Daniel Sturm
Journalism & Research


         


Politics

War & Sept. 11

Arts & Entertainment

Environment & Technology

Racism

General Interest

 

curriculum vitae

 

Order Book Online Amazon.de

 

 

 

Tiefer im Osten
Kreuzer, Juli 1999

Nicht auf Drängen Biedenkopfs habe die dpa ihr Redaktionsbüro nach Leipzig verlegt, nein, es sei die Furcht vor dem Moloch Berlin, sagt dpa-Landesbürochef Ralf Bartoleit.

Wer aufmerksam Zeitung liest, könnte bemerkt haben, daß die Deutsche Presse Agentur seit 3. Mai ihren sogenannten "Südtisch" von Berlin nach Leipzig verlegt hat. Daß die Debatte über die Strombörse recht prominent über den Ticker lief, hängt mit dem Südtisch zusammen, der jetzt Landesbüro heißt und über die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bundesweit berichtet. 15 Redakteure mehr in town können ihre Augen kaum vor den hohen Nachrichtenwerten Leipzigs verschließen, zumal sie im Bürohochhaus direkt über dem Schauspielviertel throhnen.

Noch wohnt K.MUSTERMANN in der fünften Etage Käthe-Kollwitz-Straße 10. Doch das Klingelschild ist keine Tarnung, denn hinter ihm steckt eine mustergültige Journalisten-Karriere des neuen Landesbüroleiters Ralf Bartoleit. 37 Jahre, Studium der osteuropäischen Geschichte in Mainz, Intensivkurse Russisch mit seinem Professor, Volontariat bei dpa, Urlaubsvertretung im Büro Moskau, schließlich Korrespondent und Chef des Moskauer dpa-Büros bis Januar 1999."Moskau ist journalistisch kaum zu toppen", meint Bartoleit. Über Jahre hinweg habe er Frontpage-News geschrieben und Interviews mit allen Präsidenten der GUS-Staaten geführt - eine journalistische Palette, "die andere in 80 Jahren nicht schaffen". Als die dpa-Zentrale in Hamburg entschied, Leipzig zur Steuereinheit der sieben mitteldeutschen Außenbüros zu machen, hat Ralf Bartoleit zugegriffen. "Mich reizte die große Freiheit".

Warum die dpa, die unter den Nachrichtenagenturen den Ruf des Behäbigen hat, erst zehn Jahre nach der Wende prominent vor Ort ist, versteht Bartoleit so: Leipzig liege nun einmal tiefer im Osten, Berlin drohe zum Moloch zu werden und man sei näher am Kunden. Keineswegs habe die dpa dem Drängen des sächsischen Ministerpräsidenten nachgegeben, "da lassen wir uns nichts reinreden".

Allerdings hat die Ansiedlung in der werdenden Medienstadt Leipzig einen strategischen Hintergrund. Nachdem die Lausitzer Rundschau, die dem Holzbrinck-Konzern gehört, als erste deutsche Tageszeitung das Nachrichtenangebot der dpa abbestellt hat, sind im Osten Deutschlands weitere herbe Verluste zu befürchten. Radiosender haben abbestellt und der Vertrag mit der Chemnitzer Freien Presse, der zum Jahresende ausläuft, ist nach Bartoleit ein weiterer kritischer Punkt. Besonders die ostdeutschen Tageszeitungen versuchen verstärkt zu regionalisieren, halten sich aus der Weltpolitik heraus und setzen zunehmend auf Sport. Das hat es die dpa mit ihrer demokratiepolitischen Aufgabe, von der auch der gelernte Journalist Bartoleit spricht, nicht leicht, und deshalb spricht Bartoleit auch nicht zufällig im gleichen Atemzug von der dpa als einem "marktgerechten Produkt".

DANIEL STURM

dpa-Landesbüro Leipzig, Käthe-Kollwitz-Straße 10, Tel. 71 00 70, Praktika direkt in Leipzig nachfragen.