Der Stadtplaner
Kreuzer, August 1999
Was ein Stadtplan ist, weiß jedes Kind.
Was aber ist ein Stadtplaner? Engelbert Lütke Daldrup ist seit
1995 so etwas wie der Bau-Bürgermeister von Leipzig, er ist Beigeordneter
für Planung und Bau. Ein Portrait des Häuser-Paten von Daniel
Sturm (Text) und Uwe Frauendorf (Bild).
Was macht ein Stadtplaner? Cäsars begabtester
Nachwuchsbaumeister hieß Quadratus - so steht es in Asterix
und die Trabantenstadt. Nach verzweifelten Anstrengungen, die Gallier
mit römischen Prachtbauten zu ködern, meint er: "Ich
geh' nach Ägypten und bau' dort Pyramiden".
Mit Quadratus verbindet Engelbert Lütke Daldrup
die Tatsache, daß sich die pompös sanierten Gründerzeithäuser
nicht recht füllen mögen. Allerdings ist der 42jährige
kein Baumeister, der eine Trabantenstadt aus dem Boden stampft, sondern
er ist ein Schönheits-Chirurg, der das Antlitz des verfallenen
Leipzig in ein glitzerndes verwandelt. Dabei trifft er in der Bevölkerung
auf wenig Widerstände. Nur die kleinlichen Einwände gegen
die Gestaltung des römisch tönenden Augustusplatz' treiben
ihn dann und wann in die Verzweiflung. "Veränderungen produzieren
eben Ängste", sagt er dann mit leicht gequälter Stimme.
Im Notfall kann Lütke Daldrup wie der römische Baumeister
Quadratus immer noch alle Kräfte auf sein privates Ägypten
konzentrieren und Leipzigs Pyramide Nummer eins - das Völkerschlachtdenkmal
- sanieren.
Rote Haare, hellweiße Haut und flinke Bewegungen
- das ist Engelbert Lütke Daldrup von außen gesehen. Was
sich innen abspielt, ist nicht so einfach zu skizzieren, wie es der
Stadtplaner selbst tagtäglich mit Gebäuden und Straßenzügen
tut. Emotionen spielen eine große Rolle und das gerade beim Thema
Stadtbild. "Frag' den mal, warum um das neue Bildermuseum herum
Wohnungen entstehen sollen" und: "Was hat der sich dabei gedacht,
den Blick aufs Gewandhaus mit einer Mauer zu versperren", geben
mir Bekannte als Gesprächsanregung mit auf den Weg. Warum die Gefühle
um ein paar streitbare "Milchtöpfe", wie die turmartigen
Parkhauseingänge im Volksmund heißen, selbst bei Menschen
hochkochen, die nicht in einer unsanierten Platte wohnen, ist auf Anhieb
nicht ganz begreiflich. Vielleicht ist es die Undurchschaubarkeit dieses
mächtigen Prozesses, in dem sich Leipzig seit der Wende befindet.
So sichtbar und gewaltig sich hier wie in kaum einer anderen Stadt Europas
Veränderungen abspielen, so unsichtbar sind für viele die
Schrittmacher dieser rasenden Entwicklung. Hinter den Kulissen waltet
und schaltet Engelbert Lütke Daldrup, der Stadtplaner. Investoren
reichen im Neuen Rathaus ihre Baupläne ein, Prachtbauten schießen
wie Pilze aus dem Boden. Knapp 23 Milliarden DM sind seit 1991 verbaut
worden, eine Geldsumme, mit der einige afrikanische Länder 50 Jahre
lang haushalten könnten.
"Verglichen mit Shanghai ist das eher bescheiden",
meint der Stadtplaner. Zwar möchte er nicht in Abrede stellen,
daß die Bauleistung des vergangenen Jahrzehnts absolute Spitze
in Deutschland, wohlmöglich in Europa ist. Aber natürlich
läßt sich Lütke-Daldrup nicht ins Zeug flicken. Ob das
milliardenschwere face-lifting der Stadt unvermindert weitergehen soll,
jetzt, da fast zwei Drittel der Stadt fertig sind? Wie der Schönheits-Chirurg
nicht zufrieden ist, wenn er die Tränensäcke strafft, aber
das Doppelkinn hängen läßt, so wenig möchte der
Stadtplaner im Zieleinlauf aufgeben. "Jede Stadt muß alle
20 Jahre mal ordentlich saniert werden. Wir sind am Ende eines ersten
gewaltigen Zyklus der Bauinvestitionen." Natürlich weiß
er, daß die objektiven Umstände das bisherige Tempo in den
nächsten Jahren drosseln werden. Die steuerlichen Möglichkeiten,
bei Bauinvestitionen bis zu 50 Prozent der Kosten als Sonderabschreibung
wieder reinzuholen, wurden eingeschränkt. Und Lütke Daldrup
sieht auch die Gefahr, daß es in Leipzig durch eine am Glanz der
Jahrhundertwende orientierte Optik schnell zu einer Schieflage kommen
kann, wenn der Handel nicht ebenfalls boomt. Die schicke Fassade aus
der Gründerzeit rückt in den Vordergrund, um die auf Wohngeld
angewiesenen Figuren des nachindustriellen Zeitalters in den Hintergrund
treten zu lassen. "Es gibt sicher Ecken der Stadt, die schöner
aussehen als die soziale Wirklichkeit ist, das muß man konstatieren."
Er lacht selten und ist einer der wenigen Menschen,
bei denen wichtige Sätze nicht wichtigtuerisch klingen. Sicherlich
hat ihn die Leipziger Öffentlichkeit auch deshalb mit Ehrfurcht
empfangen, als er 1995 vom Berliner Referat für Hauptstadtgestaltung
an die Pleiße wechselte. Bei Podiumsdiskussionen wunderten sich
viele darüber, daß dieser Mann von auswärts sich in
ihrem Leipzig so gut auskennt. Da muß er dann doch lachen, der
Stadtplaner: "Ich kann Ihnen ja mal ein Geheimnis verraten, ich
kannte Leipzig fast überhaupt nicht." Auf die Frage, ob er
Leipzig über tagelange Streife-Fahrten kennengelernt habe, wird
das Lachen Lütke Daldrups breiter, legt er ein wenig von seinem
professionellen Selbstverständnis ab, in dem der oberflächliche
Scherz keinen Platz hat. "Wir Stadtplaner haben noch andere Hilfsmittel:
Luftbilder und Pläne." In der Verwaltung fühlt sich Lütke
Daldrup, der für sieben Jahre gewählt ist und dessen Wiederwahl
2002 auf der Tagesordnung steht, wohler als in Berlin oder Frankfurt
am Main, wo er zu Beginn seiner Karriere mit Stadtplanung beschäftigt
war. "Berlin ist mir immer extrem verkrustet vorgekommen. Leipzig
ist in vieler Hinsicht eine lebendigere Stadt, die eher bereit ist,
ihre Kräfte zu bündeln und konzentriert voranzutreiben."
Es sind vorrangig die 100.000 Gründerzeitwohnungen,
von denen bisher rund zwei Drittel saniert wurden, die Leipzig aus Sicht
des Chefplaners zur schönsten deutschen Stadt macht. Er selbst
bewohnt mit seiner Frau eine 4-Zimmer-Wohnung, die 270 Quadratmeter
groß war, geteilt wurde, und nach der Sanierung 130 Quadratmeter
hatte. "Solche Wohnungen finden Sie in keinem Neubau und sicherlich
in keinem Einfamilienhaus oder Sie müssen sich eine Villa von zwei
Millionen Mark kaufen." Die Vision des Mannes, der 1976 in Dortmund
das Studium der Raumplanung begann, ist eine durchaus wirtschaftlich-soziale
("Wenn es mir nur um Schönheit gegangen wäre, hätte
ich ja Architektur studieren können"), die Botschaft liest
sich zwischen den Zeilen so: Leipzig hat einen im Deutschland-Vergleich
euphorisch stimmenden Mietspiegel, was zu einer verführerisch hohen
Lebensqualität führt. In Leipzig sind Wohnungen zu bekommen
wie nur bei Aldi Computer. Innovative Geister aller Länder, vereinigt
Euch zu einer Stadt der Unternehmenden!