Daniel Sturm
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Eine Leipziger Serie über Leipzigs Stadtteile

City-Test: Markkleeberg
Kreuzer, April 1999
Von Daniel Sturm (Text) und Ebba Dangschat (Fotos)

Das Dorf am Rande der Stadt leistet ganz entschieden Widerstand gegen den Übernahmeversuch der Stadt. Markkleeberg gegen Leipzig. Peripherie gegen Zentralmacht. Der Stoff, aus dem "Asterix und Obelix" gemacht ist, wird im Großraum Leipzig 1999 zeitgemäß adaptiert.

Der Häuptling des kleinen gallischen Dorfes ist richtig sauer auf die Römer und will von der ganzen Geschichte nichts wissen. Bernd Klose (SPD), der Majestix von Markkleeberg, verweigert selbst dem KREUZER, bekannterweise Freund des Rebellen, jede Auskunft. Markkleeberg in einem City-Test? Das hieße ja sich dem Mandat des gefräßigen Römerlagers Leipzig unterordnen. Und so läßt er denn über seine Schildträger bestellen, daß Markkleeberg nie und nimmer Stadtteil des Leipziger Imperiums werden würde. Ein angstloser Markkleeberger, der höchstens wie sein gallischer Bruder im Geiste fürchtet, daß ihm einmal der Himmel auf den Kopf fällt.

Bis weit über die früheren Tagebaukanten reicht der Horizont der 22.000 Einwohner zählenden Umlandgemeinde. Und während Markkleeberg wächst und wächst (seit 1989 um 3000 Einwohner), der Wasserpegel in den Tagebaumeeren steigt und steigt, ist Dürre in Leipzig. Die Metropole hat seit der Wende 70.000 ihrer 516.000 Einwohner eingebüßt. Die Finanzzuweisungen des Freistaats, die von der Einwohnerzahl abhängen, gingen entsprechend zurück. Aber die Ausgaben für Infrastruktur, Kranken- und Rathaus blieben gleich hoch. Außerdem nahm die Zahl der Steuerzahler, die ihre Grunderwerb- und Grundsteuer im Wohnort abdrücken, ab. Abhilfe versprach das sächsische "Stadt-Umland-Gesetz": Danach darf sich Leipzig 67.500 Einwohner aus zehn umliegenden Gemeinden und vier Ortsteilen einverleiben. Darunter Markkleeberg. Doch die prosperierende Stadt, die mehr als der Speckgürtel Leipzigs ist, wehrte sich nach allen Regeln der Kunst, klagte beim Verfassungsgerichtshof des Landes. Ein Gerichtsurteil steht noch aus. Bürgermeister Bernd Klose gegenüber der Berliner Zeitung: "Haben Sie je gehört, daß eine kleine Gemeinde geschluckt wurde, um ihr etwas zu geben?".

Instinktiv scheint das auch der gemeine Markkleeberger zu spüren. "Markkleeberg bleibt", verkündet barsch ein Schild am Ortseingang. Folgt man der Staßenbahn-Linie 28, gelangt man über eine walddurchzogene Strecke ins grüne Markkleeberg. Unweit des Schildes liegt eine üppige Altbau-Villa, am Klingelschild steht "Basis 5". Fünf Leipziger Architekur-Studenten sind dem grünen Ruf Markkleebergs gefolgt und haben die Enge der Großstadt geflohen. Rico, Marc, Xaver, Markus, Uwe und - seit kurzem der sechste - Peter wohnen unter der Bedingung umsonst, daß sie die alte Villa in Schuß halten: Goldfischteich, Modellwerkstatt, Fahrradschuppen und Sauna sorgen dafür, daß die Architektur-Projekte von "Basis 5" in Ruhe gedeihen können. In der Partnerstadt Houston haben die Studenten Leipzig mit einer Multimedia-Show präsentiert (www.globalworkspirit.de). Reiner Zufall, daß der Rektor der Universität Leipzig bald in die anliegende Villa einzieht.

Eine andere Nachbarin von "Basis 5" ist die Buchhändlerin Köpf: Sie erzählt, daß Markkleeberg eine reiche Stadt sei mit durchaus prominenter Besetzung. "Die lesen anspruchsvolle Sachen wie Nadolny und Kundera, natürlich nur Hardcover". Ihre Kunden sind hauptsächlich Künstler Ärzte, Akademiker und Professoren. Ein anderes Indiz für den relativen Wohlstand, wie er in westdeutschen Kommunen dieser Größe häufiger kennzeichnend ist, liefert ein Blick auf das Wahlverhalten: Bei den Kommunalwahlen im Juni 1994 wählten neun Prozent grün.

Für Christiane Thiel, Pfarrerin an der Martin-Luther-Kirche, ist die überdurchschnittlich reiche Bevölkerung Markkleebergs ebenfalls von Vorteil. "Viele neue Gemeindemitglieder sind aus dem Westen zugezogen, also kirchlich gebunden". Ganz vehement hat sich die 30jährige Pfarrerin gegen die Eingemeindungs-Versuche Leipzigs zur Wehr gesetzt, und tat sich mit Bürgermeister Klose zusammen. Würde Markkleeberg Leipzig zugeschlagen, so Thiele, gingen "noch mehr Kirchensteuern an die Großstadt".

Dabei ist Markkleeberg selbst erst durch Eingemeindungen so groß und reich geworden: 1915 bildeten die Dörfer Markkleeberg, Oetzsch und Raschwitz eine Gemeinde, am 1. Januar 1934 dann fegten die Nazis die wenig germanischen Namen vom Tisch. Die Dörfer Gautzsch und Großstädteln gesellten sich zur Großgemeinde, die von nun an als "Markkleeberg" zu den deutschen Städten gezählt werden durfte. 1937 folgten Zöbigker und in jüngster Zeit Gaschwitz, Wachau und Auenhain. Mit Stolz verweist die Stadt auf seine gesunde Wirtschaftsstruktur, die Markkleeberg vom Vorurteil befreie, eine reine Schlafstadt der Leipziger zu sein. 1995 verzeichnete die städtische Statistik 7.300 Einpendler gegenüber 5.700 Auspendlern.

Für die Leipziger war Markkleeberg immer nur eines der vielen Löcher am Rande der Stadt. Der Braunkohletagebau hat den Auwaldstreifen, der sich einmal durch ganz Leipzig - von Markkleeberg ins Rosental - zog, zerschnitten. Lang ist die Liste der verschwundenen Orte aus der Umgebung von Leipzig: Kleinzössen, Hain, Treppendorf, Spahnsdorf, Trachenau, Elstertrebnitz, Zehmen, Leipen, Stöntzsch, Cröbern, Krendnitz, Zwenkau, Berndorf, Prödel, Markkleeberg-Ost, Piegel, Voewerk, Peres, Eythra und Cospuden. Dort, wo die Leipziger ihre Kindheit verbrachten, blickten sie bis zuletzt in 50 Meter tiefe Gruben. Da sich diese Löcher nun erfolgreich mit Wasser zu füllen scheinen, ist der schielende Blick Leipzigs auf das aufblühende Markkleeberg nur verständlich.

Das Tagebau-Restloch Cospuden liegt zwischen Markkleeberg-West und Großzschocher, und ist ein Fortsatz des größeren Tagebaus Zwenkau. Das Gelände frißt sich wie eine Zunge nach Norden in die Elsterauen hinein, am Horizont liegt der Auewald. Nicht nur vielen Brunnen wurde durch den Tagebau das Wasser abgegraben. Auch eben dieser Auewald, der seine alljährliche Überschwemmung einfach braucht, sitzt schon zu zehn Prozent auf dem Trockenen. Nach und nach wandelt er sich in einen langweiligen Ahornwald. Die Auelandschaft ist in Europa einzigartig. Zwar wurden schon in den 20er Jahren durch Wasserregulierungen Überschwemmungen unterbunden, doch dank seiner Lößlehmschicht hat der Wald auch den kommenden Angriffen einigermaßen widerstanden.

Als Wiedergutmachung gibt's Wasser: Im ehemaligen Tagebau Cospuden steigt der Wasserstand täglich um zwei Zentimeter. Markkleeberg hat seine Bürger von Kopf bis Fuß auf Erholung eingestellt. Versprochen ist ein Surf- und Badestrand, ein Yachthafen und eine Festwiese, die in naher Zukunft die östliche Uferlinie des 395 Hektar großen Gewässers säumen werden. Zwar ist erst im September 1999 offizielles Anbaden, doch spricht nichts dagegen, die lauen Frühsommerabende jetzt schon am Ufer zu verbringen. Außerdem verspricht die Seenlandschaft, wenn erst alle Wassergräben nach Leipzig freigeschaufelt sind, ein kostenloses Vergnügen für Paddler zu werden. Romantiker können sich dann von der letzten Straßenbahn, die Leipzig um 22.30 Uhr gen Markkleeberg verläßt, unabhängig machen. Der Pleiße-Radweg, auf dessen Hochufer man von Leipzig bis Gaschwitz radeln kann, ist nur der Anfang. Ab 2001 wird der Tagebau Espenhain geflutet. Dann wird man am künftigen Markkleeberger See entlang, so ist es geplant, bis nach Altenburg radeln können.

Neben der Seenlandschaft als Herzstück ihrer künftigen Freizeitgestaltung verfügen die Markkleeberger aber auch über eine grüne Lunge: den agra-Park. Diesen Landschaftspark ließ Konsul Paul Herfurth im englischen Stil um 1900 anlegen. Im "Weißen Haus", der neoklassizistischen Villa des Leipziger Verlegers Paul Herfurth von 1905, die dem Lustschloß "Petit Trianon" in Versailles nachempfunden ist, wird die Lust heute ritualisiert: Jeden zweiten Tag wurde dort allein 1998 geheiratet (174 Mal), mehr als die Hälfte der Brautpaare kommen von auswärts. Weil das Hochzeitszimmer im Rathaus 1996 renoviert wurde, verlegten die Stadt ihre Trauzeremonien notgedrungen ins "Weiße Haus". Heute trägt sich die Verwaltung mit dem Gedanken, einen zweiten Standesbeamten einzustellen, weil der Andrang kaum zu stoppen ist. Ungeklärt bleibt, ob der Heiratsboom im "Weißen Hauses" etwa mit der Hoffnung zusammenhängt, durch magische Übertragung zu präsidentieller Potenz zu gelangen. Von hier ist es nur ein Pferdesprung in die geplante Reitanlage, die bald schon weite Ausritte in die Pleißenaue, die Möncherei und zur Crostewitzer Höhe ermöglichen soll.

Seit 1948 wurden auf dem Gelände schrittweise Hallen für die Landwirtschaftsmesse agra ausgebaut. In Halle 5 brachte noch am 7. Oktober 1989 die Stasi ihre Verhafteten unter. Sechs Jahre entstand an gleicher Stätte "Bimbo-Town", ein surrealer Phantasiepark des englischen Performance- und Aktionskünstler Jim Whiting. Mit seinen "Unnatural Bodies", Körperteile aus Metall und Stoff, die mechanisch angetrieben werden, ließ er 1997 seinen deus-ex-machina auf die Markkleeberger los. In Bimbo-Town bewegten sich fürderhin Sessel und Sofas, Bürointerieurs auf fahrbaren Plattformen kreuzten den Weg von rollenden Doppelbetten und einer ganzen Bar auf Rädern. Nachdem Bimbo-Town bereits nach Connewitz ausgewichen war, schloß die verrückte Stadt im Oktober 1998 ihre Pforten. "Bimbo" ist übrigens Slang für eine aufgedonnerte Manta-Mieze.

Immerhin scheint die Trabi-Elite Markkleeberg den Braten gerochen zu haben: ebenfalls auf agra-Gelände, im Deutschen Landwirtschaftsmuseum, lockt sie mit einer Ausstellung mit dem Titel "Trabi-Kult(ur). Der schnelle Osten". Wer keine Trabis sehen will, kann dort an einem schönen langen Wochenende zumindest Treckerfahren, auf einem der 30 ausgestellten heißen Öfen.

Südlich des agra-Messeparks tobt noch heute die Völkerschlacht: Einmal im Jahr, am 16. Oktober 1813 rücken kostümierte Bürger mit Pistolen, Helmen und Säbeln in das Historische Torhaus zu Markkleeberg ein, um den erbitterten Kampf zwischen Franzosen und Österreichern nachzuspielen. Das Rittergut von 1190, dem Markkleeberg seinen Namen verdankt ("Herr de Cleberg"), wird seit 1996 von einem ehrgeizigen Förderverein betreut. "Sie sind wie die Österreicher gekommen", meint Vereinsvorsitzender Wolfgang Gerlach freundlich. Eine Führung mit Gerlach sollte man sich nicht entgehen lassen, denn der gebürtige Markkleeberger ("Von Leipzig ist nichts Gutes zu erwarten") ist ein Original. Liebevoll erklärt er die Gefechtsstellungen der Krieger am Modell und verrückt, wenn es sein muß, auch schon einmal die Zinnsoldaten. Ein Ölgemälde, das die österreichischen Kürassiere mit Bärtchen zeigt, kommentiert Gerlach trocken: "Die sehen halt so aus wie in der Zeit, wo sie gemalt wurden".


Mein Markkleeberg: Zuhdi Al-Dahoodi, Schriftsteller und Dolmetscher

Seit meiner Leipziger Studentenzeit bin ich von Markkleeberg fasziniert. Damals habe ich per Rad das eher dörflich anmutende Markkleeberg und seine Umgebung erkundet. Manches Glas Bier wurde bei dieser Gelegenheit im Forsthaus Raschwitz geleert.

Der Wolfswinkel, wo angeblich der letzte Wolf der Lauer erlegt wurde, der Auewald, alte und neuentstehende Seen, Parks, idyllische Kirchen, die Mondgebirge des Tagebaus, die alte Mühle, die Pleißelandschaft oder der Wildpark mit den bunten Enten, die sich zur Zeit ein anderes Quartier gesucht haben, Villenviertel und neue Siedlungen - viele Gesichter hat das Markkleeberg von heute. All das gibt der Stadt, deren reiche Geschichte bis 2000 v. Chr. zurückgeht, ihren besonderen Charakter. Markkleeberg vereint Stadt und Land, Historisches und Neues, Kultur und Wildnis, Ost und West, Wasser und Sand, Wälder und Ödland, Lärm und ländliche Stille. Beim Betrachten der Tagebaulandschaft mit den verschiedenen Millionen Jahre alten Erdschichten taucht der Betrachter in die Unendlichkeit der Zeit. Die verletzte Natur erhält allmählich ein neues Gesicht. Künftig werden Wälder und Seen die Stadt umarmen.

Markkleeberg ist eine Perle im Grünen. Wir Markkleeberger wollen unsere Stadt in Geborgenheit hüten, um nicht von der Großstadt überrollt zu werden. Nur wer Markkleeberg kennt, versteht dieses Anliegen.


City-Test: Portitz und Plaußig

Kreuzer, Juni 1999

Zu Portitz fällt einem auf Anhieb nur "Portishead" ein und die Buslinie Numero 54 mit der Aufschrift Portitz. Dabei zählt der Doppel-Ort Plaußig-Portitz zu den Gegenden, die es verdient haben, vor dem totalen Vergessen bewahrt zu werden. Wen es aus welchen Gründen auch immer in den äußersten Nordosten Leipzigs verschlägt, wird belohnt, denn er sieht das bißchen deutscher Erdgeschichte aufs Konzentrat eingedampft: Granit aus der Eiszeit, Nazi-Bunker, gotische Kirchen, Waldeinsamkeit und Gartenzwerge. Hier kann man getrost von behütetem Aufwachsen sprechen, schließlich vereinigt die freiwillige Feuerwehr bei Wahlen 50 Prozent der Stimmen auf sich.

Ein Brand ist im kollektiven Gedächtnis der Bewohner nicht haften geblieben, allerhöchstens kleine Strohfeuer. "Einmal haben wir uns mit den Portitzern richtig geprügelt", erinnert sich der 44jährige Günter Beer. Eine echte Rivalität zwischen Plaußig, wo Beer aufwuchs, und Portitz habe es aber nie gegeben, schließlich habe man sich das Schulgebäude einvernehmlich geteilt. Heute gehen dort 300 Kinder zur Schule, die am Randes eines riesigen Rapsfeldes liegt und 600 Plaußiger mit 1600 Portitzern verbindet.

Hinter dem mächtigen Schulgebäude beginnt ein mit Straßenlaternen gesäumter Trampelpfad, der an Rapsfeld und Auenwald entlang geradewegs nach Plaußig führt. Hier hört man die Kiddies inständig betteln: "Wann darf ich denn endlich meinen Führerschein machen?" und den Städter am Wochenende jauchzen "Ach, wie schön ist doch das Leben auf dem Dorf!" Der Schulweg ist gleichzeitig ein Abschnitt auf dem Wegenetz des Landschaftsschutzgebietes Parthenaue, das sich vom Schloß Schönefeld über Taucha bis nach Zweenfurth ausdehnt. Die Parthe, ein morastig gluggernder Fluß mit echtem Urwaldbewuchs, mündet kurz hinter dem Leipziger Zoo in die Elster ein.

In Plaußig (slawisch pluskat für Plätschern) treffen sich, wenn es den Göttern gefällt, Wanderer und Feuerwehrleute im Gasthof Plaußig, um sich von Gerhard Schwarz bewirten zu lassen. Der 55jährige läßt Gäste gerne an seinen bunten Erinnerungen teilhaben und kramt auf Nachfragen auch mal alte Schwarz-Weiß-Photos aus den Tiefen seiner Theke. Das Wirtshaus ist auf dem besten Weg, wieder das zu werden, was es vor 110 Jahren war: eine Ausspanne. Heute kommen die prominenten Gäste, wie zum Beispiel Ex-Oberbürgermeister Lehmann-Grube, allerdings nicht mehr mit der Pferdekutsche, sondern per Mercedes. Erich Loest sei allerdings, wie es dem Dichter geziemt, "eher zu Fuß gekommen". Daß er auch Ex-Messechefin Cornelia Wohlfahrt bewirten durfte, hat Gerhard Schwarz erst tags darauf "von ihrer Friseuse" erfahren, schließlich wollte sie inkognito bleiben.

Ab und an sitzen dort auch Ahnenforscher zu Tisch, denn die gegenüberliegende Kirche St. Martin hat einen Schatz: "Tauff-Aufgebots-Trauungs- und Leichenregister" steht auf dem staubigen Buch von 1669, das nur der Anfang einer lückenlosen Reihe von Chronikbänden ist. In der Nazizeit, erzählt der 32jährige Pfarrer Markus Deckert, hätten seine Vorgänger im Amt die exzellente Datenbank freigegeben, um den Bürgern ihre arische bzw. jüdische Abstammung zu bescheinigen.

Die Spuren der schaurigen Vergangenheit haben sich nicht nur schriftlich fixiert. Die Portitzer Moränensiedlung entstand als dichtbebautes Arbeiterviertel in den 30er Jahren entsprechend der Nazi-Kriegsvorbereitungen. "Die alten Portitzer sprechen schnell mal von der SS-Siedlung", sagt Markus Deckert. Mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden arme Familien aus Vogtland und Erzgebirge angeworben, um mit enormem Subventionen in den 1938 gegründeten Mitteldeutschen Motorenwerke (Mimo) Rüstungsgüter produzieren zu lassen. Die Einwohnerzahl verzehnfachte sich in diesen Jahren auf über 3000. Von der Moränensiedlung führt eine Straße in Richtung Taucha auf den Veitsberg, wo die Reste der Mimo zu besichtigen sind. Der Wald hat sich die Bunker, die 1945 von der Roten Armee gesprengt wurden, zurückgeholt. Vom Nazi-Spuk ist nur ein Gebäude übrig geblieben, in dem die Stadt Taucha mit Sinn für Symbolik Asylbewerber lagert, und eine Bunkeranlage, die der Volkspolizei als Munitionslager diente und heute ein Schießstand ist.

Die Moränensiedlung ist 50 Jahre danach Hort des Bodenständigen: Gartenzwerge, Fliederbüsche und ein CDU-Wähleranteil von satt über 50 Prozent sind charakteristisch. Für Günter Beer, der schon in den 70er Jahren einen professionellen Karneval auf die Beine stellen wollte, war dieses Umfeld nicht einfach. Als er dann am 11.11.1989 um 11 Uhr 11 endlich bereit war, mit seiner Kapelle das Rathaus Schönefeld zu stürmen, waren die Straßen wie leer gefegt. Die Portitzer Karnevalisten konnten dem Tanz auf der Mauer nicht Paroli bieten. Mit der Konfettikanone machten sie ihrem Ärger Luft: "Wir haben das dann eben alleine durchgezogen."