Daniel Sturm
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Mauschelei im Rathaus
Kreuzer, Oktober 2000

Die BIP-Kreativitätsschule ist eine freie Schule, und doch fühlen sich Eltern und Direktoren gegängelt. Obwohl das Kultusministerium dem reformpädagogischen Konzept seinen Segen gab, konnte die BIP zum Schulbeginn nicht in die anvisierte Richard-Wagner-Schule einziehen. Oberbürgermeister Tiefensee und dessen Beigeordneter Burkhard Jung gelten als die großen Verhinderer - weil sie das Evangelische Schulzentrum favorisieren. Mauschelei im Rathaus? Ein Hintergrundbericht von Daniel Sturm.

Das Konzept stammt aus der Hochbegabtenforschung: Die Schüler lernen von der 1. Klasse an drei Fremdsprachen, arabisch, französisch, englisch, erweitern ihre Kreativität in fünf musischen Richtungen und spielen Schach. BIP steht für Begabung, Intelligenz und Persönlichkeit. Die BIP ist das geistige Kind des Holzhausener Ehepaar Mehlhorn. Ein Jahr lang, erzählt Gerlinde Mehlhorn, die Geschäftsführerin der alternativen Einrichtung, habe sie in einem Forschungsstipendium amerikanische Hochbegabten-Schulen studiert. Das seien keine herkömmlichen freien Schulen wie Waldorf oder Montessori, sagt die Professorin. "Ergebnissen der Hirnforschung" seien in das Konzept mit eingeflossen, sagt Mehlhorn und biegt im selben Atemzug alle Verdachtsmomente ab, dem Ganzen könnten etwa unangenehm elitäre Züge anhaften. "Wir wollten dieses Konzept in Leipzig allen Kindern anbieten." Mit einer Grundschule ist die BIP bereits seit vier Jahren in Leipzig vertreten, seit Februar erhielt sie das Zertifikat "Staatliche Ersatzschule", nach dem sich grundsätzlich alle freien Schulen sehnen. Staatliche Zuschüsse können die "Freien" nur in diesem Fall bekommen. Im Kuratorim der Schule sitzen honorige Bildungspolitiker mit ministerialer West-Vergangenheit, die Süddeutsche Zeitung widmete dem innovativen Modell 1998 eine ganze Seite ("Bei Mehlhorn in der Ideenschule").
Eine moderne Schule also mit modernen Ansätzen, die auch das Gefallen des sächsischen Kultusministeriums gefunden hat. Und in Deutschland sind Bildungsfragen bekanntlich reine Länderhoheit. "Aus schulfachlicher Sicht erfüllt die pädagogische Konzeption das Gesetz über Schulen in freier Trägerschaft", heisst es dann auch in einem Brief des Ministeriums vom 4. September. Doch was nutzt das schönste, genehmigte Konzept, wenn die Räumlichkeiten fehlen. Und die fehlen der BIP-Kreativitätsschule, seit der Beigeordnete Burkhart Jung den Einzug der 150 Schüler in das Richard-Wagner-Gymnasium in letzter Minute stoppte. "Leider konnte das Genehmigungsverfahren jedoch auf Grund der fehlenden räumlichen Absicherung des Gymnasiums im Schuljahr 2000/2001 nicht erfolgreich abgeschlossen werden", heisst es im Brief des Kultusministeriums. Was sich hinter den Kulissen abspielte, muss einem Kampf um Henne und Ei geglichen haben. Das Ministerium verlangte von der Stadt einen Bescheid über die Zuweisung des Gebäudes. Eher konnte die Kulturbehörde kein grünes Licht signalisieren. Die Raumzuteilung erfolgte jedoch nicht rechtzeitig zum Schuljahresbeginn. Der Freistaat pochte auf seine Bildungs-, die Stadt auf ihre Raumhoheit. Die BIP blieb in dieser Machtprobe auf der Strecke.
Blieb die BIP einfach nur in den Mühlen der Bürokratie stecken? Sven Jansky, dessen 6-jähriger Sohn Max in die Kreativ-Schmiede eingeschult werden sollte, glaubt das nicht. Er vermutet Mauschelei im Rathaus. Im Januar 2000 hat Jungs Dezernat der BIP einen Umzug in die ehemalige Richard-Wagner-Schule in Aussicht gestellt. Eltern und Schulträger begannen mit der Renovierung der leerstehenden Schule, um zum Schulbeginn am 24. August ideale Voraussetzungen zu schaffen. "Nachdem diese Arbeiten so gut wie abgeschlossen sind, teilte Ihr Dezernat dem Schulträger vier Wochen vor Unterrichtsbeginn mit, dass das Gebäude zu groß für die BIP-Schulen sei, mithin zu viele Räume habe." Bereits einen Tag vorher, am 27. Juli, habe das Dezernat das Objekt der "Internationalen Schule" angeboten. Laut Jansky eine "skandalöse Situation." Im August hat er einen Beschwerdebrief an den Beigeordneten persönlich geschrieben. Der Bitte, sich mit den entscheidenden Konfliktparteien "an einen Tisch zu setzen", ist Jung bis zum KREUZER-Redaktionsschluß nicht nachgekommen.
Eltern wie Jansky finden die Kehrtwende des Schuldezenenten unverständlich. Hängt es damit zusammen, dass Burkhard Jung, der einst das Evangelische Schulzentrum aufgebaut hat, einer neuen, wachsenden Privatschule mit konkurrierendem Konzept das Wasser abgraben will? Heinz Nötzold, Referatsleiter im Regionalschulamt, hält das Szenario eines Konkurrenzkampfes BIP contra Evangelisches Schulzentrum für wahrscheinlich. "Viele Bestandteile der beiden Konzepte sind deckungsgleich", sagt Nötzold. Wegen akuten Schülermangels müßten allein im nächsten Jahr weitere zwei Gymnasien geschlossen werden und da sei gerade unter den freien Schulen ein reglrechter Kampf um Schüler ausgebrochen. Just in dieser Situation soll Jung jedoch, wie der KREUZER aus informierten Kreisen erfuhr, die Richard-Wagner-Schule einem anderen Träger angeboten haben: der Rahn-Gesellschaft, die mit ihrer beruflichen Orientierung keine Konkurrenz zum Evangelischen Schulzentrum darstellt. "Unter der Hand vermittelt Jung das Gebäude an einen anderen, während er die BIP als zahlungswilligen Träger auflaufen läßt".
Die geldgebenden Eltern erwägen unterdessen eine Schadensersatzklage in Höhe von 100.000 DM.. Diese Summe haben sie zur Erstellung verschiedene Planungs- und Bau-Gutachten für die Riwa laut Mehlhorn bereits "in den Sand gesetzt". Die Geschäftsführerin plagen zusätzliche finanzielle Sorgen: die erste Gymnasialklasse hätte laut Finanzierungsplan schon nach einer zweijährigen Wartefrist vom Staat bezuschußt werden können. In der Zwischenzeit zahlen die Eltern monatlich 600 DM pro Kind. Da aber der Freistaat Sachsen die Frist auf vier Jahre zu verlängern gedenkt, wackelt auch dieses Konzept.
Burkhart Jung gesteht im Gespräch mit dem KREUZER Fehler seines Dezernats ein: man habe nicht deutlich genug gesagt, dass die BIP nicht "in unsere Schulnetzplanung" paßt, oder zulange damit gewartet. Immerhin müßten in den nächsten drei Jahren sechs Gymnasien aufgehoben werden. Als der Schließungs-Entscheid der staatlichen Richard-Wagner-Gymnasiunms im Sommer feststand, habe es "Trillerpfeifen-Proteste" im Stadtrat gegeben. Da könne man nicht gleich das alte Gebäude an jemand Neues übergeben. Außerdem äußert Jung betriebswirtschaftliche Bedenken gegen das BIP-Konzept. Die harte Kritik der Mehlhorns kontert Jung scharf: "Es verwundert mich sehr, dass die BIP mir bis heute die Konzepte verweigert, und mir reicht nicht aus, was im Internet steht."
Der Kommunalpolitiker Jung macht keinen Hehl daraus, dass er trotz Länderhoheit ein Wörtchen mitreden, und sich nicht mit der reinen Gebäudevergabe begnügen will. "Wir entwickeln einen Schulnetzplan", sagt er im pluralis majestatis. In den Jahren nach der Wende hieß Jungs Vorgänger im Amt Wolfgang Tiefensee, ein starker Befürworter der privaten Schulen und besonderer Protegeé des Evangelischen Schulzentrums, in dem die Tiefensees Ehefrau als Lehrerin arbeitet. Die Massierung der Begriffe "evangelisch" und "christlich" sind für jedoch eine ostdeutsche Verwaltungs-Spitze ungewöhnlich und lassen aufhorchen. In der Tat unterscheiden sich die Kreativitätsschulen hinsichtlich der Gretchenfrage: "Wie hast du's mit der Religion".
"Religion ist im Angebot", beantwortet Professor Gerlinde Mehlhorns die Frage, wie an den BIP-Schulen Religion unterrichtet wird. Sobald die Mindestzahl von 5 Schülern für einen durch das Schulgesetz festgelegten Religionsunterricht zustande komme, "beschäftigen wir eine Honorarkraft." Auf diese Weise habe man sogar schon einmal islamischen Unterricht im Angebot gehabt. Zum Konzept des Evangelischen Schulzentrums sagt Mehlhorn nur höflich-kritisch: "Es ist klar, dass dort eine missionarische Grundhaltung herrscht." Und über Jung weiss sie von Mitgliedern des Schulausschusses: "Er soll gesagt haben, letztlich könne er die BIP-Schulen vor seinem Schöpfer nicht verantworten."
Welche Rolle spielt das religiöse Weltbild der auch im Glauben verbundenen Ratskollegen Tiefensee und Jung? In einem Sammelband über "Anregungen international verwirklichter Reformpädagogik" haben sowohl Gerlinde Mehlhorn als auch Burkhart Jung Aufsätze über ihre Schulkonzepte veröffentlicht. Jung, der in der Öffentlichkeit bisher ein weltoffenes Bild machte, steuert einen Beitrag über "Das Evangelische Schulzentrum in Leipzig" bei. 1990, schreibt der Befürworter christlicher Schulen, "wurden auf den Montagsdemonstrationen in Leipzig die ersten Schilder hochgehalten: Freie Schulen! Bald wuchs der Wunsch nach christlichen Schulen." Angesichts der immer noch geringen Konfessionalisierung im Osten Deutschlands muss der Jungsche Beitrag allerdings als starke Schönfärbung erscheinen. Kritisch sehen Jungs Gegner auch den Umstand, dass ausgerechnet ein Schuldezernent die Wieder-Verzauberung der von konfessioneller Religion befreieten Gesellschaft in die Hände genommen habe. In dem Aufsatz spricht Jung von "beispielhaften Mustern" der evangelischen Schulen und läßt durchblicken, dass er "Religion in Physik oder in Deutsch" zumindest nicht abwegig findet. "Naturwissenschaflicher Unterricht ist eben auch Schöpfungsunterricht." Im Rathaus läuft derzeit nach eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Jung. Der sieht's gelassen. "Ich kann diese Beschwerde nicht nachvollziehen."

Andreas Pehnke (u.a.): "Anregungen international verwirklichter Reformpädagogik", Frankfurt a. M. /Berlin/BruxellesNew York/Wien, 1999
Kreativitätszentrum Leipzig, (034297) 421 00, www.uni-leipzig.de/kreativ