Daniel Sturm
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Hermanni greift an
Kreuzer, Dezember 1999

Der Betrieb für Beschäftigungsförderung ist Leipzigs größte Arbeitslosen-Firma. Ihr Boss, Matthias von Hermanni, wagt nun einen Vorstoß in Sachen Kongresshalle.

Mit hoch zum Himmel gerecktem Schwert steht er im Teutoburger Wald, Hermann der Kerusker, der im Jahre 9 nach Christus drei römische Legionen vernichtend geschlagen haben soll. Als sich Namensvetter Matthias von Hermanni unlängst vor einer kleinen Legion von Reportern in der Kongresshalle zeigte, wirkte er wie eine fleischgewordene Version des Germanenkriegers: "Es sind mit Sicherheit alle dankbar, daß wir hier arbeiten."

Der mächtige Boss des Betriebs für Beschäftigungsförderung (bfb) zeigte sich gewohnt angriffslustig, schließlich will er sich die Kongresshalle am Zoo unter den Nagel reißen. Zur allseitigen Überraschung kündigte er an, der bfb werde in der Kongresshalle so genannte "Baustellenkonzerte" abhalten, solange sich der Stadtrat zu keiner Entscheidung über die Nutzung des früheren Gesellschaftshauses durchringen könne. Kurzerhand ließ Hermanni den heruntergekommenen Saal von 1900 mit Teppichen drapieren.

Zumindest für sechs Benefizkonzerte sollte die Dekoration halten, so daß der bfb bis Weihnachten Fips Fleischer, das Westsächsische Symphonieorchester und den MDR-Kinderchor vor zahlendem Publikum musizieren lassen kann. Notdürftiges Ambiente und mittelmäßiges Niveau spielen dabei keine Rolle, denn Hermanni geht es vorrangig um den großen Coup. Auf der Pressekonferenz ließ der "Germane" Hermanni keinen Zweifel daran, daß er sich die Kongresshalle, die einhundert bfb-Bedienstete seit 1994 im Auftrag der Stadt vor dem Vergammeln bewahren, als Betreiber gerne ganz einverleiben möchte - auch gegen den Widerstand der "Römer" im Stadtrat.

Den gebürtigen Schweizer Rudolf Schlatter, Chef des Naturkundemuseums, hat Hermanni jetzt schon zum Gegner. "Ich habe heute zum ersten Mal in meinem Leben eine Bild-Zeitung gekauft", schnaubt der sonst so gemütsruhige Naturkundler. Erst durch die Schlagzeilen hat er von Hermannis Coup erfahren. Schlatters Ärger ist verständlich, schließlich will er mit seinem Naturkundemuseum ebenfalls in die Kongresshalle einziehen. Jetzt fühlt er sich vom bfb-Boss übel hintergangen, weil dieser sich am Stadtrat vorbei "einen Vorteil verschafft" habe. Doch Schlatter läßt sich nicht einschüchtern: lange schon träumt er davon, sein Museum vom 700 Quadratmeter großen "Korsett" zu befreien. Mit der Kongresshalle könnte er die Ausstellungsfläche verdreifachen. Aber eine kombinierte Nutzung - auf der Bühne Fips Fleischer, in der Vitrine das tote Gürteltier - ist mit dem Museumsmann nicht zu machen. Ganz oder gar nicht heißt seine Devise. Sollte der Stadtrat dem Museum nur einige Säle des Gebäudes zusprechen, die Kongresshalle jedoch für gesellige Veranstaltungen à la Fips Fleischer vorsehen, will Schlatter die Standortfrage ganz neu stellen. "Ich habe schon noch einige Pfeile im Köcher."

Nur zaghaft trauten sich einige Reporter, dem mächtigen General der Arbeitslosen zu widersprechen. "Versuchen Sie hier nicht, die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen zu stellen?" Doch auch in der Defensive blieb Hermanni cool, nur die hochroten Wangen ließen ein wenig ahnen, wie sehr der Mann unter Strom steht. Einen offiziellen Nutzungsvertrag mit der Stadt habe er zwar nicht in der Tasche, so Hermanni, aber er könne sich noch gut an die Worte des Ex-Oberbürgermeisters Hinrich Lehmann-Grube erinnern: "Fangt mit der Arbeit an und wenn ihr einen bestimmten Zustand erreicht habt, dann geht zum Stadtrat."

Auf diesen Mentor, mit dem Hermanni 1991 im Huckepack von Hannover nach Leipzig wechselte, muß er sich in harten Zeiten schon berufen. Neider sähen es nur allzu gerne, wenn Leipzigs größter Unternehmer ins politische Abseits gedrängt würde. Da Hermanni das weiß, hat er ehrenhafte Partner um sich geschart. An seiner Seite kämpfen nun MDR-Ausbildungsleiter Peter Slama ("ich bin ein heiterer Journalist"), der eine Biografie über Fips Fleischer geschrieben hat, das Autohaus Saxe und die Technikerkrankenkasse: "Was paßt besser zu uns als ein Baustellenkonzert", reihte sich deren Vertreter würdig in die skurile Unterstützergruppe ein. Der Seniorentanzverein des bfb sowie der Bürgerverein Nordost würden es außerdem gerne sehen, wenn der bfb die Kongresshalle mit DDR-Reminiszenzen aus dem Dornröschenschlaf erweckte.

An Hermannis Stoßrichtung offenbart sich die wahre Konfliktlinie. Immer die soziale Befriedung seines Betriebes im Auge, in dem ja vorrangig Langzeitarbeitslose beschäftigt sind, hat er es vorrangig auf therapeutische Veranstaltungen abgesehen. Ein Gesellschaftshaus mit den Stars von gestern, der Waffel und dem Tanz von damals wären wichtige Stützpfeiler dieses Plans.

"Es wird einen Konflikt geben", weissagt Kulturdezernent Girardet. Grundsätzlich sei zwar nichts dagegen einzuwenden, daß der bfb die marode Kongresshalle wieder "ins Gespräch" bringe, aber das urgermanische Kalkül des Hermanni behagt dem schöngeistigen Girardet natürlich nicht. "Zu Hermannis Gesellschaftshaus gibt es bisher nur ein dreiseitiges Ideenpapier, aber es fehlt jede wirtschaftliche Unterlegung", unterstreicht Girardet. Der Dezernent will, daß der Zoo in einer dann neugebildeten GmbH die gesamte Kongresshalle betreibt. Nach diesem Konzept würde das Naturkundemuseum ein paar zusätzliche Räume abbekommen und könnte den multifunktional umgestalteten großen Saal mit nutzen. Die Finanzierung steht allerdings auch noch auf tönernen Füßen, weil wohl kaum mit kommunalen Zuschüssen zu rechnen ist. Nur soviel ist klar: runde 80 Millionen DM müßten zur Sanierung des Baus aufgebracht werden. Girardet setzt auf eine "Fremdfinanzierung": Bereits 1999 habe der Zoo seine Eintrittspreise von neun auf elf DM angehoben "und es gab keine Proteste, sondern einen deutlich höheren Besucheranteil". Aber Girardet weiß auch, daß es zur Entscheidungsfindung noch einer "langen Debatte im Stadtrat bedarf", deren Ausgang wohl kaum mehr in diesem Jahrhundert feststehen wird.

1808 schrieb Heinrich von Kleist "Die Hermannsschlacht", in der der stolze Waldgermane im Schatten einer Wodanseiche sterben will. Die message lautet: Stärke und Freiheitswille ist es, was einen Deutschen, gestählt durch das Leben im Wald, auszeichnet. Sollte Recke Hermanni den kulturellen Weicheiern unterliegen, wird er sich auf seine Rittergüter am Rande der Stadt zurückziehen. Vier dieser landwirtschaftlichen Vorzeigebetriebe wollen Hermannis Truppen zur Weltausstellung EXPO präsentieren. Dann warten neue Scharmützel.
DANIEL STURM