden schießen ließ. Als Schlosser-Lehrling hat er die Niederschlagung des Juni-Aufstandes im Cottbuser Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) verfolgt. "Einige Kameraden sind damals verschollen und wahrscheinlich irgendwo in Rußland gelandet." Damals mußte auch ein Bruder Ebelings für zehn Jahre ins Gefängnis.
Als am 27. August 1989 drei Theologiestudenten um die Dissidentin Katrin Hattenhauer in der Thomaskirche ein Gedenkfasten veranstalten wollen, rollen in Ebelings Angst-Szenario bereits die Panzer. "Wenn Ihr bis morgen 14 Uhr nicht draußen seid, verständige ich die Polizei", soll er ihnen gedroht haben - und: "Ihr seid doch alle ferngesteuert." Ähnlich dramatisiert klingt die Einschätzung des Stasi-Ministers Mielke, der am 31. August zu Protokoll gibt, daß die Studenten "fast einen Krieg führen wollten".

Als Ebeling 1998 das Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste in der Wendezeit bekommt, können viele Oppositionelle erst nicht glauben, was in den Zeitungen steht. "Ebeling gehört zu der Sorte Mensch, die sich die Dinge zu Nutzen gemacht haben, der hat sich die Portemonnaies aus unseren Taschen genommen", urteilt Hattenhauer. Der Buhmann der Revolution sieht das etwas anders: Große Teil der damaligen Opposition hielt er schlicht und einfach für Aureisewillige, die seine Kirche für genau diesen Zweck mißbrauchen wollten. Und wer wirklich politisch gegen den Staat demonstieren wollte, hätte dies "wie wir im Juni 1953" auf öffentlichen Plätzen wie etwa dem Hauptbahnhof tun sollen.

Diese doch sehr harte Argumentation hat einen weichen Unterton. Dann nämlich, wenn Ebeling entschuldigend anklingen läßt, daß er vielleicht anders gehandelt hätte, "wenn er 20 Jahre jünger" gewesen wäre. Offenbar wagte der konservative Pfarrer den Dialog eher eher mit Altersgleichen. Die Jeans-Joppe des jüngeren Amtskollegen Führer von der Nikolaikirche muß seine Skepsis gegenüber den oft langhaarigen Friedensdemonstranten eher noch verstärkt haben. Als die Leipziger Volkszeitung am 6. Oktober 1989 den Aufruf des Kampfgruppen-Kommandeur Günter Lutz abdruckte, die Montags-Demonstrationen müßten notfalls "mit der Waffe in der Hand" verhindert werden, sei er schnurstracks in den Betrieb des Kommandeurs gegangen. "Ich bitte Sie, lassen Sie die Waffen zuhause", habe er dem abwesenden Kommandeur über den stellvertretenden Werksdirektor bestellt. Wie zur Unterstreichung seiner Glaubwürdigkeit mein Ebeling: "Steht alles in meiner Stasi-Akte."

Wie weggeblasen scheint Ebelings insgesamt passive Haltung in den Monaten nach dem Fall der Mauer. Im Januar 1990 wird er Parteivorsitzender der DSU und nach der letzten Volkskammer-Wahl im April 1990 von Lothar de Maizière zum Entwicklungshilfe-Minister berufen. Bei den gesamtdeutschen Bundestagswahlen am 2.12.1990 kandidiert er für die CDU, wird aber nicht gewählt. Als er 1998 das Bundesverdienstkreuz erhält und sich dafür "kübelweise" Kritik aus Leiziger Kirchenkreisen einhandelt, informiert er sich im Bundespräsidialamt. Pfarrer Führer habe das Bundeverdienstkreuz für die "Auflösung der DDR" erhalten, er selbst sei für die "Ablösung der DDR" ausgezeichnet worden. Wegen dieser Geschichte habe er sich mit dem Nikolaikirchen-Pfarrer "unversöhnlich" verkracht. Seit 1993 ist Ebeling im Ruhestand. Hin und wieder predigt er an der Schöneberger Apostel-Paulus-Gemeinde und betreut außerdem noch das Projekt eines 160 Millionen DM teuren Blockheizkraftwerks in der Uckermark.

DANIEL STURM