Hermanni greift an
Kreuzer, Dezember 1999
Der Betrieb für Beschäftigungsförderung ist Leipzigs
größte Arbeitslosen-Firma. Ihr Boss, Matthias von Hermanni,
wagt nun einen Vorstoß in Sachen Kongresshalle.
Mit hoch zum Himmel gerecktem Schwert steht er
im Teutoburger Wald, Hermann der Kerusker, der im Jahre 9 nach Christus
drei römische Legionen vernichtend geschlagen haben soll. Als sich
Namensvetter Matthias von Hermanni unlängst vor einer kleinen Legion
von Reportern in der Kongresshalle zeigte, wirkte er wie eine fleischgewordene
Version des Germanenkriegers: "Es sind mit Sicherheit alle dankbar,
daß wir hier arbeiten."
Der mächtige Boss des Betriebs für Beschäftigungsförderung
(bfb) zeigte sich gewohnt angriffslustig, schließlich will er
sich die Kongresshalle am Zoo unter den Nagel reißen. Zur allseitigen
Überraschung kündigte er an, der bfb werde in der Kongresshalle
so genannte "Baustellenkonzerte" abhalten, solange sich der
Stadtrat zu keiner Entscheidung über die Nutzung des früheren
Gesellschaftshauses durchringen könne. Kurzerhand ließ Hermanni
den heruntergekommenen Saal von 1900 mit Teppichen drapieren.
Zumindest für sechs Benefizkonzerte sollte
die Dekoration halten, so daß der bfb bis Weihnachten Fips Fleischer,
das Westsächsische Symphonieorchester und den MDR-Kinderchor vor
zahlendem Publikum musizieren lassen kann. Notdürftiges Ambiente
und mittelmäßiges Niveau spielen dabei keine Rolle, denn
Hermanni geht es vorrangig um den großen Coup. Auf der Pressekonferenz
ließ der "Germane" Hermanni keinen Zweifel daran, daß
er sich die Kongresshalle, die einhundert bfb-Bedienstete seit 1994
im Auftrag der Stadt vor dem Vergammeln bewahren, als Betreiber gerne
ganz einverleiben möchte - auch gegen den Widerstand der "Römer"
im Stadtrat.
Den gebürtigen Schweizer Rudolf Schlatter,
Chef des Naturkundemuseums, hat Hermanni jetzt schon zum Gegner. "Ich
habe heute zum ersten Mal in meinem Leben eine Bild-Zeitung gekauft",
schnaubt der sonst so gemütsruhige Naturkundler. Erst durch die
Schlagzeilen hat er von Hermannis Coup erfahren. Schlatters Ärger
ist verständlich, schließlich will er mit seinem Naturkundemuseum
ebenfalls in die Kongresshalle einziehen. Jetzt fühlt er sich vom
bfb-Boss übel hintergangen, weil dieser sich am Stadtrat vorbei
"einen Vorteil verschafft" habe. Doch Schlatter läßt
sich nicht einschüchtern: lange schon träumt er davon, sein
Museum vom 700 Quadratmeter großen "Korsett" zu befreien.
Mit der Kongresshalle könnte er die Ausstellungsfläche verdreifachen.
Aber eine kombinierte Nutzung - auf der Bühne Fips Fleischer, in
der Vitrine das tote Gürteltier - ist mit dem Museumsmann nicht
zu machen. Ganz oder gar nicht heißt seine Devise. Sollte der
Stadtrat dem Museum nur einige Säle des Gebäudes zusprechen,
die Kongresshalle jedoch für gesellige Veranstaltungen à
la Fips Fleischer vorsehen, will Schlatter die Standortfrage ganz neu
stellen. "Ich habe schon noch einige Pfeile im Köcher."
Nur zaghaft trauten sich einige Reporter, dem
mächtigen General der Arbeitslosen zu widersprechen. "Versuchen
Sie hier nicht, die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen zu
stellen?" Doch auch in der Defensive blieb Hermanni cool, nur die
hochroten Wangen ließen ein wenig ahnen, wie sehr der Mann unter
Strom steht. Einen offiziellen Nutzungsvertrag mit der Stadt habe er
zwar nicht in der Tasche, so Hermanni, aber er könne sich noch
gut an die Worte des Ex-Oberbürgermeisters Hinrich Lehmann-Grube
erinnern: "Fangt mit der Arbeit an und wenn ihr einen bestimmten
Zustand erreicht habt, dann geht zum Stadtrat."
Auf diesen Mentor, mit dem Hermanni 1991 im Huckepack
von Hannover nach Leipzig wechselte, muß er sich in harten Zeiten
schon berufen. Neider sähen es nur allzu gerne, wenn Leipzigs größter
Unternehmer ins politische Abseits gedrängt würde. Da Hermanni
das weiß, hat er ehrenhafte Partner um sich geschart. An seiner
Seite kämpfen nun MDR-Ausbildungsleiter Peter Slama ("ich
bin ein heiterer Journalist"), der eine Biografie über Fips
Fleischer geschrieben hat, das Autohaus Saxe und die Technikerkrankenkasse:
"Was paßt besser zu uns als ein Baustellenkonzert",
reihte sich deren Vertreter würdig in die skurile Unterstützergruppe
ein. Der Seniorentanzverein des bfb sowie der Bürgerverein Nordost
würden es außerdem gerne sehen, wenn der bfb die Kongresshalle
mit DDR-Reminiszenzen aus dem Dornröschenschlaf erweckte.
An Hermannis Stoßrichtung offenbart sich
die wahre Konfliktlinie. Immer die soziale Befriedung seines Betriebes
im Auge, in dem ja vorrangig Langzeitarbeitslose beschäftigt sind,
hat er es vorrangig auf therapeutische Veranstaltungen abgesehen. Ein
Gesellschaftshaus mit den Stars von gestern, der Waffel und dem Tanz
von damals wären wichtige Stützpfeiler dieses Plans.
"Es wird einen Konflikt geben", weissagt
Kulturdezernent Girardet. Grundsätzlich sei zwar nichts dagegen
einzuwenden, daß der bfb die marode Kongresshalle wieder "ins
Gespräch" bringe, aber das urgermanische Kalkül des Hermanni
behagt dem schöngeistigen Girardet natürlich nicht. "Zu
Hermannis Gesellschaftshaus gibt es bisher nur ein dreiseitiges Ideenpapier,
aber es fehlt jede wirtschaftliche Unterlegung", unterstreicht
Girardet. Der Dezernent will, daß der Zoo in einer dann neugebildeten
GmbH die gesamte Kongresshalle betreibt. Nach diesem Konzept würde
das Naturkundemuseum ein paar zusätzliche Räume abbekommen
und könnte den multifunktional umgestalteten großen Saal
mit nutzen. Die Finanzierung steht allerdings auch noch auf tönernen
Füßen, weil wohl kaum mit kommunalen Zuschüssen zu rechnen
ist. Nur soviel ist klar: runde 80 Millionen DM müßten zur
Sanierung des Baus aufgebracht werden. Girardet setzt auf eine "Fremdfinanzierung":
Bereits 1999 habe der Zoo seine Eintrittspreise von neun auf elf DM
angehoben "und es gab keine Proteste, sondern einen deutlich höheren
Besucheranteil". Aber Girardet weiß auch, daß es zur
Entscheidungsfindung noch einer "langen Debatte im Stadtrat bedarf",
deren Ausgang wohl kaum mehr in diesem Jahrhundert feststehen wird.
1808 schrieb Heinrich von Kleist "Die Hermannsschlacht",
in der der stolze Waldgermane im Schatten einer Wodanseiche sterben
will. Die message lautet: Stärke und Freiheitswille ist es, was
einen Deutschen, gestählt durch das Leben im Wald, auszeichnet.
Sollte Recke Hermanni den kulturellen Weicheiern unterliegen, wird er
sich auf seine Rittergüter am Rande der Stadt zurückziehen.
Vier dieser landwirtschaftlichen Vorzeigebetriebe wollen Hermannis Truppen
zur Weltausstellung EXPO präsentieren. Dann warten neue Scharmützel.
DANIEL STURM