Daniel Sturm
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Noam Chomsky in Germany
Ikone der Kritik: Noam Chomsky spricht im Gewandhaus

Kreuzer, March 2005


Vor laufender Kamera wirkt der Mann seltsam scheu und mit seiner eindringlichen, oft monoton klingenden Stimme erinnert er mehr an einen Märchenonkel als an den berühmtesten Kritiker Amerikas.
Noam Chomsky, der am 28. März den Eröffnungsvortrag einer Uni-Ringvorlesung zum Israel-Palästina-Konflikt halten wird, ist ein Popstar wider Willen. Wo er spricht, darf man mit überfüllten Hörsäalen rechnen, ganz gleich ob zu den Kriegsschauplätzen im Irak, Afghanistan oder Israel. Die angesehene Illustrierte New Yorker nennt Chomsky "einen der klügsten Köpfe des 20. Jahrhunderts".

Doch der Guru der Antikriegsbewegung, der seit 1955 am Massachusetts Institute of Technology Linguistik lehrt, lässt sich nur schwer zur Popfigur kneten und taugt noch weniger fürs seichte Vorabendprogramm. Der Titel seines jüngstes Buch sagt alles: "Weltbeherrschung oder Überleben".
Die großen Medienhäuser scheuen den 76-jährigen mit der sanften Stimme nicht allein wegen seines "big brain". Gefürchtet ist auch seine als zu radikal empfundene Botschaft, derzufolge die USA ihren Appetit auf militärische Interventionen zügeln sollten.

Da sich kluge Köpfe bekanntlich nicht totschweigen lassen, bat die New York Times den MIT-Professor vor über einem Jahr doch noch zu einem Gespräch für die Wochenendbeilage. Im Vorfeld des Irakkrieges war die einflußreiche Zeitung, die Kritiker vom Kaliber Chomskys für gewöhnlich wie der Teufel das Weihwasser meidet, den gezielt gestreuten Falschmeldungen von den "Massenvernichtungswaffen" aufgesessen und damit selbst zum Propagandainstrument des Weissen Hauses geworden.

Das Interview ist bemerkenswert. Während in Bagdad den Menschen die Dächer über den Köpfen einstürzten und Kriegsgefangene in Abu Ghraib sadistisch gefoltert wurden, fragte die Times Chomsky nach "schmutzigen Worten für Genitalien". Offenbar bemüht ein Stück seichter Unterhaltung aus dem Intellektuellen zu quetschen, schloss das Interview mit der Frage, ob sich Chomsky jemals einer Psychoanalyse unterzogen habe. Zur Folter und zum Irak fragte die Times den Kriegskritiker erst gar nicht.

Anders als viele Denker der Linken hat Chomsky, dessen Vater William ein angesehener Hebräisch-Forscher war, seine ablehnende Haltung gegenüber der Gründung eines jüdischen Staates Israel nie aufgegeben. "Ein jüdischer, christlicher oder islamischer Staat ist meiner Meinung nach kein geeignetes Konzept", sagte Chomsky im selben Interview. Als die New York Times nachsetze, er klinge manchmal wie ein sich selbst hassender Jude, konterte Chomsky: "Es ist eine Schande, dass man Kritiker der israelischen Politik entweder Antisemiten oder sich selbsthassende Juden nennt. Das ist grotesk! Wenn ein Italiener die italienische Politik kritisiert - würde man ihn dann einen sich selbst hassenden Italiener nennen?"

Der Leipziger Philosophieprofessor Georg Meggle, der die Ringvorlesung organisiert, stimmt dieser Einschätzung Chomskys zu. In Deutschland würde zum Thema Palästina viel geschwiegen. Das geschehe oft aus der Angst heraus, dass Kritik an Israels Militärpolitik sofort als Antisemitismus ausgelegt werde - eine Reaktion, so Meggle, "mit der bei uns selbst jüdische Kritiker (Chomsky selber zum Beispiel) schnell mundtot gemacht werden sollen. Wie mit solcherart Angst umzugehen ist, das ist gewiß eines der wichtigsten Themen der Ringvorlesung."

Daniel Sturm, sturmATsturmstoriesDOTcom

Chomsky auf einen Blick:
"Europa-Israel-Palästina", Eröffnungsvortrag der Ringvorlesung mit Noam Chomsky, 28. März, Gewandhaussaal, 11 Uhr, Eintritt €3-5. (Mehr infos: www.uni-leipzig.de/sonntag)
Chomskys Interviews, Reden und Essays im Internet: www.chomsky.info/interviews.htm
"Hegemony or Survival, America's Quest for Global Dominance" von Noam Chomsky, Metropolitan Books 2003, 278 S.
"Power and Terror: Noam Chomsky: Gespräche nach 9/11", ab 27. März in der Schaubühne im Lindenfels.


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