Daniel Sturm
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Botaniker im Grenzkonflikt
Kreuzer, September 2001

Eigentlich wollten sie nur Blumen bestimmen, aber wegen der Sicherheitsvorkehrungen rund um den Weltwirtschaftsgipfel in Salzburg wurden sieben Leipziger Studenten samt Exkursionsleiter die Einreise verweigert. Begründung: "Gefahrenabwehr".

Unter den Leipziger Studenten herrschte eigentlich eine ganz gut Stimmung, als sich der hübsch mit bunten Schmetterlingen bemalte blaue Kleinbus der österreichisch-deutschen Landesgrenze "Walserberg" näherte. "Kein Auto für Terroristen", sagt der promovierte Botaniker Uwe Amarell über das Gefährt, das dem Förderverein des Botanischen Gartens gehört und vorrangig als Exkursionsbus dient. Man hatte weniger den zeitgleich stattfindenden Wirtschaftsgipfel zum Thema Osteuropa im Sinn, als vielmehr die tollen Berge. Der Gasthof "Franzl" inmitten des Karawankengebirges wartete mit zünftigem Abendessen, und schon am späten Nachmittag wollten die Blumenfreunde eigentlich "in den Berg", um die Flora der alpinen Rasenlandschaften zu erkunden und später gutes Kärntner Bier oder Enzyanschnaps zu trinken.
Auch der lange Stau an der Landesgrenze schien Dr. Amarell und den Seinen "noch nicht so bedeutend." Schließlich war ja Urlaubszeit und man hatte im Radio davon gehört, dass Österreich aus Angst vor gewaltbereiten Demonstranten kurzerhand das Schengener Abkommen des grenzenlosen Europas außer Kraft gesetzt hatte. Terror, Feuer, Schüsse und Verletzte - solche Bilder vom Kampf gegen die Globalisierung, wie sie seit den Krawallen bei der Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Seattle 1999 um die Welt gehen, wollte die saubere Alpenrepublik schon im Entstehungsprozeß ersticken.

Den Grenzbeamten jedenfalls schien der mit bunt bemalten Schmetterlingen bemalte Kleinbus mit Leipziger Nummernschild ins Bild zu passen. Als bei der Paßkontrolle einer der Studenten nur die Kopie seines Ausweises vorzeigen kann, da das Original beim Russischen Konsulat in Leipzig zur Bearbeitung eines Urlaubsvisums liegt, beginnt für die Leipziger eine Odyssee der Polizeiwillkür. Mit einem Streifenwagen wird die Gruppe ans Grenzhäuschen gefahren. "Wir dachten", erinnert sich Amarell, "wie bekämen dort unsere Ausweise wieder zurück." Ein österreichischer Grenzbeamter erklärt, dass die Einreise nicht gestattet werde. Im Grenzhäuschen bittet man die Gruppe Platz zu nehmen. Dort werden die Exkursionsteilnehmer der Reihe nach aufgefordert, sich neben einen Polizisten zu stellen ("vielleicht zum Größenmaßstab"), wo sie mit Polaroidkameras fotografiert werden. Die Grenzbeamten geben zu verstehen, sie hätten beim Überprüfen der Personalien des Studenten mit der Ausweiskopie herausgefunden, dass er "in Deutschland bei Demonstrationen" mitmache. Dies scheint Grund genug, die ganze Reisegruppe nicht einreisen zu lassen. "Uns wurde unterstellt, dass wir nach Salzburg wollen, um dort Unruhe zu stiften." Auch dem von Amarell vorgelegten Dienstreiseauftrag der Universität Leipzig schenken die Beamten keinen Glauben. Dienststempel könne schließlich jeder fälschen. Amarell: "Zu guter Letzt hat man uns erklärt, dass wir ein Einreiseverbot für Österreich erhalten und ein Jahr lang nur mit einem Visum nach Österreich einreisen dürfen."

Zurück auf der deutschen Seite filzen die Beamten erst einmal umständlich den Forscherbus. Megaphone und Transparente finden sie nicht vor, stattdessen stoßen sie auf ein halbes Dutzend Pflanzenpressen ("Die waren denen suspekt"). Je paarweise werden die Botaniker, die sich aufgrund der großen polizeilichen Aufmerksamkeit inzwischen wie Globalisierungsgegner vorkommen, mit vier Streifenwagen ins Polizeirevier Freilassung gebracht, damit sie nicht etwa auf die Idee kämen, an einem anderen Grenzübergang nach Österreich einzureisen. Dort werden sie standesgemäß als Gewalttäter behandelt, die Frauen gar in eine eigene Zelle gesteckt. Als eine Studentin sich ängstlich zeigt, fragt ein Polizist, ob man ihr "Handschellen anlegen sollen." Dem 36jährigen Uwe Amarell, erneut zum Protokoll gebeten, gelingt es in Freilassing schließlich, den deutschen Polizeibeamten die Absurdität des Grenzkonflikts klarzumachen.

Unterdessen haben vier Botanik-Studenten, die mit eigenem Auto längst im Kärntner Zielort Bad Eisenkappel angekommen sind, Gastwirt "Franzl" einschaltet, der den Kontakt mit der Sicherheitsdirektion Kärnten herstellt. Nach etlichen Telefonaten zeigten sich die Behörden schließlich einsichtig. Die Exkursionsteilnehmer kommen nach vier Stunden Odyssee frei und werden - diesmal in freundlicher Absicht - in zwei Polizeitransportern zurück zur Grenze "Walserberg" befördert. Über den Grund der Verhaftung heißt es später im Protokoll der Kriminalpolizeiinspektion Traunstein: "Gefahrenabwehr". Die deutsche Behörde erstellt noch am 30.6. einen Aktenvermerk, in dem es entwaffnend heißt: "Nach eingehender Überprüfung wurde festgestellt, dass dieser Personenkreis zu einer wissenschaftlichen Exkursion nach Österreich unterwegs war." Und besonders schön: "Einreise- oder Aufenthaltsverbot für Österreich wurde nie erlassen; hierbei handelt es sich um ein Mißverständnis."

Tage später können die Biologen über den Fall wieder lachen. Die botanischen Klettertouren in den Karawanken werden nur von gelegentlichen Terminen mit der Presse und dem Bürgermeister von Bad Eisenkappel unterbrochen ("Sind Sie der berühmte Professor?"). Die Kleine Kärntner Zeitung formuliert im schönsten Austriaken-Slang: "Botaniker fühlen sich gepflanzt." Dem Österreichischen Rundfunk sagt ein Sprecher der Salzburger Gendarmerie: "Bei einem Mitglied schien auf, dass er zur Gewalttätigkeit neigt. Deswegen lag der Verdacht nahe, dass die gesamte Gruppe nach Salzburg zum Treffen will".
Dieser Verdacht speist sich möglicherweise aus einer Datei des Bundeskriminalamtes. Sie enthält Angaben über mehr als 2.000 Personen, die mit der Straftat Landfriedensbruch in Verbindung gebracht werden. Schon ein einfaches von der Polizei beschlagnahmtes CS-Gas-Fläschchen, mit dem sich ein Demonstrant für den Notfall gegen Neonazis wappnet, kann zu Problemen an den Landesgrenzen führen, weil der Polizeicomputer Gefahrenabwehr signalisiert. "Die Anordnung von Personalienfeststellungen oder Platzverweisen sind zu dünn, um jemanden in eine derartige Datei aufzunehmen", gab Joachim Jacob, der Datenschutzbeauftragte des Bundes, kürzlich in der Süddeutschen Zeitung zu bedenken. Von der abenteuerlichen Bergtour zurückgekehrt ist Dr. Uwe Amarell erst einmal zum Justiziar der Universität Leipzig gegangen. Der soll nun dafür sorgen, dass die Personalien aus den österreichischen Polizeiakten verschwinden, während der betroffene Student selbst privaten Rechtsbeistand gesucht hat. Damit die Blumenfreunde nicht in den Ruch geraten, militante Globalisierungsgegner zu sein.
DANIEL STURM