Politics
War &
Sept. 11
Arts &
Entertainment
Environment
& Technology
Racism
General
Interest
curriculum
vitae
Order Book Online Amazon.de
|
Noam Chomsky in Germany
Ikone der Kritik: Noam Chomsky spricht im Gewandhaus
Kreuzer, March 2005
Vor laufender Kamera wirkt der Mann seltsam scheu und mit seiner eindringlichen,
oft monoton klingenden Stimme erinnert er mehr an einen Märchenonkel
als an den berühmtesten Kritiker Amerikas.
Noam Chomsky, der am 28. März den Eröffnungsvortrag einer Uni-Ringvorlesung
zum Israel-Palästina-Konflikt halten wird, ist ein Popstar wider
Willen. Wo er spricht, darf man mit überfüllten Hörsäalen
rechnen, ganz gleich ob zu den Kriegsschauplätzen im Irak, Afghanistan
oder Israel. Die angesehene Illustrierte New Yorker nennt Chomsky
"einen der klügsten Köpfe des 20. Jahrhunderts".
Doch der Guru der Antikriegsbewegung, der seit 1955 am Massachusetts Institute
of Technology Linguistik lehrt, lässt sich nur schwer zur Popfigur
kneten und taugt noch weniger fürs seichte Vorabendprogramm. Der
Titel seines jüngstes Buch sagt alles: "Weltbeherrschung oder
Überleben".
Die großen Medienhäuser scheuen den 76-jährigen mit der
sanften Stimme nicht allein wegen seines "big brain". Gefürchtet
ist auch seine als zu radikal empfundene Botschaft, derzufolge die USA
ihren Appetit auf militärische Interventionen zügeln sollten.
Da sich kluge Köpfe bekanntlich nicht totschweigen lassen, bat die
New York Times den MIT-Professor vor über einem Jahr doch
noch zu einem Gespräch für die Wochenendbeilage. Im Vorfeld
des Irakkrieges war die einflußreiche Zeitung, die Kritiker vom
Kaliber Chomskys für gewöhnlich wie der Teufel das Weihwasser
meidet, den gezielt gestreuten Falschmeldungen von den "Massenvernichtungswaffen"
aufgesessen und damit selbst zum Propagandainstrument des Weissen Hauses
geworden.
Das Interview ist bemerkenswert. Während in Bagdad den Menschen die
Dächer über den Köpfen einstürzten und Kriegsgefangene
in Abu Ghraib sadistisch gefoltert wurden, fragte die Times Chomsky
nach "schmutzigen Worten für Genitalien". Offenbar bemüht
ein Stück seichter Unterhaltung aus dem Intellektuellen zu quetschen,
schloss das Interview mit der Frage, ob sich Chomsky jemals einer Psychoanalyse
unterzogen habe. Zur Folter und zum Irak fragte die Times den Kriegskritiker
erst gar nicht.
Anders als viele Denker der Linken hat Chomsky, dessen Vater William ein
angesehener Hebräisch-Forscher war, seine ablehnende Haltung gegenüber
der Gründung eines jüdischen Staates Israel nie aufgegeben.
"Ein jüdischer, christlicher oder islamischer Staat ist meiner
Meinung nach kein geeignetes Konzept", sagte Chomsky im selben Interview.
Als die New York Times nachsetze, er klinge manchmal wie ein sich
selbst hassender Jude, konterte Chomsky: "Es ist eine Schande, dass
man Kritiker der israelischen Politik entweder Antisemiten oder sich selbsthassende
Juden nennt. Das ist grotesk! Wenn ein Italiener die italienische Politik
kritisiert - würde man ihn dann einen sich selbst hassenden Italiener
nennen?"
Der Leipziger Philosophieprofessor Georg Meggle, der die Ringvorlesung
organisiert, stimmt dieser Einschätzung Chomskys zu. In Deutschland
würde zum Thema Palästina viel geschwiegen. Das geschehe oft
aus der Angst heraus, dass Kritik an Israels Militärpolitik sofort
als Antisemitismus ausgelegt werde - eine Reaktion, so Meggle, "mit
der bei uns selbst jüdische Kritiker (Chomsky selber zum Beispiel)
schnell mundtot gemacht werden sollen. Wie mit solcherart Angst umzugehen
ist, das ist gewiß eines der wichtigsten Themen der Ringvorlesung."
Daniel Sturm, sturmATsturmstoriesDOTcom
Chomsky auf einen Blick:
"Europa-Israel-Palästina", Eröffnungsvortrag der
Ringvorlesung mit Noam Chomsky, 28. März, Gewandhaussaal, 11 Uhr,
Eintritt €3-5. (Mehr infos: www.uni-leipzig.de/sonntag)
Chomskys Interviews, Reden und Essays im Internet: www.chomsky.info/interviews.htm
"Hegemony or Survival, America's Quest for Global Dominance"
von Noam Chomsky, Metropolitan Books 2003, 278 S.
"Power and Terror: Noam Chomsky: Gespräche nach 9/11",
ab 27. März in der Schaubühne im Lindenfels.
Dies ist nur eine begrenzte
Textauswahl. Mehr Artikel sind in der GENIOS-Datenbank archiviert: www.genios.de
|