Botaniker im Grenzkonflikt
Kreuzer, September 2001
Eigentlich wollten sie nur Blumen bestimmen,
aber wegen der Sicherheitsvorkehrungen rund um den Weltwirtschaftsgipfel
in Salzburg wurden sieben Leipziger Studenten samt Exkursionsleiter
die Einreise verweigert. Begründung: "Gefahrenabwehr".
Unter den Leipziger Studenten herrschte eigentlich
eine ganz gut Stimmung, als sich der hübsch mit bunten Schmetterlingen
bemalte blaue Kleinbus der österreichisch-deutschen Landesgrenze
"Walserberg" näherte. "Kein Auto für Terroristen",
sagt der promovierte Botaniker Uwe Amarell über das Gefährt,
das dem Förderverein des Botanischen Gartens gehört und vorrangig
als Exkursionsbus dient. Man hatte weniger den zeitgleich stattfindenden
Wirtschaftsgipfel zum Thema Osteuropa im Sinn, als vielmehr die tollen
Berge. Der Gasthof "Franzl" inmitten des Karawankengebirges
wartete mit zünftigem Abendessen, und schon am späten Nachmittag
wollten die Blumenfreunde eigentlich "in den Berg", um die
Flora der alpinen Rasenlandschaften zu erkunden und später gutes
Kärntner Bier oder Enzyanschnaps zu trinken.
Auch der lange Stau an der Landesgrenze schien Dr. Amarell und den Seinen
"noch nicht so bedeutend." Schließlich war ja Urlaubszeit
und man hatte im Radio davon gehört, dass Österreich aus Angst
vor gewaltbereiten Demonstranten kurzerhand das Schengener Abkommen
des grenzenlosen Europas außer Kraft gesetzt hatte. Terror, Feuer,
Schüsse und Verletzte - solche Bilder vom Kampf gegen die Globalisierung,
wie sie seit den Krawallen bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds
(IWF) in Seattle 1999 um die Welt gehen, wollte die saubere Alpenrepublik
schon im Entstehungsprozeß ersticken.
Den Grenzbeamten jedenfalls schien der mit bunt bemalten Schmetterlingen
bemalte Kleinbus mit Leipziger Nummernschild ins Bild zu passen. Als
bei der Paßkontrolle einer der Studenten nur die Kopie seines
Ausweises vorzeigen kann, da das Original beim Russischen Konsulat in
Leipzig zur Bearbeitung eines Urlaubsvisums liegt, beginnt für
die Leipziger eine Odyssee der Polizeiwillkür. Mit einem Streifenwagen
wird die Gruppe ans Grenzhäuschen gefahren. "Wir dachten",
erinnert sich Amarell, "wie bekämen dort unsere Ausweise wieder
zurück." Ein österreichischer Grenzbeamter erklärt,
dass die Einreise nicht gestattet werde. Im Grenzhäuschen bittet
man die Gruppe Platz zu nehmen. Dort werden die Exkursionsteilnehmer
der Reihe nach aufgefordert, sich neben einen Polizisten zu stellen
("vielleicht zum Größenmaßstab"), wo sie
mit Polaroidkameras fotografiert werden. Die Grenzbeamten geben zu verstehen,
sie hätten beim Überprüfen der Personalien des Studenten
mit der Ausweiskopie herausgefunden, dass er "in Deutschland bei
Demonstrationen" mitmache. Dies scheint Grund genug, die ganze
Reisegruppe nicht einreisen zu lassen. "Uns wurde unterstellt,
dass wir nach Salzburg wollen, um dort Unruhe zu stiften." Auch
dem von Amarell vorgelegten Dienstreiseauftrag der Universität
Leipzig schenken die Beamten keinen Glauben. Dienststempel könne
schließlich jeder fälschen. Amarell: "Zu guter Letzt
hat man uns erklärt, dass wir ein Einreiseverbot für Österreich
erhalten und ein Jahr lang nur mit einem Visum nach Österreich
einreisen dürfen."
Zurück auf der deutschen Seite filzen die Beamten erst einmal umständlich
den Forscherbus. Megaphone und Transparente finden sie nicht vor, stattdessen
stoßen sie auf ein halbes Dutzend Pflanzenpressen ("Die waren
denen suspekt"). Je paarweise werden die Botaniker, die sich aufgrund
der großen polizeilichen Aufmerksamkeit inzwischen wie Globalisierungsgegner
vorkommen, mit vier Streifenwagen ins Polizeirevier Freilassung gebracht,
damit sie nicht etwa auf die Idee kämen, an einem anderen Grenzübergang
nach Österreich einzureisen. Dort werden sie standesgemäß
als Gewalttäter behandelt, die Frauen gar in eine eigene Zelle
gesteckt. Als eine Studentin sich ängstlich zeigt, fragt ein Polizist,
ob man ihr "Handschellen anlegen sollen." Dem 36jährigen
Uwe Amarell, erneut zum Protokoll gebeten, gelingt es in Freilassing
schließlich, den deutschen Polizeibeamten die Absurdität
des Grenzkonflikts klarzumachen.
Unterdessen haben vier Botanik-Studenten, die mit eigenem Auto längst
im Kärntner Zielort Bad Eisenkappel angekommen sind, Gastwirt "Franzl"
einschaltet, der den Kontakt mit der Sicherheitsdirektion Kärnten
herstellt. Nach etlichen Telefonaten zeigten sich die Behörden
schließlich einsichtig. Die Exkursionsteilnehmer kommen nach vier
Stunden Odyssee frei und werden - diesmal in freundlicher Absicht -
in zwei Polizeitransportern zurück zur Grenze "Walserberg"
befördert. Über den Grund der Verhaftung heißt es später
im Protokoll der Kriminalpolizeiinspektion Traunstein: "Gefahrenabwehr".
Die deutsche Behörde erstellt noch am 30.6. einen Aktenvermerk,
in dem es entwaffnend heißt: "Nach eingehender Überprüfung
wurde festgestellt, dass dieser Personenkreis zu einer wissenschaftlichen
Exkursion nach Österreich unterwegs war." Und besonders schön:
"Einreise- oder Aufenthaltsverbot für Österreich wurde
nie erlassen; hierbei handelt es sich um ein Mißverständnis."
Tage später können die Biologen über den Fall wieder
lachen. Die botanischen Klettertouren in den Karawanken werden nur von
gelegentlichen Terminen mit der Presse und dem Bürgermeister von
Bad Eisenkappel unterbrochen ("Sind Sie der berühmte Professor?").
Die Kleine Kärntner Zeitung formuliert im schönsten Austriaken-Slang:
"Botaniker fühlen sich gepflanzt." Dem Österreichischen
Rundfunk sagt ein Sprecher der Salzburger Gendarmerie: "Bei einem
Mitglied schien auf, dass er zur Gewalttätigkeit neigt. Deswegen
lag der Verdacht nahe, dass die gesamte Gruppe nach Salzburg zum Treffen
will".
Dieser Verdacht speist sich möglicherweise aus einer Datei des
Bundeskriminalamtes. Sie enthält Angaben über mehr als 2.000
Personen, die mit der Straftat Landfriedensbruch in Verbindung gebracht
werden. Schon ein einfaches von der Polizei beschlagnahmtes CS-Gas-Fläschchen,
mit dem sich ein Demonstrant für den Notfall gegen Neonazis wappnet,
kann zu Problemen an den Landesgrenzen führen, weil der Polizeicomputer
Gefahrenabwehr signalisiert. "Die Anordnung von Personalienfeststellungen
oder Platzverweisen sind zu dünn, um jemanden in eine derartige
Datei aufzunehmen", gab Joachim Jacob, der Datenschutzbeauftragte
des Bundes, kürzlich in der Süddeutschen Zeitung zu bedenken.
Von der abenteuerlichen Bergtour zurückgekehrt ist Dr. Uwe Amarell
erst einmal zum Justiziar der Universität Leipzig gegangen. Der
soll nun dafür sorgen, dass die Personalien aus den österreichischen
Polizeiakten verschwinden, während der betroffene Student selbst
privaten Rechtsbeistand gesucht hat. Damit die Blumenfreunde nicht in
den Ruch geraten, militante Globalisierungsgegner zu sein.
DANIEL STURM