Daniel Sturm
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Viel Vielfalt
Kreuzer, Januar 2000

Wie nachhaltig läßt es sich in Leipzig leben? Die Familie Didt testet die Agenda 21 bis Oktober 2000 aus.

Oskar ist vier und ißt am liebsten Couscous aus Nordafrika. Seine Geschwister Elena (2) und Christian (6) hingegen stehen auf das englische Weihnachtsgebäck, das ihnen Mama Rebecca Didt zum Abendbrot auftischt. "Allein Gerichte aus Sachsen wären nicht vielfältig genug", betont Rebecca Didt. Die gebürtige Engländerin ist verheiratet mit Daniel Didt, der selbst in Rußland geboren und in Leipzig großgeworden ist. Irgendwie einleuchtend, daß Vielfalt in dieser Familie, in der die Kinder dreisprachig aufwachsen, ein sehr hohes Gut ist. Und das wollen die Didts auch keinesfalls aufgeben, seit sie sich entschlossen haben, einer von 21 Testhaushalten im Leipziger Planspiel Agenda 21 zu werden. "Agenda 21 heißt für uns, ganz ohne Zwang andere Prioritäten zu setzen, nachzudenken und neue Dinge auszuprobieren".

Daniel Didt vermißt bei der Forderung nach mehr Ökologie "oft eine schlüssige Begründung." Die wollen sie bis zum Ende des Projekts, das von der Verbraucherzentrale koordiniert wird, bis zum Oktober 2000 gefunden haben. Den Didts geht es um das konkrete Beispiel, das man hinter so unspannend klingenden Projekten wie Expo 2000 oder Agenda 21 schon gar nicht mehr sieht. So trinken sie zum Beispiel zuhause kein Leitungswasser, weil es einfach schlecht schmeckt. Rebecca Didt wollte dieses Wasser vermeiden, zumindest solange sie die kleine Elena stillt. Und die Stadtwerke, die im Rahmen des Agenda-21-Projekts den Energie- und Wasserverbrauch des Haushalts durchcheckte, bestärkten sie nur noch in ihrer Entscheidung. Sie stellten fest, daß ihre Wasserrohre im Keller aus Blei sind. Die Testfamily stieg auf Wasser aus Plastikflaschen um, wohlwissend, daß sie damit nur das kleinere Übel gewählt haben. "Da sind höchstens ein paar Weichmacher drin", meint Daniel mit der nötigen Spur Skepsis.

Der Student der theoretischen Physik ("Am Institut verbrauchen wir nicht viel Papier") will sich keineswegs in eine ökologische Sackgasse verrennen. Deshalb will er auch den Umstand, daß er kein Auto besitzt und nur hin und wieder auf das Auto seiner Mutter zurückgreift, nicht als "car sharing" schönreden. "Wir haben zur Zeit einfach andere Prioritäten und können uns auch kein Auto leisten", sagt Rebecca. Die Kinder gehen zu Fuß zum Kindergarten, Daniel hat als Student ein Semesterticket und Gemüse kaufen die Didts oft auf dem nahegelegenen Lindenauer Markt.

Rebecca Didt will in den 12 Monaten des Projekts "alles mögliche ausprobieren". Dazu hat die Tochter eines homöopathischen Arztes aus Worcester allerdings auch die besten Voraussetzungen. "Ich bin mit alternativer Medizin aufgewachsen." Ihre Mutter war Vegetarierin. "Hier ist es fast unmöglich vegetarisch zu leben", meint Rebecca und setzt fügt leicht bedauernd hinzu: "In Danis Familie mußten sie immer Wurst essen". Dinge wie Mülltrennung brauchen nach Meinung Rebeccas "so wenig Energie", daß sie längst in den Familienalltag eingebaut sind. Für die Kinder ist diese Ordnung längst selbstverständlich geworden. Nur wenn Rebeccas Freundin aus Paris die Familie besuchen kommt, hält ein wenig die alte Anarchie Einzug: "Für sie ist das nur das große Theater mit dem Mülleimer" .
DANIEL STURM

Projektleitung Testhaushalte, Dr. Gabriele Stich (Verbraucherzentrale), Tel. 14 09 40
Agenda 21-Büro, Ralf Elsässer, Tel. 9 60 15 30