Tiefer im Osten
Kreuzer, Juli 1999
Nicht auf Drängen Biedenkopfs habe die
dpa ihr Redaktionsbüro nach Leipzig verlegt, nein, es sei die Furcht
vor dem Moloch Berlin, sagt dpa-Landesbürochef Ralf Bartoleit.
Wer aufmerksam Zeitung liest, könnte bemerkt
haben, daß die Deutsche Presse Agentur seit 3. Mai ihren sogenannten
"Südtisch" von Berlin nach Leipzig verlegt hat. Daß
die Debatte über die Strombörse recht prominent über
den Ticker lief, hängt mit dem Südtisch zusammen, der jetzt
Landesbüro heißt und über die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt
und Thüringen bundesweit berichtet. 15 Redakteure mehr in town
können ihre Augen kaum vor den hohen Nachrichtenwerten Leipzigs
verschließen, zumal sie im Bürohochhaus direkt über
dem Schauspielviertel throhnen.
Noch wohnt K.MUSTERMANN in der fünften Etage Käthe-Kollwitz-Straße
10. Doch das Klingelschild ist keine Tarnung, denn hinter ihm steckt
eine mustergültige Journalisten-Karriere des neuen Landesbüroleiters
Ralf Bartoleit. 37 Jahre, Studium der osteuropäischen Geschichte
in Mainz, Intensivkurse Russisch mit seinem Professor, Volontariat bei
dpa, Urlaubsvertretung im Büro Moskau, schließlich Korrespondent
und Chef des Moskauer dpa-Büros bis Januar 1999."Moskau ist
journalistisch kaum zu toppen", meint Bartoleit. Über Jahre
hinweg habe er Frontpage-News geschrieben und Interviews mit allen Präsidenten
der GUS-Staaten geführt - eine journalistische Palette, "die
andere in 80 Jahren nicht schaffen". Als die dpa-Zentrale in Hamburg
entschied, Leipzig zur Steuereinheit der sieben mitteldeutschen Außenbüros
zu machen, hat Ralf Bartoleit zugegriffen. "Mich reizte die große
Freiheit".
Warum die dpa, die unter den Nachrichtenagenturen den Ruf des Behäbigen
hat, erst zehn Jahre nach der Wende prominent vor Ort ist, versteht
Bartoleit so: Leipzig liege nun einmal tiefer im Osten, Berlin drohe
zum Moloch zu werden und man sei näher am Kunden. Keineswegs habe
die dpa dem Drängen des sächsischen Ministerpräsidenten
nachgegeben, "da lassen wir uns nichts reinreden".
Allerdings hat die Ansiedlung in der werdenden Medienstadt Leipzig einen
strategischen Hintergrund. Nachdem die Lausitzer Rundschau, die dem
Holzbrinck-Konzern gehört, als erste deutsche Tageszeitung das
Nachrichtenangebot der dpa abbestellt hat, sind im Osten Deutschlands
weitere herbe Verluste zu befürchten. Radiosender haben abbestellt
und der Vertrag mit der Chemnitzer Freien Presse, der zum Jahresende
ausläuft, ist nach Bartoleit ein weiterer kritischer Punkt. Besonders
die ostdeutschen Tageszeitungen versuchen verstärkt zu regionalisieren,
halten sich aus der Weltpolitik heraus und setzen zunehmend auf Sport.
Das hat es die dpa mit ihrer demokratiepolitischen Aufgabe, von der
auch der gelernte Journalist Bartoleit spricht, nicht leicht, und deshalb
spricht Bartoleit auch nicht zufällig im gleichen Atemzug von der
dpa als einem "marktgerechten Produkt".
DANIEL STURM
dpa-Landesbüro Leipzig, Käthe-Kollwitz-Straße 10, Tel.
71 00 70, Praktika direkt in Leipzig nachfragen.